Erstes Reka-Dorf neu eröffnet
Schweizerischer gehen Ferien nicht

1964 entstand in Lugano-Albonago das erste Reka-Feriendorf. Jetzt wird es nach einem kompletten Neubau wiedereröffnet.
Publiziert: 19.06.2022 um 14:39 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2022 um 11:42 Uhr
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Ab 1. Juli eröffnet – allerdings bereits stark gebucht: Das brandneue Reka-Dorf in Lugano-Albanago im Tessin.
Silvia Tschui

Erinnern Sie sich an Ferien, als Sie ein Kind waren? Für die Generation mit Geburtsjahren Mitte der Siebziger sahen ideale Ferien jedenfalls so aus: Es hat einen Pool, jede Menge anderer Kinder, Platz zum Rumrennen, Sonne und Glacé. Eltern sind eigentlich nur dazu da, regelmässig für Nahrung zu sorgen und einen damit zu nerven, dass sie einen schon wieder mit Sonnencreme einschmieren wollen. Für Kinder heutzutage gilt, auch wenn wohlbegüterte Familien regelmässig zu Hochkonsum-Destinationen wie Dubai tendieren, wohl immer noch ziemlich dasselbe Erfolgsrezept für gelungene Ferien. Und erinnern Sie sich an Familienferien als Eltern? Wie wunderbar es ist, wenn die Kinder autonom Gschpänli zum Spielen finden, Platz haben, sich bewegen und planschen können und eigene Spiele erfinden? Und dabei der Aufenthalt an einem solchen Ort nicht einen Arm und ein Bein kostet?

All das bietet eine einzigartige Schweizer Institution: die sogenannten Reka-Dörfer. «Reka» steht dabei für die «Schweizer Reisekasse», die diese Feriendestinationen sozusagen «erfunden» hat, finanziert und unterhält – aktuell eröffnet dieses Wochenende das erste aller Reka-Dörfer in Lugano-Albonago nach einem kompletten Neubau wieder neu.

Die Reka verdanken wir der Linken. Und der Wirtschaft

Es lohnt sich, an dieser Stelle einen kurzen politischen Bogen zu schlagen: Denn bei allem Kopfschütteln, das aktuelle linke Politik angesichts Sprachregelungen und identitärer Politik heutzutage oft auslöst, sollte die Allgemeinheit nicht vergessen, dass nahezu jede gesellschaftlich relevante Errungenschaft, die allen zugutekommt, auf der Initiative von Linken beruht, die an Wirtschaftsvertreter appellierten und oft harte Abstimmungskämpfe führten: die AHV, die IV, der – zugegebenermassen bescheidene – Mutterschaftsurlaub wie auch die Arbeitslosenversicherung.

Und eben auch die Schweizer Reisekasse. Diese nicht profitorientierte Genossenschaft gründen Schweizer Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften gemeinsam mit Vertretern bedeutender Unternehmen und Tourismusorganisationen im Jahr 1939, insbesondere auch dank des unermüdlichen Einsatzes von Walter Hunziker (1899–1974). Der HSG-Ökonomieprofessor mit Spezialisierung auf Tourismus lobbyierte unermüdlich für die Reka. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen: Er sah im «Sozialtourismus», einem Begriff, den er überhaupt erst prägte, die gesamtgesellschaftliche Möglichkeit, den Radius breiter Bevölkerungsschichten zu erweitern und so zum einen Isolationismus und Fremdenfeindlichkeit abzubauen, zum anderen aber auch der darniederliegenden Tourismusindustrie frische Impulse zu geben. Denn die Schweizer Hotellerie ist Anfang der Dreissigerjahre in der Krise: Im Zuge der grossen Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre bleiben die ausländischen Hotelgäste aus.

Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs wird die Reka gegründet

Und die Zeichen stehen europaweit auf Krieg. Trotz dieser politischen Düsternis ist aber die Idee, auch weniger bemittelten Familien Ferien zu ermöglichen, zunehmend Teil des Zeitgeists. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich die Erkenntnis durch, dass für eine solide Leistung auch Erholungszeiten und Bewegung in der Natur vonnöten sind. Auch für Arbeiter. Doch für Arbeiterfamilien sind damalige Reiseangebote unerschwinglich. «Jedem Werktätigen die verdienten Ferien», lautet damals denn auch der Slogan der Reka.

Dass Ferien «verdient» sind, diese Erkenntnis musste und wollte sich die Arbeiterschaft hart erkämpfen. Und die Schweizer Wirtschaft war nicht nur wegen der Weltwirtschaftskrise unter Druck: Faschistische Länder wie Italien und Deutschland propagieren längst schon einen Körperkult, versuchen ihre Arbeiterschaft zu «stählen» und konzipieren deshalb Freizeitprogramme wie 1933 «Kraft durch Freude». Riesige Freizeit- und Hotelanlagen entstehen, die auf grosse Begeisterung in der dortigen Bevölkerung stossen.

Und über allem schwebt Duttis Geist

Wie in so vielen schweizerischen sozialpolitischen Vorstössen ist auch für die Gründung der Reisekasse Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler richtungsweisend: Mit der Gründung seines Reisebüros Hotelplan, das ab 1935 günstige Familienferien für Familien anbietet, setzt er auf grossen Umsatz zu einem geringen Preis. Er macht die Idee erst salonfähig – und alarmiert damit, sagt die Historikerin Beatrice Schumacher gegenüber SRF, Politik und Wirtschaft. Die wollen Duttweiler nicht die grossen Pfründe überlassen – sowohl finanziell als auch ideell. Die Reka sei so als die direkte Antwort auf Duttweilers Hotelplan zu sehen.

Der Anfang ist harzig und die heutzutage beliebten Feriendörfer noch nicht existent. Die Reka setzt zunächst auf eine andere Idee: die sogenannten Reka-Marken, später Reka-Checks, eine Art eigene Währung, die Arbeitgeber ab 1940 zu günstigen Konditionen abgeben und mit denen deren Angestellte Bahnbilletts kaufen und in bestimmten Hotels Ferien verbringen können. Erst nach dem Krieg gelingt langsam, aber stetig der Durchbruch: 1946 verkaufen sich Reka-Marken im Wert von zehn Millionen Franken.

Mit den Armen gehts so richtig los

So richtig geht es ab 1955 los: Mittellose Familien können sich für Gratisferien anmelden – ein riesiger Imagegewinn. Und mit der Eröffnung des ersten Feriendorfs in Lugano-Albonago nimmt die Erfolgsgeschichte noch mal an Fahrt auf. Heutzutage betreibt Reka allein in der Schweiz zwanzig Anlagen, weitere, etwa in Kreuzlingen am Bodensee mit direktem Seeanstoss, werden in Zukunft eröffnet, die bestehenden laufend saniert.

Heute finanzieren neben privaten Spendern rund 500 Genossenschafter die Reka, und unzählige Schweizer Wirtschafts-Giganten sind darunter: ABB, Axa, Novartis oder Swatch, Banken wie CS, UBS, aber auch SBB und die Schweizerische Post wie auch die Nationalbank – und viele, viele mehr.

Wer will schon nach Dubai?

Ihnen verdanken Generationen von Kindern bis heute unbeschwerte Ferien in sogenannten Reka-Dörfern – auch wenn ihre Eltern nur mit einem schmalen Portemonnaie gesegnet sind: Es gibt aktuell Platz für 1000 Familien, die, wenn sie die Kriterien erfüllen, stark reduzierte Ferien machen können. Für Normalverdiener kostet eine Woche in Lugano-Albonago für eine vierköpfige Familie in einer Zweieinhalbzimmerwohnung übrigens ab 878 Franken in der Nebensaison. Inklusive Pool, Restaurant, Wellness, Küche zum Selbstkochen, Kinderbespassungs-Programm … und wer will, darf in ausgesuchte Wohnungen sogar den Familienhund mitnehmen. Schlägt Dubai um Längen!

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