Theresa Bäuerlein (35) und Tom Eckert (31) erlebten das, was viele langjährige Pärchen erfahren: «Irgendwann hatten wir zwei Wochen keinen Sex.» Weil das ihrem Selbstbild wenig entspricht, beginnen sie an einem Samstagnachmittag vor zwei Jahren zu diskutieren: Ist das schlimm, beunruhigend, der Anfang vom Ende? Nach den ersten Schreckensminuten sagt Tom: «Ich möchte einmal in den Wald fahren und dich dort einfach verschlingen; wieso tun wir das nicht?» Theresa überlegt, nimmt einen Schluck Rhabarberschorle und antwortet: «Weil es komisch wäre. Und weil wir zu Hause ein Bett haben.»
Der Bann ist gebrochen, das Pärchen aus Berlin beschliesst an diesem Tag, an seiner Beziehung, seiner Liebe und an besserem Sex zu arbeiten. In den folgenden zwölf Monaten probieren sie die gängigsten Tipps aus Sex-Ratgebern und Spielzeuge aus, diskutieren mit Freunden und versuchen, lusttötende Beziehungsmuster zu durchbrechen. Tatsächlich konnten die beiden das Feuer der Leidenschaft neu entfachen. «Allerdings: ganz anders als gedacht», fassen die beiden – sie sind nunmehr fünf Jahre zusammen – im Gespräch mit dem SonntagsBlick Magazin zusammen.
Theresa: Leider hängen viele Menschen der Illusion des perfekten Sexlebens nach. Natürlich sind in dieser Vorstellung beide Partner gut und leidenschaftlich im Bett, offen für alle Stellungen und bereit zu allen frivolen Schandtaten. Die Realität sieht aber anders aus. Als wir in einer Runde von Freunden zu fragen wagten, ob Sex bei langjährigen Paaren überhaupt noch existiere, herrschte erst betretenes Schweigen. Tatsächlich liegt zwischen dem Idealbild dessen, was Paare dem Konsens nach im Bett erleben sollten und der Realität oft ein tiefer Abgrund. Und Schweigen.
Tom: Was tun? Man kann beschliessen, dass Sex nicht so wichtig ist. Man kann vor sich selbst viele Rechtfertigungen finden, warum das Liebesleben erlahmt ist. Man kann fremdgehen. Man kann auch eine sexlose Beziehung führen. Aber das wollten wir nicht.
Theresa: Unter anderem mussten wir uns eingestehen, dass wir ein wenig gelangweilt vom Körper des anderen waren. Anders formuliert: Wir mussten erkennen, dass man einen Menschen zwar abgöttisch lieben kann, dass diese Liebe aber kein Garant für unbegrenzte Lust ist. Wir fühlten uns nach dieser Einsicht etwas hilflos, jedoch auch fest entschlossen, etwas dagegen zu tun, beziehungsweise den Gründen für die Lustlosigkeit auf die Spur zu gehen.
Tom: Und beschlossen, uns ein Jahr Zeit zu nehmen, um uns mit allen Hilfsmitteln und Möglichkeiten zu befassen, die Besserung versprechen. Wir lasen ein halbes Bücherregal mit Ratgebern und wissen mittlerweile, aus welchen Ingredienzen ein Eherettungs-Smoothie gemixt wird, kennen viele Sexcoachingansätze, haben uns ins Monogamie-Dilemma vertieft und mit anderen Fragen der Leidenschaft befasst.
Theresa: Beginnen wir mit der riesigen Sex-Toys-Industrie: Bei frivolen Spielzeugen geht es gemäss unserer Erfahrung bisweilen hochtechnisch, extrem kraftvoll und recht fantasievoll zu und her. Allerdings: Dröhnendes Silikon schafft eine Atmosphäre, als wäre man mit einer elektrischen Zahnbürste im Bett. Zudem werden die meisten Sexspielzeuge für Frauen gemacht, was dazu führt, dass Männer im Bett zu Gerätehaltern degradiert werden.
