Er entwickelt einen neuen Master-Studiengang an der ETH Zürich für Weltraumsysteme
«Wir bauen hier zwar keine Raketen, aber…»

Ab Herbst 2024 können Studentinnen und Studenten an der ETH lernen, wie man Weltraumsysteme entwickelt. Wissenschaftler Simon Stähler (41) stellt aktuell die Lerninhalte zusammen. Mit Blick spricht er über die Notwendigkeit des Studiengangs, Inhalte und Wunschstudenten.
Publiziert: 02.03.2024 um 19:11 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2024 um 19:27 Uhr
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Simon Stähler entscheidet aktuell darüber, welche Inhalte am neuen «Space Master»-Diplom an der ETH gelehrt werden.
Foto: Thomas Meier
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Herr Stähler, die ETH bietet bald einen neuen Studiengang namens «Space Systems» an. Was bedeutet das überhaupt?
Stähler: Primär wird das ein Ingenieurstudium sein. Wir wollen Leute so ausbilden, dass sie sowohl ganze Raumschiffe als auch einzelne Systeme innerhalb von Raumschiffen, Raketen und Satelliten entwickeln können. Also unterschiedlichste Instrumente und Systeme, die man in der Raumfahrt braucht. 

Können Sie konkretere Beispiele nennen?
Es gibt natürlich unzählige Instrumente, die für das Funktionieren eines Raumschiffs vonnöten sind: Energieversorgung, Kommunikation, Antrieb. Aber wichtig ist dazu das Verständnis der Hauptmission der meisten Raumfahrtsprojekte: Daten sammeln. Die Entwicklung von Instrumenten zu dieser Datenerhebung, die Datenerhebung selbst sowie die Auswertung der im Weltraum gesammelten Daten ist ein zweiter Schwerpunkt des Studiengangs. Ein dritter ist es, das Verständnis dafür zu fördern, warum man überhaupt etwas baut. 

Das klingt philosophisch …
Nein, das meine ich ganz konkret: Will man eine Sonde zum Mars schicken und baut man diese, dann kann eine höchst spezialisierte Wissenschaftlerin einem Ingenieur natürlich erklären, was sie braucht. Weiss aber der ausführende Ingenieur nicht genau, was sie mit diesen Daten bezwecken will, wofür sie sie erheben will, ist es selbst für den besten Ingenieur der Welt schwierig zu erkennen, ob es vielleicht eine einfachere, billigere Lösung gäbe, mit der die Wissenschaftlerin auch zufrieden wäre. Es ist viel effizienter, wenn die auf Raumfahrt spezialisierten Ingenieurinnen und Ingenieure über ein Grundverständnis von den Anwendungen verfügen. Wir haben aber auch noch weitere Schwerpunkte!

Welche?
In der Schweiz besteht bereits eine hervorragende Innovationskultur und -förderung mit vielen kleinen Start-ups. Die entwickeln teilweise jetzt schon höchst spezialisierte Einzelinstrumente für die Raumfahrt. Hierfür müssen sie aber Fundraising betreiben, Marketing, sie müssen eine Businessstrategie entwickeln – auch Business ist also Teil des Studiums. Insgesamt wird der Studiengang hauptsächlich ein Ingenieurstudium sein, ergänzt durch Wissenschaft, etwas Ökonomie und einen weiteren Fokus auf Nachhaltigkeit im Weltraum.

Wozu braucht es den gezielten «Space Systems»-Master?
Es herrscht jetzt bereits grosser Fachkräftemangel, und die Branche wächst global stark. Bereits heute macht sie weltweit gesehen jährlich 400 bis 500 Milliarden Dollar Umsatz. Es besteht also eine unglaubliche Nachfrage seitens der Space-Industrie nach Abgängern. Ausserdem werden die Absolventen und Absolventinnen auch in anderen Branchen dringend gebraucht: Weltraumforschung ist essenziell für die Bekämpfung des Klimawandels, die Optimierung der Landwirtschaft, unsere Kommunikationsnetzwerke usw.

Auch in der Schweiz? Wir sind doch nicht wirklich eine Weltraum-Nation …
Doch! Die Raumfahrts-affine Industrie ist in der Schweiz viel, viel grösser, als man denkt. Und sie wächst. Wir bauen hier zwar keine Raketen, aber es gibt unzählige Firmen und Start-ups, die Einzelteile und Einzelinstrumente für die Raumfahrt herstellen und mit grossen Raumfahrtbehörden wie ESA und Nasa und grossen Firmen zusammenarbeiten. Zum Beispiel stammen die sogenannten Fairings, die grossen Verkleidungen an der Spitze europäischer und amerikanischer Raketen, alle von der Firma Beyond Gravity aus der Schweiz – ausser bei SpaceX, die machens selber. 

Ist der Master auch teilweise von der Industrie finanziert?
Die Anschubfinanzierung stammt natürlich aus dem ETH-Budget. Aber es gibt sehr grosses Interesse seitens der Industrie, Kooperationen einzugehen. Das könnte sich so niederschlagen, dass unsere Studierenden Abschlussarbeiten in der Industrie durchführen und Start-ups unserer Studierenden und Abgänger unterstützt werden. Oder dass wissenschaftliche Projekte mitfinanziert werden.

Was für wissenschaftliche Projekte wären dies konkret?
Heutzutage gibt es private Firmen, die etwa «Lieferungen» zum Mond anbieten – gerade letzte Woche ist die Sonde «Odysseus» der US-Firma Intuitive Machines erfolgreich auf dem Mond gelandet. Eine solche Kooperation, bei der eine private Firma hilft, etwa eine wissenschaftliche Mission unserer Studenten im Weltraum oder auf dem Mond zu platzieren, wäre natürlich ein Traum!

