Rohstoffabbau in der Tiefsee
Die Meere behalten ihre Schätze – vorerst

Auf dem Meeresgrund liegt ein grosser Reichtum – Gesteinsklumpen, die Kobalt, Kupfer und Nickel enthalten. Doch der Abbau würde Ökosysteme langfristig zerstören. Ein Entscheid über den sogenannten Tiefseebergbau ist gerade vertagt worden.
Publiziert: 18.08.2023 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2023 um 09:54 Uhr
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Teil der Plattform namens Hidden Gem, die im Seehafen von Rotterdam zur Rohstoffgewinnung umgebaut wurde.
Foto: imago/Jochen Tack
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Wer einmal einen Tauchgang gemacht hat oder in einem fischreichen Gewässer schnorcheln war, weiss: Unter dem Meeresspiegel liegt ein Reichtum an Biodiversität, also unterschiedlichsten Lebewesen. Noch weiter unten liegt aber ein (monetär) für Rohstofffirmen noch interessanterer Reichtum: sogenannte Manganknollen, kartoffelgrosse Gesteinsklumpen, die Kobalt, Kupfer und Nickel enthalten. Und die braucht die Industrie dringend, etwa für unsere Handys oder für Batterien von Elektroautos. Der Bedarf an diesen Rohstoffen wird in näherer Zukunft rasant steigen, allein der aktuelle Jahresbedarf an Kupfer liegt bei ca. 25 Millionen Tonnen pro Jahr – und soll bis 2050 auf mehr als das Doppelte zunehmen. Auf der Erdoberfläche werden Kupfer und andere Rohstoffe knapp.

Die Idee: Eine Art Staubsauger saugt die wertvollen Manganknollen auf …

Die Idee, diese Knollen aus dem Meer zu holen, liegt also nahe – bloss liegen sie in einer Tiefe von 2000 bis 6000 Metern. Rohstofffirmen, darunter auch Schweizer Unternehmen wie der Rohstoffgigant Glencore oder die kleinere Firma Allseas, haben deshalb in den letzten Jahren investiert, um den Abbau dieser Rohstoffe voranzutreiben. Technisch wäre dies bereits möglich: etwa durch die von der Firma Allseas entwickelten Prototypen. Sehr grob gesagt sind sie eine Art Roboter in der Form von Unterwasser-«Riesenstaubsaugern». Sie saugen die obersten Bodenschichten ein – und damit auch die begehrten Manganknollen. Maschinen pumpen dann Manganknollen und Schlamm nach oben auf ein Schiff, wo die Knollen gesammelt und gereinigt werden. Der Schlamm hingegen soll in die Tiefe, genauer in die Wasserschicht auf etwa 1200 Metern zurückgepumpt werden. Dort soll dieses Verfahren hypothetisch am wenigsten Schaden anrichten, da bereits kein Licht mehr in diese Tiefe gelangt.

… leider kommt auch ein ganzes Ökosystem mit

Klingt einfach und gut, ist für ganze Ökosysteme aber verheerend. Denn mit der obersten Sedimentschicht, die diese «Unterwasserstaubsauger» einsaugen, wird auch ein ganzes Ökosystem zerstört. Die Abbauprozedur überleben Pflanzen und Tiere mit den heutigen Protoypen für den Manganabbau nicht. Und die Pflanzen- und Tierwelt der Tiefsee ist sehr reich: «Wir können im Moment nicht quantifizieren, wie hoch die Biodiversität ist. Wir sehen nur, dass sie sehr hoch ist», sagte etwa der Experte Matthias Haeckel im Juli dieses Jahres zu SRF. Er ist Geochemiker am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (D). Im Durchschnitt, sagt Haeckel, fänden die Meeresforscherinnen und -forscher bei jeder Forschungsfahrt rund 100 neue Arten – seit mehr als 30 Jahren.

