Blick: Frau Blum, was ist Kreislaufwirtschaft?
Nicola Blum: Es gibt unterschiedliche Definitionen. Eine, die sich durchgesetzt hat, fusst auf drei Punkten: Produkte so lang wie möglich auf höchstem Niveau wiederzuverwerten, Abfall zu vermeiden und die Natur zu regenerieren. Der Grundgedanke ist, dass unsere Materialien endlich sind und uns irgendwann ausgehen werden. Es geht deshalb darum, den Lebenszyklus von Produkten, aber auch die Systeme dahinter so zu denken, dass Materialien und Produkte möglichst «endlos» leben.
Und wie erreicht man das?
Ein Ansatz ist etwa, sich Gedanken darüber zu machen, ob man Produkte besser teilt, als sie zu besitzen. Sharing Economy nennt sich das. Da gibt es hierzulande bereits einiges, andere Länder sind uns aber weit voraus.
Was gibt es bei uns?
Ein Beispiel ist Mobility. Es macht wirtschaftlich und ökologisch viel mehr Sinn, insbesondere in Städten, ein Auto zu mieten und zu teilen, statt eines zu kaufen. Wegen der grauen Energie, die es zur Herstellung von Autos braucht. Und weil dann weniger Autos parkiert werden müssen und dieser Platz genutzt werden kann, um beispielsweise Bäume zu pflanzen.
Und wie sind uns andere Länder in der Sharing Economy voraus?
Ein Konzept, mit dem eine niederländische Firma bereits ziemlich erfolgreich arbeitet, ist, Küchen modular herzustellen und sie den Konsumenten zu vermieten, anstatt sie zu verkaufen. Modular bedeutet in diesem Sinn, dass man einzelne Teile zum Ganzen passend austauschen oder ergänzen kann. Das ist gekoppelt mit einem Service, der die gewünschten Elemente austauscht oder repariert.
Moment: Was, wenn etwas kaputtgeht?
Das ist im Mietpreis einberechnet. Das Schöne daran ist: Für Hersteller bedeutet das einen Anreiz, besser zu produzieren. Hersteller sind daran interessiert, dass ihre Produkte kaputtgehen, damit der Konsument möglichst wieder kauft. Ist der Produzent aber Vermieter, liegt sein Interesse darin, möglichst lang haltbare Produkte herzustellen, damit sie möglichst lang Gewinn in Form von Miete abwerfen. Es ist so also wirtschaftlicher, möglichst nachhaltig und qualitativ hochwertig zu produzieren. Win-win-win: Der Konsument ist flexibler, der Produzent spart bei der Herstellung, und die Umwelt wird weniger belastet, da weniger Ressourcen verbraucht werden.
Wenn weniger produziert wird, fehlen dann nicht auch Arbeitsplätze? Schadet das unserer Wirtschaft nicht mehr, als es nützt?
Kreislaufwirtschaft bedeutet nicht, dass weniger konsumiert wird, sondern anders und anderes. Um beim Küchenmietmodell zu bleiben: Vielleicht braucht es tatsächlich weniger Schreiner, die die Elemente herstellen. Dafür gibt es neue Arbeitsplätze im Bereich der Dienstleistungen: in der Verwaltung, im Kundendienst, bei Monteurstellen.
Möchten die Leute nicht lieber Dinge besitzen, statt sie zu teilen?
Einige bestimmt, dagegen ist auch nichts einzuwenden. Natürlich gibt es Leute, die ihr Auto besitzen wollen, weil es für sie wichtig ist. Aber ein Auto bedeutet auch viel Aufwand: jedes Jahr Reifenwechsel, Kontrollen, Parkplatzmiete, Versicherungen und Reparaturen. Bei einem Carsharing wie Mobility entfällt das: einsteigen, losfahren und wieder hinstellen, fertig. Sharing Economy kann ein angenehmeres Konsumverhalten sein, als für Besitz die Verantwortung zu tragen.
