Vor allem junge Erwachsene greifen in Konfliktsituationen immer häufiger zu Stichwaffen. Während 2015 schweizweit nur zwei unter 18-jährige Personen wegen Verübens eines vollendeten oder versuchten Tötungsdelikts mit Schneid- oder Stichwaffen polizeilich registriert wurden, waren es 2021 bereits 18. Das seien eindrückliche Zahlen, sagte Gewalt- und Präventionsspezialist Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gegenüber Blick in einer Einordnung zum Thema Messergewalt.
Der jüngste Schweizer Fall von massiver Messergewalt ist besonders tragisch: In Zürcher Friesenbergquartier tötete ein Jugendlicher, der sich stritt, am Donnerstag einen Mann, der schlichten wollte. Das wirft die Frage auf, wie und ob man überhaupt Zivilcourage zeigen kann, wenn man damit rechnen muss, von Stichwaffen schwer verletzt zu werden.
Generell sei es fraglich, ob man jemanden in so einer gefährlichen Situation zum Eingreifen ermutigen solle, sagt Andi Geu (49) von Stattgewalt.ch – einem Projekt des Vereins NCBI (National Coalition Building Institute), das sich mit Gewaltprävention und Konfliktlösung auseinandersetzt. Die wichtigste Verhaltensregel für jemanden, der in einen Konflikt hineingezogen wird, sei nun mal, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. «Das macht andere Tipps im Zusammenhang mit Zivilcourage schwierig ausführbar.»
Das Gespräch suchen – dafür kann es bereits zu spät sein
Zu diesen Tipps gehört zum Beispiel, ruhig zu bleiben, das Gespräch mit dem Angreifer zu suchen und Solidarität mit dem Opfer zu zeigen, indem man es zum Beispiel auffordert, zu einem herüberzukommen. Wenn der Täter in diesem Moment bereits ein Messer gezückt hat, ergibt wenig davon Sinn. In so einer Situation könne man nur etwas machen, das garantiert richtig sei, sagt Geu. «Die Polizei rufen und in sicherer Distanz bleiben.»
Wenn weitere Leute den Vorfall beobachten, könne man auch jemand anderen auffordern, die 117 zu wählen, fügt er an. Weil sich in einer Gruppe Passanten oft niemand richtig verantwortlich fühlt, müssen Einzelpersonen direkt angesprochen werden. Im Stil von: «Sie mit dem blauen Pulli, holen Sie Hilfe.»
«Hören Sie auf!»
Er selbst würde, sagt Geu, in so einer Situation mit genügend Abstand in Richtung Täter rufen, dass die Polizei informiert sei und immer wieder Aufforderungen an ihn richten wie «Es reicht jetzt!» oder «Hören Sie auf!». In Zivilcourage-Tranings wird empfohlen, generell nie jemanden zu duzen. Zusätzlich wichtig: Die Person, die man adressiert, mit festem Blick ansehen und nicht unterwürfig flehen. Aber auch nicht drohen. Geu: «Und auf keinen Fall versuchen, der Person das Messer wegzunehmen.»
Helfende, die überraschend mit einem Messer attackiert werden, können wegrennen, falls das möglich ist, oder versuchen, sich selbst zu verteidigen. Einen Messerangriff abzuwehren, ist allerdings hohe Kunst, die manche Kampfsportler regelmässig trainieren. Wenn du dir das folgende Video ansiehst, hast du vielleicht trotzdem bessere Chancen, eine Attacke unverletzt zu überstehen.