Vier von fünf Personen wählen den Wein aufgrund der Etikette aus. Das muss Sie als Weinhändlerin schmerzen.
Madelyne Eicher-Meyer: Wir sind halt visuelle Menschen. Was wir kaufen, muss uns gefallen. Und ein schön gestalteter Wein kann zum Ausdruck bringen: Hier wird mit Liebe gearbeitet, von der Wurzel des Rebstocks bis zum Papier auf der Flasche. Mir ist es aber wichtig, dass meine Kundschaft einen passenden Wein findet und nicht die passende Etikette.
Trotzdem: Dass wir mal zum Schlösslein, mal zum Rösslein greifen, hat mit fehlendem Weinwissen zu tun. Warum bilden wir uns nicht einfach?
Man weiss nicht, wo anfangen. Wenn man googelt, verirrt und verzettelt man sich. Ein Kursbesuch ist für den Einstieg hilfreich.
Häufig wirken Informationen über Wein schwer zugänglich.
Was wir mit Wein verbinden, ist ein bisschen verstaubt und schwerfällig. Man denkt selten an etwas Leichtfüssiges, Fröhliches. Mit meinem ersten Buch «Endlich Wein verstehen» wollte ich zeigen: Wein ist pure Freude. Man findet in meinem Buch keine Tabellen oder Kennzahlen, sondern Illustrationen und dumme Sprüche – alles bricht ein bisschen mit dem Establishment.
Sie verwenden eine direkte, geradezu bodenständige Sprache. In einem Wine-Tasting, das Sie via Livestream auf Instagram hielten, sagten Sie über den Gerbstoff Tannin, er trockne die «Schnure» aus. Über den Wein Nero d’Avola, er habe «Pfupf im Füdle».
Ich spreche so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Das ist nicht konventionell, aber erleichtert den Zugang zum Wein. Meine unkomplizierte Art, über Wein zu sprechen, habe ich den Amerikanern abgeschaut. Ich jobbte in Kalifornien auf Weingütern und startete dort meinen Blog unter dem Pseudonym Edvin – das übrigens für «educating wine» steht, also Weinausbildung.
Während Ihres späteren Weinstudiums in Bordeaux haben Sie gelitten, als Sie sich fachlich mit der Materie auseinandergesetzt haben, richtig?
Die Studieninhalte waren so trocken aufbereitet! Um die Informationen aufnehmen zu können, habe ich sie für mich auf dem iPad illustriert. Diese Illustrationen habe ich dann auf den sozialen Medien geteilt. Die Zeichnungen kamen an. Und ich stellte fest, dass eine fröhliche Herangehensweise und Weinkompetenz keine Widersprüche sind.
Madelyne Eicher-Meyer (33) will Weinkompetenz einfach vermitteln. Die Tochter einer Amerikanerin und eines Schweizers aus einer Weinhandelsfamilie studierte Wirtschaft, jobbte auf Weingütern in Kalifornien (USA) und absolvierte in Bordeaux (F) ein Studium in Wine Marketing & Management. Parallel dazu startete sie unter dem Pseudonym Edvin ihren Weinblog. Mit ihrem ersten Buch «Endlich Wein verstehen» (2019) landete sie einen Bestseller. Diesen Monat erscheint mit «Finde deinen Wein» ihr zweites Buch (AT Verlag). Die 33-Jährige hat heute dank Events, Livestreams, Buchverkäufen, Kolumnen, dem Laden Edvin Weine in Aarau sowie ihrem Onlineshop die grösste Wein-Community der Schweiz.
Madelyne Eicher-Meyer (33) will Weinkompetenz einfach vermitteln. Die Tochter einer Amerikanerin und eines Schweizers aus einer Weinhandelsfamilie studierte Wirtschaft, jobbte auf Weingütern in Kalifornien (USA) und absolvierte in Bordeaux (F) ein Studium in Wine Marketing & Management. Parallel dazu startete sie unter dem Pseudonym Edvin ihren Weinblog. Mit ihrem ersten Buch «Endlich Wein verstehen» (2019) landete sie einen Bestseller. Diesen Monat erscheint mit «Finde deinen Wein» ihr zweites Buch (AT Verlag). Die 33-Jährige hat heute dank Events, Livestreams, Buchverkäufen, Kolumnen, dem Laden Edvin Weine in Aarau sowie ihrem Onlineshop die grösste Wein-Community der Schweiz.
