«Blick» berichtete über die Menschen, die den Dreck für uns wegputzen – und was sie dabei entdecken. Die Putzbranche ist in der Schweiz ein grosses Business und wächst kräftig. Der Basler Soziologe Ueli Mäder sieht die Entwicklung in einem grösseren Zusammenhang.
Herr Mäder, wann haben wir eigentlich angefangen, Dienstleistungen auszulagern?
Private Haushalte übernehmen eigentlich einfach, was die Wirtschaft seit längerem tut. Ich muss dazu einen grösseren Bogen schlagen, darf ich?
Unbedingt!
Die Schweiz hat sich früh industrialisiert und Rohstoffe zu günstigen
Bedingungen aus dem Ausland importiert, verarbeitet und teuer verkauft. Dann lagerte sie alte Fabriken aus. Und seit den 80er-Jahren investiert die
Finanzbranche das bei uns gehortete Geld vermehrt dorthin, wo die Rendite am höchsten ist. So profitiert das Auslagern stets von sozialen Ungleichheiten. Das ist offenbar salonfähig geworden – und zerstört eine andere Mentalität.
Was für eine Mentalität?
Das Verständnis, dass das Verhältnis zwischen Arbeit und Geld ausgewogen sein soll. Heute dominiert ein gewinn- und geldgetriebenes Wirtschaftswachstum, das über allem steht und alle Probleme, die es verursacht, auch selbst lösen will.
Aber: Wenn ich keine Zeit habe, um selbst zu putzen, dann ist es doch gut, jemandem Arbeit beschaffen zu können?
Ja, wenn Sie diese Person wertschätzen, fair bezahlen, langfristig beschäftigen, die Sozialleistungen erbringen und Ferien- und Krankheitsausfälle bezahlen. Die Realität sieht aber oft anders aus. Die Person, die die Dienstleistung erbringt, ist oft anonym und unsichtbar. Es findet zudem in vielen ausgelagerten Bereichen ein Tiefpreis-Wettbewerb statt, der schliesslich auch den Unternehmen und der gesamten Gesellschaft, global und lokal gesehen, schadet.
Inwiefern?
Erst zum globalen: Wenn wir Dienstleistungen, Produkte und Rohstoffe zu billigsten Konditionen aus anderen Ländern beziehen – oder unseren Giftmüll dort loswerden, beeinflussen wir die Lebensbedingungen der dort ansässigen Bevölkerung. Und das wiederum führt zu mehr Flucht, weil die Leute dort wegwollen.
Und lokal?
Ich mache ein konkretes Beispiel: Eine soziale Institution hat den Putzdienst ausgelagert. Reinigungsunternehmen unterboten sich mit den Preisen. Der Auftrag ging an eine Firma, die sehr günstig arbeitet. Die Folge: Wenn das Personal anonym ist, also nicht mehr zur Familie dazugehört, und schlecht bezahlt wird, berührt das den Berufsstolz. So leidet auch der Service – und das zieht Folgekosten nach sich. Was man also kurzfristig so spart, ist langfristig oft teurer. In Basel haben beispielsweise Gerichte das Outsourcing ihrer eigenen Reinigungskräfte deshalb wieder rückgängig gemacht und beschäftigen das Personal wieder selber. Mit Vorteilen für alle. Es gibt aber noch weitere Folgen des Outsourcings.
Ueli Mäder (72) studierte ursprünglich Soziologie, Psychologie und Philosophie. Er ist emeritierter Professor für Soziologie der Universität Basel und hat sich unter anderem auf soziale Ungleichheit spezialisiert. Mäder lebt in Rheinfelden AG.
Ueli Mäder (72) studierte ursprünglich Soziologie, Psychologie und Philosophie. Er ist emeritierter Professor für Soziologie der Universität Basel und hat sich unter anderem auf soziale Ungleichheit spezialisiert. Mäder lebt in Rheinfelden AG.
Welche?
Wer unter misslichen Bedingungen leben und arbeiten muss, leidet. Er wird häufiger krank. Je tiefer die Einkommen, desto höher sind die gesundheitlichen Belastungen. Internationale Studien besagen zudem klar: Je ungleicher eine Gesellschaft, desto höher sind in der Regel die sozialen Spannungen und die Kriminalität. Die Folgen davon zahlt die ganze Volkswirtschaft, also jeder einzelne Steuerzahler. Weil so für den kurzfristigen Gewinn Einzelner einfach mehr Kosten im Gesundheitswesen, in den Sozialversicherungen und in öffentlichen Diensten wie Sozialämter, Polizei und Justiz entstehen. Man müsste eigentlich auch mit einberechnen, dass auch die Kinder von Menschen leiden, die in prekären Verhältnissen leben. Sie verlieren an Selbstwert, entwickeln Schulschwächen und das beeinträchtigt auch berufliche Perspektiven.
Was sind die grössten Wachstumsfaktoren von Dienstleistungs-Outsourcing?
Neben den Dienstleistungen, die Private oft benutzen, also Kinderbetreuung, Essenslieferungen, Putzdienste, Seniorenbetreuung, sind es von Unternehmen oft auch IT- und Finanzdienste oder Kundenbetreuung. Auch da gibt es kurzfristige Einsparungen und Vereinfachungen, die letztendlich oft teuer und kompliziert sind. Zum Glück sehe ich teilweise – und langsam – auch ein Umdenken, das sich bei einzelnen Verantwortlichen im Finanz- und Wirtschaftssektor andeutet.
Gibt es Lösungsansätze, um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken?
Die Rechtsprechung hinkt leider technologischem Fortschritt immer hinterher. Aber wir müssten auch die Mindestlöhne anheben und Unternehmen wie auch Private progressiver und gerecht besteuern, vor allem grosse Vermögen und Erbschaften. Und Arbeitsverträge, wie sie viele Internetdienste anbieten, stärker regulieren und unter die Lupe nehmen. Im Kleinen kann auch jeder etwas tun: Indem man endlich die Arbeit wertschätzt, die traditionell gratis von Frauen verrichtet wurde. Nämlich Kinderbetreuung, Haushalt, Putzen, Kochen. Und diese Arbeit nicht einfach nur auslagern, sondern in einer Partnerschaft besser verteilt erledigen. Konkret gesagt: Putzen Sie ihr Klo selbst. Und kochen Sie selbst.