Tom: Um es auf den Punkt zu bringen: Sextoys funktionieren für Paare nicht wirklich. Vielleicht kann eine Frau mit einem Vibrator schneller zum Höhepunkt gelangen, aber zusammen macht das wenig Spass. Es ist, wie wenn einer Freude am Kochen hat, sich sein Essen aber mit einem Kochautomaten zubereitet. Überhaupt: Bei den meisten Hilfsmitteln verhält es sich wie mit den Pornos, sie werden recht schnell langweilig. Was dazu führt, dass man einen immer stärkeren Kick sucht. Das taoistische Energie-Ei, das Power Klit und Alia oder einen vibrierenden, rosafarbenen Donut, der angeblich pärchenfreundlich sein soll. Das ganze Zeug landete bei uns sehr bald im Kleiderschrank.
Theresa: Dann probierten wir Potenzmittel und Kräutertabletten aus, welche die Libido bei der Frau ankurbeln sollen. Und Mittel, die beim Mann das Durchhaltevermögen steigern. Die Wirkungen blieben aus. Ein Freund, er studiert Medizin, überreichte uns beispielsweise mit feierlicher Miene eine Tüte Reishi-Pilzpulver: «Hier, nehmt. Das ist die ethisch unbedenkliche Variante zu den in Asien erhältlichen Robbengenitalien.» Statt der Lust packte mich aber eine andere Energie: Ich quasselte nach der Einnahme fünf Stunden durch, redete so schnell, als hätte jemand den Geschwindigkeitregler auf Anschlag gestellt. Sexy ist anders.
Tom: Wir führten viele Gespräche mit Freunden und Bekannten, diese tauten mit der Zeit auf. Dadurch kamen wir auf die wohl wichtigste Frage: Kann man vom Lebensmenschen, der einem in derart vielen Bereichen alles gibt, im Ernst erwarten, dass er einem jederzeit zu orgastischen Höhenflügen verhilft und einen ins geheimnisvolle Labyrinth der Fantasien führt?
Theresa: Ich hatte einen Sexoptimierungs-Newsletter abonniert, deshalb landeten täglich neue Anregungen in meinem E-Mail-Posteingang, wie wir das Sexleben in Schwung bringen können. Darin wurde uns immer wieder geraten, nach genauen Abmachungen und Uhrzeiten Sex zu haben. Anfänglich machte diese Unfreiheit sogar Spass, aber bald kam der Moment, in dem wir uns vom Computer oder dem Telefonat mit der Mutter trennen mussten, weil die sexuelle Pflicht da war. Das ist eigenartig und lästig.
Tom: Auch die Entscheidung, eine Zeitlang abstinent zu leben, war interessant. Das nimmt den Druck raus und trug bei uns dazu bei, dass wir uns neu begegnen konnten. Das kann zwar ein guter Schritt sein, zu einer finalen Lösung führt er jedoch nicht.
Theresa: Irgendwann waren wir so entnervt und enttäuscht, dass wir unser Experiment abbrechen wollten. Genauer: Als ich mich fragte, was geschehen würde, wenn es uns nicht gelingen sollte, das Ruder rumzureissen: geschwisterliche Liebe? Ein Zugeständnis, dass der andere Affären haben darf? Der Bruch unserer Beziehung? Letztendlich setzte an diesem Punkt ein wichtiger Denkprozess ein, in meinem Kopf machte es fast hörbar Klick. Ich erkannte, dass es mir eigentlich nicht um mehr Lust, sondern um weniger Angst in unserer Beziehung geht. Die Angst war da, meinen geliebten Menschen zu verlieren, nur weil ich seinen sexuellen Ansprüchen und Erwartungen nicht genügen könnte. Diese Angst führte bei mir dazu, dass ich mir irgendwann das Schild «Ausser Betrieb» um den Unterleib gehängt hatte – ich glaube, das trifft auf viele Frauen zu.
Tom: Wenn ich einen einzigen wichtigen Moment wählen müsste, dann den: Der Augenblick, an dem wir aufgehört haben, uns an unserem Sexleben zu messen, daran, wie es angeblich sein muss. Wie oft man pro Woche miteinander schläft: egal. Wie verspielt man dabei ist: belanglos. Wie lange es dauert: nebensächlich.
Theresa: Druck, das ist klar, ist in vielen Beziehungen ein ganz wichtiges Thema. Will beispielsweise ein Partner immer mehr und abenteuerlichen Sex, macht das Druck – wahrscheinlich geht dieser oft von Männern aus. Im Gegenzug kann aber auch Druck machen, wenn man Sex nur unter ganz bestimmten Bedingungen haben will: Nur, wenn man rundum zufrieden mit der Beziehung und dem Leben ist oder der Partner einem genau so anfasst, wie ich das will und nicht anders, sonst ist alles vorbei. So agieren wahrscheinlich vor allem Frauen.
