«Schweizer schauen relativ düster in die Zukunft»
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Professor Krafft über Hoffnung:«Schweizer schauen relativ düster in die Zukunft»

Interview mit Hoffnungsforscher Andreas Krafft
«Viele glauben, dass es nur noch schlechter werden kann»

Alles andere als rosig: Der Grossteil der Bevölkerung blickt pessimistisch in die Zukunft. Warum uns das trotzdem Hoffnung machen darf, weiss Andreas Krafft (56). Der HSG-Professor forscht seit über zehn Jahren zu dieser zutiefst menschlichen Eigenschaft.
Publiziert: 07.01.2023 um 20:57 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 11:57 Uhr
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Andreas Krafft ist Professor an der HSG und forscht zum Thema Hoffnung.
Foto: Zamir Loshi
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Der Weg zu Andreas Krafft führt über eine 280 Meter lange Hängebrücke im Goms. Das 1200 Meter über Meer liegende Tal ist grün. Dort hat der Zukunftsforscher ein Chalet. Er forscht seit Jahren zum Thema Hoffnung.

Herr Krafft, dürfen wir auf Schnee hoffen?
Andreas Krafft:
Dürfen schon, aber es bringt nicht viel. Wenn man sich auf etwas fixiert, das unbedingt geschehen muss, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Enttäuschung ziemlich gross. In diesem Fall wäre das die Hoffnung, dass es wieder so viel Schnee gibt wie früher. Das ist ein Wunsch, der auf Angst basiert, also dass es nicht schneit. Psychologisch gesehen ist das genau das Gegenteil von Hoffnung. Man fixiert sich aufs Negative und sieht nur, was falsch laufen kann. Tatsache ist, dass schon jetzt ein paar Skilifte in den unteren Regionen geschlossen haben.

Trotz schlechter Prognosen blickt er hoffnungsvoll in die Zukunft: Andreas Krafft forscht zu dem Thema.
Foto: Zamir Loshi

Aber genau das macht doch hoffnungslos.
Das ist Resignation, man gibt auf. Aber Hoffnung bedeutet, sich für neue Möglichkeiten zu öffnen. Wenn es keinen Schnee gibt, braucht es neue Ideen. Man kann keinen Schnee herbeizaubern, und das wird sich mit der Entwicklung des Klimas in den nächsten Jahren noch verschärfen.

Was soll man tun?
Das ist kein Problem, das sich kurzfristig lösen lässt. Aber Not macht erfinderisch, das hat sich schon in der Pandemie gezeigt. Als vor zwei Jahren der Lockdown kam, standen hier in der Region anfangs alle mit zitternden Knien da. Und dann wurde es das erfolgreichste Jahr der regionalen Hotellerie und Gastronomie.

Keine Hoffnung auf Schnee: tiefgelegene Skigebiete müssen schliessen.
Foto: Keystone

Sie forschen zu Hoffnung, was bedeutet das genau?
Hoffnung ist immer mit Unsicherheit verbunden. Ohne die Möglichkeit der Enttäuschung gibt es auch keine Hoffnung. Sie entsteht aus der Krise. Dieses Wort kommt aus dem Griechischen und heisst Wendepunkt, es kann also besser oder schlechter werden. Dabei geht es aber nicht um Optimismus, das ist etwas anderes.

Wo liegt der Unterschied?
Beim Optimismus geht man davon aus, dass es gut wird. Hoffnung bedeutet, dass ich nicht weiss, ob es gut wird. Aber ich glaube daran, dass ich etwas tun kann, um die Situation zu verbessern.

Ist Hoffnung also realistischer?
Ja, auf jeden Fall. Denn sie geht von der Wahrnehmung der schwierigen Situation aus. Hoffnung ist nicht einfach Wunschdenken, sondern beginnt dort, wo man weiss, dass die Dinge nicht gut laufen. Das ist in der heutigen Zeit so, man kann nicht mehr optimistisch sein.

Warum?
Bezüglich Umwelt, Krieg und Sozialem blicken die Menschen pessimistisch in die Zukunft. Das geht schon seit mehreren Jahren in diese Richtung und hat sich noch verstärkt. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung glauben, dass sich die Lebensqualität in den nächsten 20 Jahren verschlechtern wird. Nur zwölf Prozent stellen sich vor, dass es besser sein wird als heute. Das zeigt das Hoffnungsbarometer, das wir zusammen mit swissfuture veröffentlichen, dieses Jahr zum 14. Mal.