Bestes Beispiel: die Clarion-Clipperton Zone im Pazifik westlich der mexikanischen Küste. Sie liegt im Fokus für Tiefseebergbauvorhaben. Gleichzeitig wurden dort in den letzten Jahren über 5000 zuvor unbekannte Spezies beschrieben. Das Ökosystem der Tiefe ist also nicht nur reich, sondern auch noch weitgehend unerforscht. Kommt hinzu, dass die Tiefsee die grösste Kohlenstoffsenke auf dem Planeten ist – für die Bewältigung der Klimakrise ist das dort funktionierende Ökosystem deshalb unabdingbar.

Neben den Tieren und Pflanzen, die auf der Bodensedimentschicht leben, saugen die Prototypen mit der obersten Sedimentschicht zudem auch die dort lebenden Mikroorganismen ein. Diese bilden die Grundlage der Nahrungskette dieses Ökosystems. Sie erholen sich nach einem solchen Abbau über Jahrzehnte nicht, wie eine Studie der norwegischen Universität Tromsø aus dem Jahr 2020 besagt. Forscher haben nahe Peru ein Tiefsee-«Feld» besucht, das zu Forschungszwecken mit einer ähnlichen Technik im Jahr 1989 umgepflügt worden war. Resultat der Studie: Die Mikroorganismen hatten sich auch nach 26 Jahren nicht mehr erholt. Haeckel geht sogar noch weiter: «Wir sprechen nicht von ein paar Jahrzehnten. Da reden wir über Jahrhunderte bis Jahrtausende, die das Ökosystem braucht, um sich zu erholen. So lange bleiben die Schäden dort unten», sagt er.

Da diese Mikroorganismen die Grundlagen für die Nahrungskette des Tiefsee-Ökosystems bilden, sind die potenziellen Schäden, die der Abbau der dortigen Rohstoffe nach sich zieht, nicht abzusehen. Ganze Nahrungsketten auch höher liegender Wasserschichten könnten zusammenbrechen. Ausserdem könnten weitere Gebiete Schaden nehmen. Der Schlamm, der in die Wasserschicht der Tiefe von 1200 Metern gepumpt würde, könnte sich irgendwo im Meer ablagern – und auch dort zur Verarmung oder Erstickung ganzer Gebiete führen.

Nicht nur Umweltschutzorganisationen schlagen Alarm, sondern auch Tech-Firmen

21 der 36 Mitgliedstaaten der Internationalen Meeresbodenbehörde haben sich deshalb bereits im Vorfeld einer Tagung letzten Monat für ein Moratorium der Tiefseebergung ausgesprochen – darunter auch der Bundesrat. Auch unzählige Firmen aus dem Tech-Bereich unterstützen einen Verzicht auf die Tiefsee-Rohstoffförderung, interessanterweise auch solche, die auf die sogenannten Seltenen Erden angewiesen sind. Darunter Internet-Gigant Google, Autohersteller wie BMW, Renault, Volkswagen und Volvo wie auch grosse Tech-Firmen wie Samsung oder Philips. Auch einige Banken und Finanzinstitute unterstützen den Ruf nach einem Moratorium.

Eine Entscheidung wurde auf 2024 verschoben, was Umweltschutzorganisationen zwar loben: «Der WWF begrüsst, dass der Tiefseebergbau zumindest vorläufig ausgebremst ist.» Doch ist ein «aufgeschoben ist nicht aufgehoben» für sie nicht gut genug: «Wir kritisieren allerdings die Absicht, dass nun in aller Eile ein Regelwerk bis Juli 2024 verabschiedet werden soll.» Der nötige Wissensstand über das Ökosystem der Tiefsee und somit auch darüber, wie eine Bergung der Rohstoffe dieses beeinträchtigen würde, werde auch in einem Jahr noch fehlen. Es brauche deshalb ein Moratorium, bis sichergestellt sei, dass Tiefseebergbau keine Schäden an der Meeresumwelt verursacht.

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