Auf einen Blick
Rückschläge gehören zum Leben. Nicht nur im Spiel, sondern auch bei alltäglichen Herausforderungen ist man mit Enttäuschungen konfrontiert. Eine Niederlage wegzustecken, ist eine Grundkompetenz der Emotionsregulation, die viele Menschen im Verlauf der Kindheit erwerben. «Hier spielt die Entwicklung des präfrontalen Kortex im Gehirn eine wichtige Rolle», erklärt Psychologin und Resilienztrainerin Nora Völker-Munro (40). «Bei den meisten Kindern kommt es in diesem Bereich spätestens während der Primarschulzeit zu einem wichtigen Entwicklungsschub.»
Jedoch gibt es auch Menschen, denen es bis ins Erwachsenenalter schwerfällt, Niederlagen gelassen anzunehmen. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Natur. So zeigen neurodivergente Menschen oft eine geringere Frustrationstoleranz. Auch gut gemeinte elterliche Überfürsorge kann Kinder darin hemmen, Selbstvertrauen auszubilden und Resilienz zu entwickeln – also die Fähigkeit, sich nach Rückschlägen schnell wieder aufzurichten.
Unser Umgang mit Frust beeinflusst unseren Alltag
Das Fiese ist: Menschen, die gut verlieren können, haben es in vielen Alltagssituationen einfacher. Mit ihnen spielt man gerne UNO oder Fussball. Sie können sich nach einem Rückschlag schnell wieder nach vorne orientieren und neue Ziele ins Auge fassen. Und sie tragen keinen Ärger mit sich herum, wenn ihnen etwas misslingt.
Was diese Menschen tun, um nicht im Frust steckenzubleiben – und wie das jeder Mensch trainieren kann, erklärt Nora Völker-Munro im Interview.
Blick: Frau Völker-Munro, verspüren gute Verlierer eigentlich auch negative Gefühle wie Ärger oder Enttäuschung?
Ja klar. Diese Gefühle sind nach einer Niederlage natürlich und auch wichtig.
Was soll an Frust denn gut sein?
Gefühle sind wie ein Kompass. Sie zeigen an, wo wir hinwollen. Jeder Mensch braucht Erfolgserlebnisse, um sich gut zu fühlen. Frust hat aber auch seine Funktion. Er zeigt uns, dass wir dranbleiben, die Messlatte runtersetzen oder uns ein anderes Ziel suchen sollen. Er kann folglich ein Motivator sein und uns anspornen, unsere Ausdauer verlängern oder auch dazu führen, uns selbst mit unseren Stärken besser kennenzulernen.
Gefühle wie Frust oder Wut können einen aber auch zu schlechten Verlierern machen.
Wenn man nicht weiss, wie man mit ihnen umgehen muss, ja. Ein guter Verlierer zu sein bedeutet, dass ich einen Umgang mit dem Frust gefunden habe. Ich kann die Situation aus einem anderen Blickwinkel betrachten und mich wieder auf mein Ziel fokussieren. Das ist eine der Hauptkompetenzen von Spitzensportlern: Sie sind darauf trainiert, sich auf den nächsten Ball zu konzentrieren, wenn sie einen verpasst haben.
Können das alle Menschen trainieren?
Ja, es gibt gewisse Dinge, die wir tun können, um unsere Frustrationstoleranz zu verbessern. Am einfachsten ist es, wenn wir dies bereits in unserer Kindheit gelernt haben, aber auch im Erwachsenenalter können wir das noch üben.
Wie geht das?
Zum Beispiel können wir uns vor Augen führen, wie wir selbst davon profitieren, wenn wir besser verlieren lernen. Dann können wir uns Vorbilder suchen, um uns anzuschauen, wie die mit Niederlagen umgehen. Wir können uns Gedanken zurechtlegen, die dabei hilfreich sind. Wie kann ich mir selbst freundlich begegnen und auch die schwierigen Gefühle einen Moment lang gelten lassen? Und was hilft mir dabei, wieder nach vorne zu schauen? Wir können durch Übung bewusst mitgestalten, wie wir auf gewisse Situationen reagieren. Auf diese Weise lassen sich auch andere Kompetenzen erlernen.
Verlieren lernen in vier Schritten: So gehts!
Wer mit Niederlagen besser umgehen lernen will, kann diesen Vier-Punkte-Plan befolgen. Seine Wirksamkeit ist wissenschaftlich erwiesen. Den Hintergrund erklärt Resilienztrainerin Nora Völker-Munro:
Den Nutzen sehen
«Als Erstes kann man sich die Frage stellen: ‹Was ist gut daran, wenn ich verlieren lerne?› Die Vorteile und den Nutzen von etwas zu sehen, ist ein wichtiger Antrieb, um etwas zu lernen. Aus der Forschung weiss man, dass Menschen besonders motiviert sind, wenn sie sich kompetent, sozial eingebunden und autonom fühlen. Es hilft also, sich vor Augen zu führen, dass gute Verlierer von folgenden Vorteilen profitieren: Sie werden beliebtere Sport- oder Spielpartner, eignen sich eine neue Kompetenz an, und wenn sie diese erworben haben, können sie selbstbestimmter mit ihren Emotionen umgehen.» Dies kann man übrigens auch einem Kind erklären.
Ein Vorbild suchen
«Studien des renommierten kanadischen Psychologen Albert Bandura zeigen, dass wir am Modell besonders gut lernen. Wenn wir uns Vorbilder suchen und uns bei ihnen abschauen, wie man ein guter Verlierer wird, können wir es durch Nachahmung ebenfalls trainieren. Hilfreich ist es hier, sich Interviews von Menschen aus dem Spitzensport anzuschauen, nachdem diese eine Niederlage erlitten haben. Oftmals nutzen sie einordnende Sätze (‹Heute hat es mein Gegenüber einfach besser gemacht›).» Und: Man kann auch ein gutes Vorbild sein.
Üben, üben, üben
«Das Hirn verfügt über Neuroplastizität. Das bedeutet, es wächst und verändert sich während des gesamten Lebens. Wie das passiert, können wir bewusst beeinflussen. Neue Bahnen im Gehirn bilden sich durch Wiederholung. Die Fähigkeit, ein guter Verlierer zu sein, kann man schrittweise entwickeln. Am besten beginnt man mit einer einfachen Situation, zum Beispiel einem Gesellschaftsspiel, und überlegt sich schon im Voraus, wie man mit einer möglichen Niederlage umgehen möchte. Dann wendet man diese vorausschauende Technik auch für Situationen an, in die man emotional stärker involviert ist – ein Wettbewerb, an dem man teilnimmt, oder ein sportliches Ereignis. So baut man eine neue Routine für die Emotionsregulierung auf.»
Fortschritt wertschätzen
«Wenn einem ein Fortschritt gelingt, darf man sich selbst auf die Schulter klopfen und sich auch selbst dafür belohnen, zum Beispiel, indem man es in einem Erfolgstagebuch festhält und ihn damit wertschätzt. Begleitet man als Elternteil ein Kind auf dem Weg, Gefühlsregulation zu erlernen, kann man ihm zum Beispiel eine Medaille basteln, wenn es das besonders gut hingekriegt hat.»