Astrophysiker Sascha Quanz
«Ich rechne mit Hinweisen für Leben auf anderen Planeten»

Was ist Leben, und wo gibt es überall welches? Am neuen Forschungszentrum über den Ursprung und die Verbreitung des Lebens suchen Spitzenwissenschaftler interdisziplinär nach Leben auf Exoplaneten. Einer davon ist Astrophysiker Sascha Quanz (43).
Publiziert: 03.09.2022 um 18:31 Uhr
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ETH-Astrophysiker Sascha Quanz sucht nach Leben ausserhalb der Erde.
Foto: Marco Rosasco
Interview: Silvia Tschui

Herr Quanz, warum wird man eigentlich Astrophysiker, wenn es doch so viele Probleme hier unten auf unserer Erde gibt?
Sascha Quanz: Darauf habe ich zwei Antworten. Erstens: Grundlagenforschung sollte um der Grundlagenforschung willen betrieben werden. Wir haben noch nicht alles davon verstanden, was die Welt im Innersten zusammenhält und was es da draussen noch alles gibt. Das herauszufinden ist ein Drang, den wir Menschen schon immer hatten. Weil das die Menschheit und unser Verständnis für die Welt voranbringt.

Da könnte man aber auch Biologe oder Chemiker werden …
Natürlich! Aber persönlich haben mich Raumfahrt, Sterne und Galaxien und die Frage, ob es Leben da draussen gibt, schon seit meiner Kindheit gefesselt. Heute weiss ich: Astrophysik hilft zu verstehen, welchen Platz wir im Universum haben. Das geht zurück auf die Astronomie, als die Menschen festgestellt haben, dass die Erde eben nicht das Zentrum des Sonnensystems und dass die Sonne nicht das Zentrum des Universums ist. Für den Alltag hat das natürlich recht wenig Relevanz. Aber es hilft uns zu verstehen, wo wir herkommen und wo wir hingehören. Das hat auch eine psychologische Komponente.

Sie haben noch von einer zweiten Antwort gesprochen.
Ja, als Professor für Astrophysik bilde ich junge Menschen in Naturwissenschaften aus. Die sich also mit Zahlen und mit Wahrscheinlichkeiten auskennen, die Analysen erstellen und Probleme in Teilprobleme zerlegen können. Die meisten davon werden später nicht Astrophysiker, sondern ergreifen andere Jobs. Und es ist heutzutage, in einer Welt, die von Technologie geprägt ist und die unzählige Probleme zu lösen hat, sehr wichtig, dieses analytische Denken zu fördern und in unterschiedlichste Bereiche der Gesellschaft zu entlassen. Wir haben da einen gesamtgesellschaftlichen Bildungsauftrag.

Was genau ist der Zweck des an der ETH neu eröffneten Forschungszentrums, an dem Sie mitarbeiten?
Das «Centre for Origin and Prevalence of Life» (zu Deutsch ungefähr: «Forschungszentrum über den Ursprung und die Verbreitung des Lebens») will verstehen, wo Leben herkommt auf der Erde, wie es entstanden ist und ob es ausserhalb der Erde Leben geben kann.

Und, kann es irgendwo anders Leben geben?
Wir wissen es noch nicht. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Forschende der einzelnen Disziplinen, also Chemie, Biologie, Erdwissenschaften und Astrophysik, nicht mehr alleine weiterkommen.

Könnten Sie hierfür ein Beispiel geben?
Nein, schon wieder zwei! Man kann als Chemikerin versuchen, aus unbelebter Materie im Labor Schritte hin zur Biologie zu unternehmen. Man muss aber wissen, unter welchen Bedingungen diese Reaktionen vor vier Milliarden Jahren stattgefunden haben. Das ist kein konventionelles «Chemie-Wissen», sondern das Wissen der Erdwissenschaften. Es braucht also eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um solchen Fragen nachzugehen.

Und das zweite Beispiel?
Wenn wir nach Leben ausserhalb der Erde suchen, müssen wir zuerst wissen, was die Spuren sind, die das Leben überhaupt hinterlässt, zum Beispiel im Boden von Mars oder in der Atmosphäre anderer Planeten. Man kann als Planetologe eine Mission irgendwohin schicken, aber andere Disziplinen müssen uns helfen, zu definieren, wonach wir überhaupt suchen müssen – und wie die gefundenen Resultate dann zu interpretieren sind. Auch da braucht es diese Verbindungen zwischen den einzelnen Wissenschaften, weil wir diese grossen Fragen sonst weder stellen noch beantworten können.

Konnten Sie denn schon definieren, nach welchen Spuren Sie suchen?
Wir kennen bislang ja nur das Leben auf der Erde – und das funktioniert immer nach den gleichen Prinzipien. Jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen, wie würde dieses Leben in einem andern Umfeld aussehen. Wieder das Beispiel vom Mars: Der Mars bietet heute keine Bedingungen für Leben. Aber in der Frühphase vom Mars waren die Bedingungen auf der Oberfläche ziemlich anders. Deshalb schickt die Nasa auch Roboter hoch, um Spuren davon zu finden. Welche Spuren das sind, kann man wiederum auf der Erde beantworten. Ablagerungen in Gesteinen, gewisse chemische Fingerabdrücke sozusagen, gewisse Messungen, die man machen kann. Daraus könnte man schliessen, dass es auf dem Mars früher Leben gab.

