«Ich bin z dumm für alles!», schluchzt unser Sohn (8). Er ist in Tränen aufgelöst und kann sich kaum beruhigen. Der Grund: Allereinfachste Plus-Minus-Rechnungen, auf der Schulwebseite als Kopfrechentraining aufgeschaltet, sind plötzlich unüberwindbare Berge. Dabei hatte er im vorletzten Zeugnis, im letzten gab es ja Covid-19-bedingt keine Noten, einen Fünfeinhalber im Rechnen.
Jetzt ists plötzlich prekär: «Wie viel minus 3 gibt 4?», lautet die Aufgabe, und der Sprössling starrt minutenlang auf den Bildschirm, als müsse er chinesische Schriftzeichen entziffern. Bevor er, wie gesagt, in Tränen ausbricht, es seinen nicht mehr ganz so kleinen Körper schüttelt und er kaum Luft bekommt vor Schluchzen.
Wir haben als Eltern versagt – total
Zugegeben: Bei allem Mitleid nervt mich, dass der Nachwuchs «Wie viel minus 3 gleich 4?» nicht schafft. Eltern, die nicht mit wahnsinnig viel pädagogischer Geduld ausgestattet sind, werden bei aller Liebe mit mir mitfühlen können.
Und das Hirnkarussell beginnt auch sofort zu rasen – Achtung, es folgt leichte Ironie: «Der kleine Kerli ist jetzt dann schon bald neun! So hirnvernagelt kann unser Sohn doch nicht sein! Unser Sohn! Ich hätte mindestens Hochbegabung erwartet! Warum hat der sein Mathe-Studium an der ETH noch nicht abgeschlossen! Der hat doch zwei Akademiker-Eltern! Was ist genetisch nur schiefgelaufen? Was erzieherisch? Hilfe, er wird ungelernter Arbeiter bleiben! Sozialer Abstieg! Was haben wir nur falsch gemacht? Aargh!»
Das Hirn bleibt etwas länger in den Ferien als wir
Bis mir der rettende Gedanke kommt: Der Nachwuchs leidet wohl unter dem Ferieneffekt. Der Begriff bezeichnet die Tatsache, dass bei Nichtstun der Intellekt ziemlich leidet. Insbesondere schulisches Wissen, welches in den Ferien nicht trainiert wird, fällt bei Kindern nach den langen Sommerferien regelrecht «zum Kopf heraus».
«Nei! Das sagst du nur, damit ich mich besser fühle! Ich bin dumm, und ich wird immer dumm bliibe», schluchzt derweil der Spross. Er glaubt mir erst, als ich eine Studie google, die den Ferieneffekt klipp und klar nachweist. Sogar bei Erwachsenen: Bis zu 20 IQ-Punkte sollen wir doofer sein, nachdem wir drei Wochen nicht gearbeitet haben, hat der Erlanger Gedächtnisforscher und Psychologe Siegfried Lehrl herausgefunden – es ist nur eine von mehreren Studien, welche bestätigen, dass wir alle nach den Ferien generell ziemlich auf dem Draht stehen.
Nächstes Jahr wird gepaukt!
Eine weitere Studie stellt uns auch tatsächlich ein schlechtes Zeugnis als Eltern aus. So soll der Ferieneffekt bei Kindern aus gebildeteren Schichten nahezu unmerklich sein, bei jenen aus bildungsfernen Schichten hingegen riesig. Haben wir also trotz einigermassen okayem elterlichem Bildungsniveau doch alles falsch gehandhabt! Nämlich: das Schulzeug in die Ecke geschmissen und einfach Ferien gemacht. Jetzt haben wir die Quittung.
In den nächsten Sommerferien wird täglich Mathe geübt! Oder auch nicht – der Ferieneffekt soll sich gemäss Lehrl relativ schnell wieder verflüchtigen: Drei Wochen nach den Ferien ist er bei den meisten wieder aufgeholt. Und auch der Spross kann nach dreitägigem Training «Wie viel minus vier gleich drei?» wie aus der Pistole geschossen rufen: «Siebe!» Uff.
Sollten Ihre Kinder also gerade genauso «vernagelt» tun wie unseres – kein Grund zum Alarmschlagen, sie holen es gleich wieder auf. Ausserdem: Falls Sie diesen Text jetzt blöd fanden – es liegt am Ferieneffekt. Ehrlich.