Diesen Monat folgt Ihr zweites Buch: «Finde deinen Wein». Kurz erklärt: Wie finde ich meinen Wein?
In aller Kürze kann ich das nicht beantworten, darum habe ich ja ein Buch dazu geschrieben. Hier aber ein Beispiel: Wenn Sie gerne schwere, kräftige Weine mögen, müssen Sie nach Weinen aus heissen Regionen suchen. Wenn Sie hingegen schlanke, knackige, frische Weine mögen, suchen Sie nach Flaschen aus kühleren Gegenden. Man muss also in der Geografie sattelfest sein. Wenn Sie das im Griff haben, kommt es gut.
In den Schweizer Rebbergen hat die Traubenlese begonnen. Verspüren Sie ein Kribbeln?
Es ist eine aufregende Zeit. Ich tausche mich via Instagram oder Whatsapp mit Winzerinnen und Winzern aus und fiebere total mit. Vor allem dieses Jahr, wo sie früh anfangen müssen mit der Weinlese. Zum Teil sind die Keller noch gar nicht ready, der Wein vom letzten Jahr ist noch darin.
Wird 2022 ein guter Weinjahrgang?
Ich denke schon. Wir hatten wenige Schäden und einen heissen Sommer. Das gibt reife Weine.
Ende Juni wurden Sie Mutter von Zwillingen. Welches Glas Wein haben Sie sich nach der Schwangerschaft als erstes gegönnt?
Ich habe mir erst ein halbes Glas gegönnt: Champagner Bollinger – und das war göttlich.
Oft müssen sich Frauen unfreiwillig als schwanger outen, weil bei Anlässen genau geschaut wird, wer trinkt und wer nicht. Wie haben Sie die gesellschaftliche Erwartungshaltung, Alkohol zu trinken, während der Schwangerschaft, erlebt?
Die Erwartungshaltung habe ich nicht so gespürt, es hat mich aber genervt, dass das Alkoholtrinken immer ein Thema war. Ich habe in unser Sortiment alkoholfreie Weine aufgenommen und dann diese getrunken. Das sieht aus wie Wein im Glas. Das schürte erst recht Fragen.
Alkoholfreie Weine? Eine Empfehlung, bitte.
Der Flein Fizz von Schmidt am Bodensee oder der Rosé von Kolonne Null.
Ihr zweites Buch widmen Sie Ihren Kindern. Wie hat die Schwangerschaft Ihre Arbeit beeinflusst?
Normalerweise schüttle ich Projekte aus dem Ärmel. Diesmal fehlte mir die Energie. Nach der Geburt musste ich das Buch noch mit weiteren Illustrationen ergänzen – mit Baby im Tragetuch. Das war eine Grenzerfahrung.
Wie wird die neue Lebensphase Ihren Beruf beeinflussen?
Früher gab es für mich nur Edvin. Ich war eine Art leidenschaftlicher Workaholic. Ich merke, dass es einen Perspektiven-Shift gibt mit den Zwillingen: Es gibt noch anderes im Leben. Das tut sehr gut. Ich werde nach wie vor mit Herzblut arbeiten, aber wahrscheinlich weniger Stunden, und das ist gut so.
Müssen Sie bei Reisen zu Winzerinnen und Winzern zurückstecken?
Alle ermutigen mich, die Zwillinge einfach mitzunehmen. Das habe ich nicht erwartet. Es wird ein ungewohntes Bild abgeben, wenn man in einen Rebberg schaut, und dort stehen ein paar Mütter mit Kindern.
