Spitzenforscherin Ritu Raman (31)
Diese Frau entwickelt Roboter mit Muskeln

Sich mal eben superstarke Muskeln kaufen? Könnte bald möglich sein. Bioingenieurin Ritu Raman (31) forscht am Massachusetts Institute of Technology (MIT) daran, biologische Roboter zu entwickeln. Was klingt wie aus Frankensteins Labor, prägt wohl bald unsere Zukunft.
Publiziert: 12.12.2022 um 09:17 Uhr
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MIT-Bioingenieurin Ritu Raman forscht an Robotern und an der Medizin der Zukunft.
Foto: STEFAN BOHRER
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Frau Raman, wie wird man Bio-Ingenieurin?
Ritu Raman:
In meiner Familie gibt es viele Ingenieure. Als Kind bin ich ständig umgezogen – und habe etwa gesehen, wie meine Eltern Handymasten in Kenia installiert haben und so den Menschen in abgelegenen Dörfern mittels technischen Errungenschaften das Leben verbessern konnten. Für mich war immer klar, dass ich etwas tun will, was das Leben der Menschen verbessert, etwas, das die Welt besser hinterlässt, als ich sie angetroffen habe.

Und woran forschen Sie genau?
An Biofabrikation. Gemeint ist damit Ingenieurwesen, das lebendige Materialien als «Baustoffe» mit einbezieht.

Was verstehen Sie genau unter «lebendige Materialien»?
Wir züchten im Labor zielgenau verschiedenes Gewebe – zum Beispiel Muskeln, Knochen oder Haut. Forscher verschiedener Disziplinen können diese Gewebe danach einsetzen. Zum Beispiel in der Medizin, im Feld der Ernährung, aber zukünftig auch im Maschinenbau.

Zunächst zur Medizin: Was sind da potenzielle Anwendungen Ihrer Forschung?
Ein grosses Feld ist die Transplantationsmedizin. Haut lässt sich aus körpereigenen Zellen bereits züchten, etwa, um Verbrennungsopfern zu helfen. Bislang war es aber schwierig, einen grösseren Muskelverlust auszugleichen. Muskeln wachsen schlecht nach. Mit laborgezüchteter Muskelmasse könnte man etwa Menschen nach Unfällen helfen, denen man «verloren» gegangene, aus den körpereigenen Zellen aber «neugezüchtete» Muskeln transplantieren könnte.

Gibt es bereits eine gelungene Anwendung?
Ja, in einem Versuch mit einer Maus. Wir haben ihr einen Beinmuskel mit einem Muskel von uns ersetzt. Den Muskel haben wir genetisch so konstruiert, dass er lichtempfindlich ist. Hat man nun Licht auf das Bein der Maus gerichtet, hat sich der Muskel kontraktiert – eine Form von Training. Nach rund einer Woche war die Maus wieder in der Lage, normal zu laufen.

Gibt es noch andere Gewebe, die man so züchten kann?
Theoretisch ist es möglich, jede Art von Gewebe auf diese Weise zu züchten – manche sind einfacher als andere. Knorpelmasse lässt sich etwa sehr einfach züchten, weil es keine Blutgefässe hat. In Zukunft könnte dies Arthrosepatienten helfen – ein Labor, in dem ich als Studentin gearbeitet habe, hat bereits Versuche gemacht, in denen gezüchteter Knorpel ähnlichen Belastungen ausgesetzt war wie der Knorpel in unseren Kniegelenken.

Und?
Tatsächlich hat sich unter der dauernden Stossbelastung der Knorpel ähnlich verdichtet und eine ähnliche Struktur ausgeformt wie Knieknorpel – aber er ist noch nicht gut genug, um eingesetzt zu werden. Es gibt aber noch ein weiteres grosses medizinisches Feld.

Ritu Raman

Ritu Raman (31) wuchs als Tochter von Ingenieuren in Indien, Kenia und den USA auf. Sie hat an der US-Universität Cornell in New York 2013 in Bioingenieurwesen abgeschlossen und 2016 an der Universität Illinois doktoriert. Als Assistenzprofessorin hält sie am Massachusetts Institute of Technology Vorlesungen und leitet ihr eigenes Labor. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» setzte sie 2018 auf die Liste der wichtigsten Wissenschaftler unter 30 Jahren. In ihrem Buch «Biofabrication» (Verlag: Penguin Random House) erklärt sie auf Englisch allgemeinverständlich ihre Forschung. Letzte Woche sprach sie an der Wissenschafts- und Wirtschaftskonferenz «World Minds» in Zürich.