Und wie suchen Sie nach Spuren von Leben auf weiter entfernten Planeten?
Da wir da nicht hinfliegen können, werden andere Marker wichtig. Leben verändert einen Planeten als Ganzes: Es verändert die Ozeane, die Landmasse und insbesondere die Atmosphäre – unseren Sauerstoff verdanken wir dem Leben, den Pflanzen. Einige solcher globalen Veränderungen können wir in Zukunft von der Erde aus auch bei Exoplaneten, also Planeten, die um andere Sonnen kreisen, nachweisen. Das ist ein Ziel der Astrophysik: zu verstehen, wie wir Instrumente entwickeln können, um diese Atmosphären genauer zu untersuchen. Wir suchen dann nach Elementen wie etwa Sauerstoff oder Methan.

Jetzt mal Klartext: Wie viele Planeten könnten Leben beinhalten?
Wir wissen aus der Exoplanetenforschung relativ gut, wie viele Planeten ungefähr die Grösse und Masse der Erde haben, deren Abstand von ihrer Sonne ähnlich ist, und die nicht aus Gas sind. Plus minus ist das ein Planet pro Stern. Es gibt Hunderte Milliarden Sterne in unserer Galaxie. Und dann existieren Hunderte Milliarden Galaxien im Universum.

Sind die Planeten, deren Daten Sie auswerten, nicht so weit weg, dass sie längst tot und erloschen sind, bis ihr Licht bei uns ist – und die Daten deshalb nutzlos sind?
Nein! Wir untersuchen ja Sterne und Planeten, die sich unserer Heimatgalaxie und in unmittelbarer Umgebung unserer Sonne befinden. Da ist das Licht nicht länger als ein paar Jahrzehnte unterwegs. Das ist sozusagen vor unserer Haustür!

Aber es braucht ja noch andere Bedingungen, damit Leben stattfinden kann. Bei kohlenstoffbasierten Lebensformen, sind das Wasser oder eine gewisse Temperaturbandbreite. Können Sie das bereits messen?
Nein. Unsere Teleskope sind noch nicht gut genug, auch das James-Webb-Teleskop ist nicht dafür gebaut worden. Wir entwickeln aber diese Teleskope immer weiter. Der nächste Schritt wird sein, Teleskope, die das Spektrum der Atmosphären erdähnlicher Exoplaneten messen können, ausserhalb der Erdatmosphäre zu bauen.

Moment – wo genau? Auf dem Mond?
Nein, das wären eine Art einzelne, im Weltraum positionierte Spiegel, die miteinander verbunden wären. Wir arbeiten an konkreten Plänen, dies zu entwickeln, und ich hoffe, dass wir in zwanzig, fünfundzwanzig Jahren so weit sind. Momentan sind wir aber noch verstärkt in die Entwicklung der nächsten Generation eines erdgebundenen Teleskops eingebunden: das «Extremely Large Telescope».

Ernsthaft? Das heisst so?
Ja, lustig, oder? Das letzte hiess: «Very Large Telescope». Das war acht Meter gross, das neue soll 39 Meter Durchmesser haben. Das Ziel ist, Bilder von Planeten neben ihren Sonnen zu machen. Dann können wir mittels des Lichts, das diese Planeten aussenden, eine sogenannte Spektrografie machen, also mittels einer Analyse der Lichtwellen ausrechnen, welche Atmosphäre der Planet hat. Aber weil unsere eigene Atmosphäre diese Messungen sozusagen stört, müssen wir die nächste Generation ausserhalb unserer Atmosphäre planen.

Können Sie jetzt schon mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit sagen: Da draussen muss es noch was geben oder nicht?
Leider noch nicht. Da wir noch nicht wissen, wie Leben überhaupt angefangen hat, und nicht wissen, ob das Zufall oder eine logische Konsequenz war, können wir auch noch nicht sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es anderswo Leben gibt.

Was halten Sie von den Marskolonialisierungsträumen eines Elon Musk?
Eigentlich ist es egal, ob das machbar ist oder nicht. Wir brauchen Menschen, die Dinge tun, die andere für unmöglich halten. Das hat eine riesige Strahlkraft und ist inspirierend. Vieles lernt man an keiner Uni, sondern es braucht einfach Mut, Dinge anzugehen, Grenzen zu verschieben. Solche Menschen bringen uns insgesamt als Menschheit und als Gesellschaft weiter – auch wenn ich das Projekt Marsbesiedlung an und für sich eher zwiespältig betrachte. Ob das funktionieren kann, ist wegen dieser enormen Strahlkraft und Innovationsbeschleunigung aber eigentlich gar nicht so wichtig.

Zum Schluss: Gehen Sie persönlich davon aus, dass wir in den nächsten zwanzig Jahren Hinweise für das Leben auf Exoplaneten finden?
Ja!

Würden Sie sich darüber freuen, oder ist das nicht eher Anlass zur Sorge?
Ich würde mich freuen. Es wäre der letzte Schritt, um eine fundamentale naturwissenschaftliche und philosophische Frage nach dem Leben und unserer Stellung im Universum zu klären.

Aber in einer je nach Region tiefreligiös geprägten Welt könnte die Ankündigung von Leben auf anderen Planeten für grosse Spannungen, für Terroranschläge und Kriege sorgen.
Absolut. Ich persönlich habe in letzter Zeit angefangen, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich bin jedoch kein Experte. Es gibt aber mittlerweile global gesehen unzählige, miteinander vernetzte Forschungsgruppen, die ein Konzept zu entwickeln versuchen, wie man solche Forschungsresultate kommunizieren könnte, um solche Folgen zu verhindern.


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