Auf einen Blick
Ab einem IQ von 130 gilt man als hochbegabt. Dies ist bei rund zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung der Fall. Was aber heisst das wirklich? Und was tun, wenn du den Verdacht hegst, dass du hochbegabt bist? Elisabeth Zollinger, Psychotherapeutin FSP und Leiterin des Schweizerischen Instituts für Hochbegabung, klärt auf.
Frau Zollinger, wie merkt man, dass man hochbegabt ist?
Elisabeth Zollinger: Das lässt sich nicht pauschal sagen. Die meisten Hochbegabten spüren schon als Kind, dass sie sich im regulären Unterricht langweilen. Sie fühlen sich anders und irgendwie nicht ganz dazugehörig. Sie haben andere Interessen als Gleichaltrige. Im Erwachsenenalter kann sich das ähnlich anfühlen. Wenn man aber den Verdacht hegt und es ganz sicher wissen will, dann rate ich zum Test.
Wie sicher sind diese IQ-Tests?
Wenn das Resultat eines gängigen wissenschaftlichen Tests einen hohen IQ zeigt, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass man hochbegabt ist. Wenn es einen etwas niedrigeren IQ anzeigt, könnte man trotzdem hochbegabt sein. Das Resultat hängt auch von der Tagesform der zu testenden Person ab. Ich rate deswegen, den Test nach etwa zwei Jahren zu wiederholen oder sich an eine Fachstelle zu wenden, die auf Hochbegabung spezialisiert ist.
Soll man sich auf jeden Fall testen lassen, wenn eine Vermutung im Raum steht?
Wenn es einen interessiert, kann man das machen. Wenn man aber keine entsprechenden Probleme hat, deren Ursache man verstehen möchte, ist eine Abklärung nicht nötig. Eine unentdeckte Hochbegabung kann manchmal zu schwierigen Situationen und Problemen führen.
Zum Beispiel?
Wenn ein hochbegabter Lehrling schon besser und schneller Bescheid weiss als sein Lehrmeister, kann das, je nachdem, zu Problemen führen. Ganz allgemein kann es für Hochbegabte schwierig sein, sich einem Vorgesetzten unterzuordnen. Viele Betroffene entscheiden sich irgendwann für die Selbstständigkeit. Eine Hochbegabung am Arbeitsplatz muss aber keinesfalls zwingend zu Schwierigkeiten führen. Fühlt sich das Team rund um die Hochbegabte nicht minderwertig oder schlecht, kann der Teamspirit super und die Hochbegabte sehr gefordert und zufrieden im Job sein.
Hat eine Hochbegabung Auswirkungen auf das Sozialleben?
Das kann, muss es aber nicht sein. Jemand mit einer kognitiven Hochbegabung kann Interessen im Sport oder kulturellen Dingen sehr gut mit anderen teilen. Anders kann es aussehen, wenn der Hochbegabte nichts von seiner Hochbegabung weiss und einfach nur spürt, dass er anders tickt, andere Interessen hat, irgendwie nirgends zugehörig ist und dies nicht versteht und darunter leidet.
Wie kann sich eine Hochbegabung auf das Beziehungsleben oder in der Familie auswirken?
Das kommt auf die Person und auf ihr Wesen an. Es kann sein, dass sich jemand, der hochbegabt ist, in einer Beziehung einsam und unverstanden fühlt. Oft sind hochbegabte Menschen auch ungeduldig und können kaum nachvollziehen, warum das Gegenüber gefühlt so lange hat, um etwas zu verstehen.
Dann kann sich eine Hochbegabung auch auf die psychische Gesundheit auswirken?
Es kommt vor, dass nicht nur hochbegabte Erwachsene, sondern schon Kinder über depressive Verstimmungen klagen. In erster Linie wegen der schulischen Unterforderung – in der Berufswelt spricht man dann von einem Bore-out, das ähnliche Folgen hat wie ein Burn-out. Oft fühlen sie sich alleine, nicht verstanden und können das nicht einordnen. Das kann in Ausnahmefällen sogar zu Suizidgedanken führen.
Das klingt fast so, als sei eine Hochbegabung mehr Fluch als Segen.
Das will ich so keinesfalls sagen. Im Gegenteil: So gut, kreativ und vernetzt denken zu können, ist ein Geschenk. Fakt ist: Wer adäquat gefördert wird, dem steht einer glücklichen und zufriedenen Schul- und Berufszeit absolut nichts im Weg. Leider aber zeigt die Realität, dass viele Schweizer Schulen noch nicht ganz da sind, wo wir Fachpersonen es uns wünschen.