Sie haben noch von vielen anderen Ansätzen gesprochen, was sind die?
In der Schweiz sind wir sehr weit im Recycling. Von Glas, von Papier, von Aluminium und von PET. Am besten ist es, wenn Ausgangsmaterialien wieder zum selben Material werden, je näher das neue Produkt dem Ausgangsprodukt ist, je weniger Verarbeitungsschritte es braucht, desto besser. Also Papier zu Papier, Glas zu Glas, PET-Flaschen wieder zu PET-Flaschen. Alle anderen Wiederverwertungen sind schlechter: etwa die Verwertung von PET, um daraus Textilien herzustellen. Für solche Prozesse erstellen wir Analysen, um genau abschätzen zu können, wie der ökologische und ökonomische Nutzen ist.
Weshalb ist das schlechter?
Es handelt sich um sogenanntes Downcycling: Aus dem Kleidungsstück kann nicht wieder eine Flasche gemacht werden, das Kleidungsstück landet vermutlich später im Abfall, und das Material ist verloren – ein Beispiel für ungenügend durchdachte Kreislaufwirtschaft. Es ist für die Umwelt aber immer noch besser, als dieses PET einfach zu verbrennen. Textilien sind übrigens ein Paradebeispiel für gutes und schlechtes Recycling.
Inwiefern?
Wenn man sie sehr lang trägt, ist es am besten. Wenn man sie flickt oder teilt, ist das immer noch sehr gut – es gibt auch in Schweizer Städten bereits sogenannte «Shared Wardrobe»-Modelle. Der Secondhand-Markt ist bereits etwas schlechter, wegen der grösseren Transportwege. All dies ist aber immer noch viel besser, als alte Kleider zu Texaid zu geben, wo vieles wegen schlechter Qualität ausgemustert und verbrannt wird. Und am allerschlechtesten ist es, sie einfach wegzuwerfen. Ich plädiere also: Kaufen Sie, wenn neu, dann qualitativ hochwertig und zeitlos. Damit Sie Ihre Kleidung jahrelang tragen können. Das alles ist aber nicht das ultimative Ziel der Kreislaufwirtschaft.
Was ist denn das ultimative Ziel?
Dass Wirtschaft, Forschung und Entwicklung dahin gehen, dass jedes neue Material so hergestellt wird, dass bereits die weiteren Verwertungen wie auch der Abbau mitgedacht werden. Man muss deshalb unter anderem auch beginnen, die Produkte anders zu designen.
Wie denn?
Ich benütze wieder das Wort modular: dass Produkte so designt werden, dass sie einfach auseinandergenommen und die Einzelteile ohne grossen Trennungsaufwand weiterverwertet werden können. Heute gibt es viele Produkte, die das Gegenteil sind: etwa fest verbundene Holz-/Kunststoff- oder Metall-/Kunststoff-Elemente wie etwa Fenster in der Bauindustrie, die man nicht so einfach trennen und dann wiederverwerten kann. Mit solchen fest verbundenen Produkten produziert man eine Einmal-Nutzung, die schliesslich im Sperrmüll landet oder verbrannt wird. Das ist ökologischer und wirtschaftlicher Unsinn.
Nicola Blum hat Maschinenbau und Technologiemanagement an der ETH Zürich studiert und dort auch doktoriert. Auslandsemester führten sie an die Technische Hochschule KTH Stockholm und an die Technische Universität Delft (Niederlande). Für diverse Unternehmen und NGOs im Bereich erneuerbare Technologien hat sie in Paris, Costa Rica, Amsterdam und in Südostasien gearbeitet. Momentan unterrichtet und forscht sie an der ETH, im Rahmen der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie, wie auch an der Fachhochschule Bern. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Nicola Blum hat Maschinenbau und Technologiemanagement an der ETH Zürich studiert und dort auch doktoriert. Auslandsemester führten sie an die Technische Hochschule KTH Stockholm und an die Technische Universität Delft (Niederlande). Für diverse Unternehmen und NGOs im Bereich erneuerbare Technologien hat sie in Paris, Costa Rica, Amsterdam und in Südostasien gearbeitet. Momentan unterrichtet und forscht sie an der ETH, im Rahmen der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie, wie auch an der Fachhochschule Bern. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Was tun Sie genau als Kreislaufwirtschafts-Forscherin?