Können Sie Namen nennen, wer bereits Interesse an Kooperationen bekundet hat?
Das ist leider noch geheim – aber es sind sowohl grosse internationale Weltraumagenturen als auch grosse Firmen, aber auch kleinere Unternehmen. Die Anwendungsfelder sind riesig, es gibt unzählige Firmen, die nur ein kleines spezielles Gerät oder einen Spezialsensor bauen, der im Weltraum zur Datenerhebung benutzt wird – ein Teil eines Teleskops vielleicht. Grundsätzlich kann man sagen: Wer komplexe Systeme versteht und entwickeln kann, ist auch in anderen Industrien gefragt, zum Beispiel im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie. Deshalb ist das Feld so riesig, deshalb besteht eine so riesige Nachfrage nach Abgängern.

Wie wird das Studium aufgebaut sein?
Am Anfang wird der Besuch von Grundlagen-Vorlesungen stehen. Zum einen Planetologie, da gehört unter anderem dazu, wie man etwa Spuren von Leben auf anderen Planeten sucht, was eine Atmosphäre braucht, um Leben zu ermöglichen, Astrobiologie usw. Und das andere ist Erdbeobachtung. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt Satelliten im Weltraum platzieren.

Die sind doch bereits zu Tausenden platziert?
Grosse Satelliten, ja – aber auch die brauchen Wartungs- und Optimierungsarbeiten. Die Tendenz geht aber dahin, global gesehen auch sehr kleinskalig die Erde zu beobachten. Bereits jetzt existieren kleine Satelliten, die nur etwa die Grösse von ein, zwei Schuhboxen haben. Die haben eine kleinere Auflösung, vielleicht nur drei mal drei Meter Bodenauflösung.

Wofür nutzt man diese?
Platziert man viele hintereinander, wird zum Beispiel genau ersichtlich, welches Feld in der Schweiz besonders trocken war im Sommer und welche Pflanzen wie darauf reagiert haben. Das kann man bereits jetzt vom Morgen bis zum Nachmittag metergenau unterscheiden. Aber auch unzählige andere Daten können diese Systeme erheben, etwa Fliessgeschwindigkeiten von Gewässern, den Kriegsverlauf in der Ukraine, wie sich Wälder entwickeln, wie Eis in Bergseen wächst oder schmilzt oder den Verkehrsfluss in Städten. Solche Prozessbeobachtungen zu optimieren, ist essenziell, um etwa den Klimawandel genau zu beobachten und neben globalen auch lokal gezielte Massnahmen treffen zu können. Expertinnen und Experten in diesem Feld sind auch hier vor Ort von verschiedenen Firmen und Behörden sehr gesucht.

Stichwort Klimawandel: Auch die Entwicklung von Raumschiffen und Satelliten braucht Ressourcen …
Ja, deshalb ist Nachhaltigkeit auch ein grosses Thema in unserem Studiengang. Es macht keinen Sinn, Satelliten in den Weltraum zu schiessen, um den Klimawandel zu beobachten, und ihn damit gleichzeitig selbst zu fördern. Es braucht deshalb saubere Kosten-Nutzen-Rechnungen sowie ein Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft.

Zurück zum Studiengang: Was folgt nach den Grundlagen-Vorlesungen?
Die Studierenden werden viel Zeit zusammen verbringen, mehr als in anderen Ingenieurstudiengängen, damit sie miteinander lernen, in diversen Teams zu arbeiten. Dazu können sie sich vertiefen, etwa auf Robotik, Planetenforschung oder Kommunikationssysteme. Im dritten Semester kommen sie wieder mehr zusammen, um gemeinsam ein System zu entwickeln oder in Fallstudien, etwa über SpaceX oder das Space Shuttle, zu verstehen, wie man so grosse Projekte angehen kann.

Wer ist Ihr idealer Student, Ihre ideale Studentin?
Am wichtigsten ist die Begeisterung für den Weltraum. Zudem ist ein bereits entwickeltes, mathematisch-physikalisches Grundverständnis Voraussetzung. 

Also ausschliesslich Mathematik- und Physikstudierende, die bereits einen Bachelor absolviert haben?
Nein, gar nicht! Der Studiengang ist viel offener, als man meinen könnte: Auch Absolventen und Absolventinnen von Ingenieurstudiengängen oder naturwissenschaftlichen Studiengängen aller Schweizer Universitäten sind höchst willkommen. Wir wollen übrigens, dass sich auch Abgängerinnen von Fachhochschulen bewerben. Sie haben technisch manchmal sogar einen Vorsprung gegenüber Hochschulabsolventen. Wir sind sehr gespannt darauf, was diese Kandidaten und Kandidatinnen mitbringen. Zusätzlich gibt es auch das sogenannte Aufnahmeverfahren mit Auflagen, hierbei können Bachelor-Abgänger einzelne spezifische Mathematik- oder Physikinhalte nachholen. Die ETH bietet hierfür spezielle Vorlesungen und Kurse an. Wir wollen in diesem ersten Durchgang auch selbst lernen. Wir wollen wissen, was die verschiedenen Schweizer Hochschulen und Studiengänge ihren Absolventen und Absolventinnen vermitteln und wie wir daraus ein Team bauen können, in das alle ihre Stärken einbringen.

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