Warum leben auf der Erde Dinge? Wie konnte es überhaupt zu Leben kommen? ETH-Forscher und Forscher der Uni Genf sind den Antworten dieser Frage, die die Menschheit seit jeher umtreibt, mit der Entwicklung eines völlig neuen Verfahrens einen kleinen Schritt näher gekommen. Harnstoff spielt dabei eine grosse Rolle.
Aber zunächst eine kurze Zeitreise in die jüngere Vergangenheit, in die 1950er-Jahre: In einem viel beachteten Experiment stellte der US-Chemiker Stanley Miller (1930-2007) eine Mischung aus den Gasen her, die vermutlich die ursprüngliche Atmosphäre unseres Planeten bildeten, um dieses Gemisch gleich darauf den Bedingungen eines Gewitters auszusetzen, wie sie wohl in diesen Urzeiten der Erde geherrscht hatten. Es entstand eine ganze Reihe unterschiedlicher Moleküle, darunter auch Harnstoff, ein einfaches Molekül, das sowohl Kohlenstoff als auch Stickstoff enthält – und das unter den richtigen Bedingungen sehr reaktionsfreudig ist.
Von der Ursuppe zu DNA braucht es Harnstoff, Weltraumstrahlung und viele chemische Reaktionen
Forscher gehen heute davon aus, dass dieser Harnstoff in der sogenannten «Ursuppe» gelöst war, sich also in warmen, an chemischen Verbindungen reichen Wasserpfützen auf der noch leblosen Erde angereichert hat. Durch Verdunstung stieg an einigen Orten die Konzentration dieses Harnstoffes an.
Stichwort «richtige Bedingungen»: Nun kommt, oder besser, kam kosmische Strahlung hinzu. Trifft diese auf unterschiedliche Moleküle, kann diese Strahlung sozusagen einzelne Ionen abspalten, die sich nun auf die Suche nach anderen molekularen Verbindungen machen – es entstehen so neue Stoffe.
In der Chemie nennt man diesen Prozess Synthese. Forschungsgruppen der ETH Zürich und der Universität Genf um Hans Jakob Wörner, Professor für Physikalische Chemie an der ETH, haben nun Hinweise darauf gefunden, dass in mehreren solchen Syntheseschritten aus Harnstoff die sogenannte Melanonsäure entstand. Und diese wiederum könnte die Urbausteine von RNA und DNA, also die Säuren, die genetische Informationen tragen, sein.
Neue Messmethode misst chemische Reaktionen in Flüssigkeiten im Billionstel-Sekundenbereich
Um messen zu können, wie sich Harnstoff unter Einfluss von solcher Strahlung verhält, mussten die Forscher um Wörner eine neue Methode entwickeln, mit der sie beobachten konnten, wie sich chemische Reaktionen in Flüssigkeiten innerhalb weniger Billiardstel Sekunden – abspielen. Hierfür entwickelten sie eine Apparatur, die einen Flüssigkeitsstrahl mit einem Durchmesser von weniger als einem Mikrometer im Vakuum erzeugen kann. Diesen Harnstoffstrahl setzten sie dann ionisierter Strahlung aus – und massen die Reaktionen, die sich innert Billionstel Sekunden abspielen. Dabei war die Reaktion, die Harnstoff in zwei verschieden Moleküle aufteilte, darunter ein höchst reaktives sogenanntes Urea-Radikal, stets die schnellste – und deshalb häufigste. Urea-Radikale sind wiederum so reaktionsfreudig, dass die Chance, dass daraus die Bausteine von DNA entstehen, sehr gross ist.
Die Forschungsgruppe um Wörner ist aber nicht in der Erforschung der Entstehung des Lebens einen grossen Schritt weitergekommen: Ihr neuartiges Messverfahren lässt sich auf diverse andere Reaktionen in Flüssigkeiten anwenden.