Ich unterrichte zum einen an der ETH und an der Berner Fachhochschule. In meiner Forschung untersuchen wir, ob sich ein kreislaufwirtschaftlicher Ansatz wirtschaftlich und ökologisch für Firmen, Start-ups oder auch Gemeinden und Städte lohnt. Wir befinden uns da an der Schnittstelle von Biologie, Chemie und Ökologie, aber auch von Soziologie, Materialforschung und Ökonomie. Eigentlich sammeln wir Informationen und erstellen daraus eine Analyse.
Das klingt ziemlich abstrakt. Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Ein Beispiel ist die Verpackungsindustrie. Wir konnten Hersteller, Wiederverwerter und Rezyklierer an einen Tisch bringen und beraten. Es gibt aber unzählige Anwendungen: in der Textilindustrie, Plastikherstellung und -wiederverwertung, der Bauindustrie. Letztere steht vor mannigfachen Problemen: Ihr CO2-Ausstoss ist riesig, sowohl was die Herstellung von Beton als auch was die Transportwege betrifft. Da untersuchen wir intensiv Verschiedenes: neue Materialien, Transportwege oder konkret, ob sich bei einem Abbruchgebäude eine Rezyklierung lohnt. Meistens lohnt es sich leider nicht. Oder noch nicht.
Weshalb nicht?
Weil Arbeit in der Schweiz teuer ist. Ein gezielter Abbruch und eine Trennung der Rohstoffe kommt heutzutage noch teurer, als einfach alles abzutransportieren und zu entsorgen. Je knapper unsere Ressourcen werden, desto eher könnte sich dies lohnen. Ein Land, das in der Bauindustrie schon sehr weit ist und einige nachhaltig gebaute Beispiele aufweist, sind wiederum die Niederlande.
Braucht es Anreize der Schweizer Politik, um die Wirtschaft sozusagen mehr in Richtung Kreislauf zu «zwingen»?
In der Tat ist die EU mit ihrem «Circular Economy Action Plan» schon weiter fortgeschritten und übt mit Richtlinien mehr Druck auf die Wirtschaft aus. In der Schweiz geschieht aber auch etwas. Ich sehe in meiner Praxis, dass die Wirtschaft teilweise fast schon weiter ist als die Politik und Unternehmen von sich aus auf uns zukommen. Es gibt auf Nachhaltigkeit ausgelegte Stiftungen und Fonds, die Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit helfen. Und das neue Umweltschutzgesetz ist in der Vernehmlassung. Kreislaufwirtschaft soll auf Bundesebene eingeführt werden. Der Kanton Zürich hat auch schon einige Richtlinien erlassen. Es geht in die richtige Richtung. Wo ich noch grosses Potenzial sehe, ist an den Schulen.
Inwiefern?
Fächer sollten vermehrt interdisziplinär unterrichtet werden. Am Beispiel von PET könnte man fast die gesamte Umweltthematik von Herstellung über Rezyklierung, Weiterverwertung, aber auch schädlichen Umwelteinflüssen wie Mikroplastik etc. aufzeigen. Dies betrifft Fächer wie Chemie und Physik bei der Herstellung, Logistik beim Recycling, Mathematik beim Berechnen des CO2-Ausstosses, Biologie beim Thema Mikroplastik und Auswirkungen auf Flora und Fauna, Soziologie, was Konsumverhalten betrifft, und Wirtschaft. Dass dies zu wenig gemacht wird, wir zu wenig in Zusammenhängen, in systematischem Denken geschult werden, das empfinde ich als Mangel.