Ritu Raman (31) wuchs als Tochter von Ingenieuren in Indien, Kenia und den USA auf. Sie hat an der US-Universität Cornell in New York 2013 in Bioingenieurwesen abgeschlossen und 2016 an der Universität Illinois doktoriert. Als Assistenzprofessorin hält sie am Massachusetts Institute of Technology Vorlesungen und leitet ihr eigenes Labor. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» setzte sie 2018 auf die Liste der wichtigsten Wissenschaftler unter 30 Jahren. In ihrem Buch «Biofabrication» (Verlag: Penguin Random House) erklärt sie auf Englisch allgemeinverständlich ihre Forschung. Letzte Woche sprach sie an der Wissenschafts- und Wirtschaftskonferenz «World Minds» in Zürich.

Bitte!
Wir können zielgenau Organe züchten, um dann neue Medikamente an diesen zu testen. So kann die Pharmaindustrie sehr viele Versuche an Tieren vermeiden. Dies spart Kosten und kann den komplizierten Prozess der Zulassung neuer Medikamente stark verkürzen. Und es minimiert Tierleid – genauso wie die Anwendung, Fleisch zu züchten, um es nachher zu essen.

Würden Sie selbst in Ihrem Labor gezüchtetes Fleisch essen?
Ich selbst bin schon seit jeher Vegetarierin. Ich würde es vielleicht ausprobieren. Aber ich sehe die Notwendigkeit nicht, weil mir nichts fehlt ohne Fleisch. Ich hätte aber keine ethischen Probleme.

Glauben Sie denn, gezüchtetes Fleisch hat eine Zukunft? Es hat ja doch einen gewissen Gruselfaktor.
Es gibt Studien dazu: Am ehesten tendieren junge Single-Männer dazu, im Labor gezüchtetes Fleisch zu akzeptieren. Am wenigsten akzeptieren es Frauen, die sich vegetarisch ernähren.

Ist denn Fleischzüchtung im Labor nicht genauso energieaufwendig wie Tierhaltung?
Aktuelle Studien zeigen, dass der Energieaufwand tatsächlich nur leicht darunter liegt. Aber was natürlich ganz eliminiert wären könnte, wäre das Tierleid. Auch Probleme mit dem Methanausstoss von Tieren, überdüngten Böden wegen Tierexkrementen sowie dem massiven Antibiotika-Einsatz wären gelöst. Unter dem Strich ist die Bilanz also positiv.

Wie sind Sie auf dieses Forschungsfeld gekommen?
Als Studentin der Ingenieurswissenschaften am MIT wollte ich eigentlich coole Raketen für die Weltraumforschung bauen. Bei einem obligatorischen Praktikum habe ich dann aber in einem Biologielabor gearbeitet und Testreihen betreut, die an Ratten untersuchten, wie unterschiedliche Ernährung und unterschiedliche Trainingsangebote sich auf die Tiere auswirken. Eigentlich langweilig – vordergründig.

Und hintergründig?
Fiel mir auf, wie unterschiedlich sich schon kleine Veränderungen in Diät und Training auswirkten und wie wenig es braucht, dass sich etwa Muskeln verstärken, dass sie heilen oder dass sie mit etwas Training Funktionen erfüllen können, die sie vorher nicht konnten. Und dass im Ingenieurswesen sozusagen mit «totem» Material gebaut wird: Wenn eine Maschine oder ein Roboter kaputt ist, bleibt das Ding kaputt und muss von Menschen repariert werden. Konventionell entwickelte Dinge können auch nur und einzig allein die Funktion ausführen, für die sie entwickelt wurden. Sollten sie etwas anderes tun, muss man etwas Neues bauen. Da kam mir die Idee: Wenn sich Roboter mit Muskeln fortbewegen würden, könnte man sie trainieren. Sie wären so für verschiedene Aufgaben adaptierbar und könnten sich selbst heilen.

Wir sprechen also von Robotern mit im Labor gezüchteter Muskelmasse?
Genau. Wir züchten Gewebe, es kann auch Haut oder Knorpel sein, und verbinden dieses lebende Gewebe mit Strukturen, sozusagen «Knochen», die unter anderem aus dem 3D-Drucker stammen. Die Muskeln befinden sich dabei in einer Art Zuckerlösung mit einigen Aminosäuren und ziehen daraus ihre Energie.