Tom: Ein Mythos, der ebenfalls Druck erzeugt: Knallersex als Statussymbol und Verpflichtung. Durch unseren Plan gelangten wir zur Einsicht: Es gibt keine allgemein gültige Definition eines aufregenden Sexlebens. Das muss man erst mal einsehen und anerkennen.
Theresa: Leidenschaft wird überall gleich dargestellt, darin sind Hollywood-Filme nicht besser als Pornos. Und nach dieser Idee von Leidenschaft richten wir uns. Dabei bedeutet ein aufregendes Sexleben für jedes Paar etwas anderes. Die einen finden es grossartig, möglichst viele Abenteuer zusammen zu erleben, beispielsweise Fantasien auszuleben. Andere finden es aufregender, im Bett emotional viel miteinander zu erleben. Wenn sich die Partner entgegenkommen, ohne faule Kompromisse einzugehen, kommt man dem ziemlich nahe, was man Liebe machen nennt.
Tom: Genau. Denn ein Grund, weshalb man seinen Sex langweilig findet, liegt darin, dass wir uns ständig mit anderen vergleichen. Wenn man seinen Sex eigentlich mag, aber glaubt, dass er im Vergleich zu dem, was andere Paare erleben, nicht aufregend oder regelmässig genug ist. Allgemeingültige Formeln und Vergleichswerte sollte man getrost vergessen. Denn fantastischer Sex hat wenig mit Stellungen, Sexspielzeugen, Rollenspielen und Häufigkeit zu tun. Weil Beziehungssex anders ist als Affärensex, ist Liebe ein weit wichtigeres Stichwort. Beziehungssex muss deshalb noch lange nicht langweilig sein.
Theresa: Aber man muss ihn lernen. Das heisst unter anderem Nähe und Intimität aufregend zu finden – nicht nur das Unbekannte und Ungewohnte. Oder wie es der amerikanische Paartherapeut David Schnarch formuliert: Es ist leicht, mit einem Fremden tollen Sex zu haben. Aber wenn man eine leidenschaftliche Ehe haben will, muss man erwachsen werden.
Tom: Die Entdeckung von Nähe und Intimität haben wir bereits erwähnt, im Alltag geht es um zwei andere wichtige Punkte. Erstens: Beide Partner einigen sich darauf, vielleicht sogar schriftlich, keinen Streit mit ins Bett zu nehmen. Der emotionale Müll, mit dem man sich im Leben herumnervt, bleibt draussen. Das braucht zwar etwas Disziplin, lässt sich aber gut realisieren. Und hilft. Zweitens: Beide dürfen genau das sagen, was sie sich im Bett wünschen. Das heisst aber nicht, dass man alles umsetzen muss. Der andere hört zu, ohne zu verurteilen. Dann schaut man, was man für den anderen tun möchte.
Theresa: Sich mit den Wünschen des anderen zu beschäftigen, ist kein grosses Drama, es braucht nur Mut. Jeder hat geheime Fantasien und Wünsche, die sich irgendwie verboten anfühlen. Muss man diese seinem Partner in jedem Fall erzählen? Ja, denn es kann enorm schön sein, den anderen auf dieser ungezügelten Ebene kennenzulernen. Darüber hinaus wirkt es entspannend, wenn man die Geheimnisse mit anderen teilt.
Tom: Es ist überraschend und schön, seine Partnerin in neuem Licht zu sehen. So kommt man mit einem Teil in Kontakt, den man nie besitzen, zähmen oder heiraten kann. Gerade wenn man meint, den anderen in- und auswendig zu kennen, ist das erfrischend und aufregend.
Theresa: Obwohl wir die Kurve gekriegt haben, uns von vielen Vorgaben und Vorstellungen befreien konnten, sage ich heute: Sex ist nicht alles. Es kommt vielmehr darauf an, wie viel Freundschaft und Liebe in der Beziehung da ist. Und die Bereitschaft, alle Spannungen, Probleme und Pflichten beiseite zu legen. Das Bett ist ein Ort, wo man verspielt sein kann, nicht viel nachdenken muss. Kurz: Man lässt die Körper reden, nicht den Kopf.