Jedes Zeitalter hat seine Plagen. In biblischen Zeiten waren es Heuschrecken. Im Mittelalter die Pest und Hexenverbrennungen. Heute sind es Selfiesticks.
Sie gehören neuerdings zum Reisen wie der Weihwasserpinsel in die Kirche. Wo immer man hinkommt, irgendjemand ist schon da und knipst sich selbst. An Top-Spots ist es ganz besonders schlimm: Vor jeder Sehenswürdigkeit, jedem Naturspektakel oder jeder Aussicht wuchert mittlerweile ein Wald dieser Ego-Prothesen, deren Besitzer grinsen wie grenzdebile Deppen.
Akropolis, aua!
Neulich beim Besuch der Akropolis in Athen traf mich plötzlich ein Schlag am Kopf. Zwei Mädels suchten den besten Spot für ein Selfie und fuchtelten mit ihrem Stick herum. Mein Kopf war leider im Weg. «Oh, oh, oh!», quiekten sie. Panisch untersuchten sie das Handy, das nur noch wackelig in der Halterung hing. Mich ignorierten sie völlig. Keine Entschuldigung. Nichts.
Klar, ich verstehe das. Wenn die Realität plötzlich in die Social-Media-Feel-Good-Welt kracht, verwirrt das. Schliesslich gibt es im Hier und Jetzt keinen Sorry-Button und keine Emoji-Tabellen. Da weiss man nicht, wie man sich verhalten soll. Und ich bin mir sicher, die Mädels hatten null Ahnung von der Bedeutung und der Schönheit dessen, was sie da sahen. Für Selfie-Junkies ist die Welt nur eine Kulisse für ihre Eitelkeiten. Schade, so verpasst man das wahre Leben.
Übrigens fuchteln auch Männer mit der Narzissmus-Antenne herum. Was würde wohl Sex-Psychologe Sigmund Freud zu Typen sagen, die permanent mit ausfahrbaren Stängeln herumrennen?
Hai-ai-ai!
An manchen Sehenswürdigkeiten sind Selfiesticks schon verboten, aus Sicherheitsgründen. Ich würde es machen wie mit dem Rauchen: An allen öffentlichen Orten verbannen! Das russische Gesundheitsministerium hat sogar schon einen Flyer herausgebracht, der vor den Gefahren von Selfies warnt. Jährlich sterben nämlich mehr Menschen an einem Selfie-Unfall als an Haiangriffen. Sind Selfiesticks die neuen Killermaschinen?
Ich habe übrigens eine Geschäftsidee: Eine App, welche die eigene Visage vor jede gewünschte Sehenswürdigkeit kopiert. Dann können die Selfie-Nomaden getrost zu Hause bleiben – und alle anderen haben endlich wieder freie Sicht auf die Welt.