On the road mit Christian Bauer
Der Weg zum Glück führt durch Rattenscheisse

Reisejournalist Christian Bauer hat in Indien eine Erleuchtung: die Glückseligkeit ist eine weisse Ratte. Oder zeigt sich das wahre Glück als Geisterfahrer auf der Autobahn?
Publiziert: 07.06.2016 um 11:10 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:05 Uhr
Die Ratten vom Karni-Mata-Tempel in Indien verheissen Glück. Oder Krankheiten?
Foto: Christian Bauer
Christian Bauer
Christian BauerReise-Journalist

Indien ist ein LSD-Trip ohne Drogen. Farben, Gerüche und Lärm treiben die Sinne in den Wahnsinn. Pausenlos. Unterwegs bin ich mit M. durch den Bundesstaat Rajasthan. Nach zehn Tagen kapituliert sie. «Indien kann mich heute mal!», verkündet M. und verbarrikadiert sich im Prinzessinnen-Zimmer (in welchem sonst?) in einem Maharadscha-Palast – gut beobachtet durch die Glubschaugen ausgestopfter Tiger. Derweil legt ein Boy vor der Zimmertür bunte Blumenmuster. Märchenland Indien. Genau das Richtige für M.

Unser Fahrer Rakesh will mir noch etwas zeigen, ich würde doch so gerne fotografieren. «I have nice temple for you», grinst er. Nicht noch einen Tempel, denke ich, auf unserem Trip haben wir schon gefühlte 1000 besucht.

Doch dieser ist anders. Dieser ist der Superlativ, das Maximum aller Psychosen. Hier hausen zehntausende heilige Ratten, die jede Scheu vor den Menschen verloren haben. Sie sind hier die Chefs. Sie sind überall. Es stinkt nach saurer Milch, Rattenpisse und vergammeltem Obst. Schwarze Köttel quetschen sich durch meine Zehen (indische Tempel betritt man barfuss). Der Boden ist voll davon. Es herrscht ein Chaos gigantischen Ausmasses. Die Menschen keifen, die Ratten quietschen, und die indischen Götter grinsen sich eins.

Eine Ratte rennt mir über die Füsse.  «You lucky, you lucky», schreit Rakesh. Wem ein Tier über die Füsse rennt, der ist gesegnet. Aber mit was? Ich denke an die Pest und weitere 70 Krankheiten, die von Ratten übertragen werden – bei manchen Viren genügt die Berührung mit Haut. Und ich stehe mitten in der Scheisse.

In manchen Ecken sitzen Männer auf dem Boden und essen Reis aus einer Schüssel – darin suhlen sich die Pestschleudern. Auch das bringt Glück. Mir ist kotzübel. Rakesh sucht ebenfalls das Heil. Das merke ich, weil er nervös in jede Ecke schaut. Dann kreischt er elektrisiert: «White mouse, white mouse. We are so lucky!» Und schon boxt uns eine Gruppe hysterischer Inder beiseite und knipst das weisse Vieh - es ist definitiv eine Ratte und keine Maus – mit den Handys.

Aha, wer eine weisse Ratte sieht, hat also den Karma-Jackpot geknackt! Jetzt verstehe ich: Rakesh wollte mir keine Sehenswürdigkeit zeigen, er wollte auf Firmenkosten die Glückseligkeit suchen. Das ist ungerecht, denn er hat sein Glück gefunden – ich habe mir Rattenviren eingefangen. Auch noch am nächsten Tag schwebt er in solchen Nirvana-Sphären, dass er bei Stau als Geisterfahrer durch den Gegenverkehr rast. Der Gott der weissen Ratten ist unser Rammbock.

Ich muss mich verbessern: Indien ist besser als ein LSD-Trip, denn hier ist der Wahnsinn Realität. Ich liebe es. Und Sie sollten unbedingt mal hin!

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