Woher dieser Pessimismus?
Es ist die erste Generation, die nicht glaubt, dass ihr Leben besser sein wird als das ihrer Eltern. In der Vergangenheit gab es diese Erwartung, und sie wurde auch erfüllt. Bei mir war das noch so, meine Eltern haben nicht studiert, ich hatte diese Möglichkeit. Sie konnten nicht viel reisen, sondern sind für ein besseres Leben nach Argentinien ausgewandert. Ich konnte es mir leisten, die Welt kennenzulernen, und habe ein Eigenheim und Ferienhaus mit meiner Familie. Jetzt sind wir in einer Zeit angelangt, in der diese Vorstellung einer kontinuierlichen Verbesserung nicht mehr greift.

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Woran liegt das?
Weil wir das, was wir im 20. Jahrhundert erreichen wollten, bereits haben: Wohlstand. Und zwar auf einem so hohen Niveau, dass wir vor der natürlichen, aber teils auch traurigen Situation stehen, dass viele Menschen glauben, dass es nur noch schlechter werden kann.

Also der Zenit ist erreicht, wie einst im Römischen Reich, jetzt gehts nur noch bergab?
So erleben es viele Menschen. Die grossen Probleme unserer Zeit haben aber nicht mit Wirtschaft zu tun, sondern mit unserer Umwelt und sozialen Themen. In ärmeren Ländern wie Nigeria, Indien oder Kolumbien hofft man noch auf wirtschaftliches Wachstum und somit bessere Lebensbedingungen. Weil es dort noch Potenzial gibt, sind die Menschen auch hoffnungsvoller, vor allem die junge Generation im Vergleich zu hier.

Für Interview gehts über die 280 Meter lange Hängebrücke im Goms: Andreas Krafft mit Sonntagsblick-Redaktorin Katja Richard.
Foto: Zamir Loshi

Was macht den jungen Menschen in der Schweiz das Leben so schwer?
Es ist diese Hilflosigkeit, die sie teils erleben, insbesondere in Bezug auf die Umwelt. Sie haben das Gefühl, nichts ändern zu können, und das führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Das, was sie haben, wird ihnen genommen, und das, was dringlich ist, erscheint unmöglich.

Geht es auch Ihren Kindern so?
Ja, sie sind jetzt um die 20 Jahre alt. Seit sie auf der Welt sind, gibt es kein kollektives Erlebnis, das eine massive Verbesserung in der Gesellschaft spürbar macht. In Kolumbien zum Beispiel hat man den Bürgerkrieg grösstenteils überwunden, die Menschen können wieder auf die Strasse, ohne Angst zu haben. Oder in Indien sind die Kasten nicht mehr so streng getrennt, die Wirtschaft boomt seit Jahren. Die Menschen dort wissen zwar, dass sie nicht im Paradies leben, aber sie nehmen positive Veränderungen wahr und haben Perspektiven.

Und es sind auch keine in Aussicht?
Nicht auf die Schnelle, denn unsere Gesellschaft steht vor Herausforderungen, die sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Die ständige Konfrontation mit negativen Themen setzt vor allem jungen Menschen zu.

Warum?
Sie haben noch kaum die Erfahrung gemacht, dass Krisen überwunden werden können. Das ist wie mit der ersten Liebe, die zerbricht. Das fühlt sich furchtbar tragisch an. Erst mit der Zeit lernt man, dass Schwierigkeiten zu bewältigen sind. Darum sind ältere Menschen hoffnungsvoller.

Wie kann man jungen Menschen Hoffnung machen?
Wir gehen mit Hoffnungswerkstätten an Schulen, um den Jugendlichen wieder zu ermöglichen, an das Gute zu glauben, und zu zeigen, dass nicht alles verloren ist. Erst mal geht es darum zu erkennen, dass nicht alles so schlecht ist, wie es aussieht. Es gibt einfache Übungen aus der Positiven Psychologie, die helfen, die Perspektive zu wechseln. Die kann jeder ausprobieren.

Wie funktionieren die?
Schreiben Sie sich jeden Abend drei positive Dinge auf, die Sie erlebt haben. Das fällt anfangs vielen schwer, weil wir uns automatisch aufs Negative fokussieren. Denn wir sind darauf konditioniert, negative Erlebnisse aufmerksamer und emotional tiefer zu erleben. Dafür können wir nichts. Das kommt aus dem Überlebenstrieb, er ist in uns verankert, so wie bei Tieren: Bei Gefahr müssen wir sofort flüchten oder kämpfen.

Aber wir sind Menschen ...
Ja, wir haben uns weiterentwickelt. Wir haben die Vorstellungskraft, uns ein besseres Leben zu wünschen, und den Glauben und das Vertrauen, dass es trotz Hindernissen und Rückschlägen möglich ist. Das ist es, was Hoffnung ausmacht und uns als Menschheit vorangebracht hat. Das zeigt der Blick zurück in unsere Geschichte.