Wie weit ist dies fortgeschritten?
Wir haben eine Art Wurm von rund 3 Zentimetern Grösse entwickelt. Das «Skelett» stammt aus dem 3D-Drucker, gekoppelt daran ist ein Muskel, dessen Zellen wir wie bei der Maus genetisch so verändert haben, dass sie auf Lichtimpulse mit einer Kontraktion reagieren. Unter Lichtblitzen bewegt sich der gesamte Organismus in eine gewünschte Richtung. Schon bei dieser sehr einfachen Struktur haben wir gemerkt, dass sie mehr kann als ein einfacher Roboter: Sie kann sich heilen, und sie wird stärker, je länger sie trainiert.

Wo sehen Sie da zukünftige Anwendungen?
Langfristig, also einige Jahrzehnte vorausgesehen, im riesigen Feld der Robotik: Selbstheilende, sich auf ihre Umwelt adaptierende Roboter aus biologischen Komponenten könnten unglaubliche Ressourcen einsparen.

Ehrlich gesagt: Das biologische Züchten und Implantieren von Organen und Robotern klingt für mich ein bisschen nach Frankenstein. Könnte man sozusagen Organe mit «besseren» oder anderen Funktionen züchten und diese implantieren?
Es wäre hypothetisch möglich, solche Organe herzustellen. Ich kenne aber keine langfristigen Forschungsbemühungen dazu. Die meiste Forschung in diesem Feld fokussiert sich auf medizinische Anwendungen – etwa um Menschen, die wegen Unfällen oder Krankheiten nicht mehr gehen können, zu helfen.

Trotzdem: Würden Sie das selbst tun? Zum Beispiel, sich hypothetisch Augen implantieren lassen, die ein breiteres Lichtspektrum wahrnehmen?
Ich glaube tatsächlich, dass es interessant ist, darüber nachzudenken, wie neue Materialien unsere Körperfunktionen verbessern könnten. Aber ich müsste die Risiken genau kennen, und es müsste sichergestellt sein, dass sich etwaige Veränderungen meines Körpers nicht auf die nächste Generation niederschlagen würden.

Was sind die grössten ethischen Probleme Ihrer Forschung?
In der Medizin ist der Zugang zu den Anwendungen unserer Forschungen ein grosses Problem: Es darf nicht sein, dass nur reiche Menschen etwa von den Fortschritten in der Transplantationsmedizin profitieren können. Wenn man denkt, dass man etwa Muskeln mit stärkeren Muskeln ersetzen könnte oder wir unsere Sinne erweitern könnten und dies nur reichen Menschen offensteht, hätten wir eine noch ungerechtere Gesellschaft als jetzt schon.

Moment: Potenziell könnten sich also reiche Menschen in Zukunft echte Superkräfte kaufen?
Man kann sich tatsächlich vorstellen, dass in Zukunft die Technologie, die wir entwickeln, auch dazu benutzt werden kann, Muskeln nicht nur zu heilen, sondern stärker zu machen. Wichtig ist, dass wir immer die ethischen Implikationen unserer Forschung und ihre Auswirkungen auf die globale Gemeinschaft berücksichtigen.

Wie?
Wie in jedem anderen Bereich der Wissenschaft sind wir der Meinung, dass wir eng mit Ethikern, Politikern und der Öffentlichkeit über die von uns verfolgten Forschungslinien zusammenarbeiten sollten.

Sie sagten vorhin, Sie wollten der Menschheit etwas zurückgeben. Aber Ihre Forschungsarbeit ist zum grössten Teil vom US-Militär finanziert. Wie geht das zusammen?
Wir sind von diversen Quellen finanziert. Mir ist es deshalb nicht wohl, über eine der Quellen Auskunft zu geben.

Haben Sie eigentlich einige Ihrer Forschungsergebnisse patentieren lassen?
Ja, einige, am relevantesten ist wohl die Implementierung von im Labor gewachsenen Muskeln für Maschinen.

Denken Sie, Sie werden bald sehr reich damit?
Ich hoffe es doch! Aber mein Interesse liegt eher darin, mit meiner Forschung einen positiven Einfluss und Nutzen für die menschliche Gesundheit zu bieten.

Glauben Sie, erfolgreich zu sein, hat sich eingestellt, weil Sie konsequent Ihrer Leidenschaft gefolgt sind?
Oh nein! Ich empfinde diesen so oft jungen Menschen gegebenen Ratschlag, einfach seinen Interessen zu folgen, und dann stelle sich alles andere schon ein, sogar als verlogen! Natürlich sollte man etwas tun, das einem liegt. Man sollte sich aber, um ein erfülltes Leben zu führen, im Leben hauptsächlich überlegen, wie man mit seinen Neigungen und Talenten für die Gesellschaft von Nutzen sein kann.


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