Zum Beispiel?
Die Französische Revolution im 18. Jahrhundert. Auch wenn es lange nicht so aussah, als würde es zum Ziel führen, haben die Menschen dank ihren Idealen und Wünschen durchgehalten. Damals war die grosse Hoffnung die Freiheit. Die brauchte es, um mit der industriellen Revolution mehr Wohlstand zu erlangen. Dann kam der Wunsch nach Gerechtigkeit, jene zwischen Völkern oder Frauen und Männern. Jedes Jahrhundert hat die Voraussetzungen für das nächste geschaffen, zuerst die Freiheit, dann der Wohlstand und die Gerechtigkeit. Das baut alles aufeinander auf.

Und was ist die Hoffnung des 21. Jahrhunderts?
Das Wohlbefinden, Friede, Harmonie und eine nachhaltige Umwelt. Und es wird das Jahrhundert der Frauen, in meinen Vorlesungen an der HSG sind die Studentinnen oft in der Überzahl. Vielen wird bewusst, dass uns noch mehr Geld nicht glücklicher machen wird. Und dass einige davon sehr viel mehr bekommen und andere weniger. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird grösser.

Hoffnungsforscher

Aufgewachsen ist Andreas M. Krafft in Argentinien, seit 1995 lebt er mit seiner Familie in der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren ist er Dozent an der Universität St. Gallen (HSG) sowie Management-Trainer und -Berater mit Schwerpunkt in der Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie. Als Associate Researcher am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG), Co-Präsident von swissfuture (der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung) sowie Vorstand der Swiss Positive Psychology Association leitet er das internationale Forschungsnetzwerk des Hoffnungsbarometers.

Zamir Loshi

Aufgewachsen ist Andreas M. Krafft in Argentinien, seit 1995 lebt er mit seiner Familie in der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren ist er Dozent an der Universität St. Gallen (HSG) sowie Management-Trainer und -Berater mit Schwerpunkt in der Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie. Als Associate Researcher am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG), Co-Präsident von swissfuture (der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung) sowie Vorstand der Swiss Positive Psychology Association leitet er das internationale Forschungsnetzwerk des Hoffnungsbarometers.

Wir leben ja auch in einer Zeit der Polarisierung.
Ja, weil wir uns auf das Negative fokussieren. Wer sein Gärtchen abtrennt, ist von der Angst getrieben, etwas zu verlieren. Wenn man davon ausgeht, dass der Kuchen nicht grösser wird, ist der natürliche Instinkt, sich zu verteidigen. Man kämpft um seinen Teil, damit ja nicht jemand anders bekommt, was einem zusteht. Das ist die Angst zu verlieren, statt die Hoffnung zu gewinnen. Gewinnen können wir in der aktuellen Situation aber nur gemeinsam.

Klimakrise und Kriege, das sind überwältigende Probleme.
Es braucht einen langen Atem, denn wir wissen nicht, ob es gut wird. Wir können sogar davon ausgehen, dass es das nicht wird. Das heisst nicht, dass wir die Hoffnung aufgeben müssen oder sogar dürfen. Entweder begreifen wir das jetzt und handeln. Oder wir halten an alten Strukturen fest und fechten Verteilungskämpfe aus. Und dann tut es halt weh, und es geht noch 20 oder 30 Jahre weiter wie bisher. Entweder wir lernen, oder wir leiden.

Was ist Ihre Prognose?
Persönlich glaube ich an eine universelle, positive Kraft, welche die Menschheit voranbringt. Wenn man die Situation von heute mit 1923 vergleicht – da waren die Aussichten auch nicht rosig. Die Leute sind aus der Schweiz ausgewandert, weil sie Hunger hatten. Das hat sich komplett geändert. Damals konnte man sich kaum vorstellen, dass wir heute im Überfluss leben und uns Sorgen um die Figur machen.

Woraus schöpfen wir Hoffnung?
Sie ist ein zutiefst menschliches Phänomen und beginnt mit unserer Geburt. Als Säuglinge konnten wir überhaupt nichts, nur schreien, ab und zu mal lachen und schlafen. Aus dieser Abhängigkeit entsteht dieses Spannungsfeld zwischen Urangst und Urvertrauen. Mit der Zeit lernt man, auf eigenen Beinen zu stehen. Hoffnung gründet auf Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt und Vertrauen sowie auf Offenheit für Neues und den Glauben an das Gute – trotz all dem Bösen auf dieser Welt. Darauf baut die eigene Willenskraft auf. Ohne Hoffnung ist menschliches Leben kaum möglich. Man sagt nicht umsonst: Die Hoffnung stirbt zuletzt.


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