Auf dem Cover Ihres ersten Buchs sieht man eine Ihrer Illustrationen: Eine Frau liegt auf dem Rücken und trinkt mit dem Trinkhalm aus einer Weinflasche. Auch sonst deuten Sie immer wieder mit einem Zwinkern an, dass Weingenuss auch in einem Rausch enden kann. Erzeugt diese Ehrlichkeit Irritationen?
Mein erstes Buch erschien auch in den USA, aber das Coverbild musste dort geändert werden. Man fand, es animiere zum Alkoholismus. In der Schweiz war das kein Thema. Doch ich sage in jedem Livestream und Event deutlich: Zu viel Alkohol ist ungesund. Man muss respektvoll und verantwortlich damit umgehen. Wenn Leute fragen, ob ihre Kopfschmerzen vom Schwefel oder von den Histaminen stammen, antworte ich: Meistens liegt es am Alkohol – an zu viel Alkohol.
Die damals mit 21 Jahren jüngste Sommelière der USA, Victoria James, beschreibt in ihrer Autobiografie ausgeprägten Sexismus in der Weinwelt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich wurde anfangs belächelt. Ich war weiblich, jung, unkonventionell und Bloggerin. Aber es gab damals schon gestandene Leute in der Branche, vor allem Frauen wie Weinkritikerin Chandra Kurt, die mich unterstützten. Die Publikation und der grosse Erfolg meines Buchs haben einen riesigen Unterschied bewirkt. Ab da haben mich alle ernst genommen.
Auch im Privaten ist Wein männerdominiert. Was braucht es, damit Frauen sich ebenso selbstverständlich zuständig fühlen für die Auswahl des Weins?
Das Interesse scheint mir bei Frauen genauso da zu sein: Wenn ich Kurse nur für Frauen mache, sind sie immer ausgebucht. Frauen haben vielleicht mehr Angst, dumm zu wirken. Aber die will ich allen nehmen, die in meine Weinwelt kommen. In der Oase dieser Frauenrunden sprudeln die Fragen. Schade, braucht es diese geschlechtergetrennten Anlässe noch. Aber dann machen wir es halt so, bis die Scham überwunden ist. Und: Beim Generationenwechsel in den Winzerfamilien kommen sehr viele Frauen an die Front. Je mehr Frauen man in einem Feld sieht, desto mehr kann man sich als Frau damit identifizieren.
Nicht nur personell ist im Weinbau einiges in Bewegung: Bio-Wein ist keine Nische mehr, und Naturwein findet immer mehr Zuspruch. Was halten Sie von Naturwein?
Faszinierend. Besonders, wenn man die Produzenten kennt, vor Ort gewesen ist und weiss, wie sie arbeiten. Weil der Begriff Naturwein nicht geschützt ist, hat das Produkt nämlich nicht zwingend viel mit Natürlichkeit zu tun; es kann Herbizide oder Pestizide enthalten. Ich tendiere generell mehr Richtung Demeter oder Bio-Dynamik.
Auf unserem Kontinent wird viel unterschiedlicher und hochwertiger Wein produziert. Ist es mit Blick auf die Nachhaltigkeit noch vertretbar, aus Übersee importierten Wein zu trinken?
Ich als Weinliebhaberin sage: Bubbles aus Oregon in den USA ist mega interessant und nicht dasselbe wie Bubbles aus dem Aargau. Der Terroir-Gedanke ist immer sehr spannend. Aber natürlich: Der Wein kommt weit her und muss mit dem Schiff transportiert werden. Unsere Überseeweine kann man an zehn Fingern abzählen.
Nach den leichten, sommerlichen Weinen kommen zu Herbstgerichten andere Tropfen auf den Tisch: Welchen Wein trinken Sie zu Wild?
Ich würde einen Syrah aus Südfrankreich wählen, dessen Aromen wie Waldboden und Pilz passen gut dazu.
Und wenn ich ein scharfes Kürbis-Curry auftische?
Bei Schärfe unbedingt immer etwas trinken, das Restzucker drin hat, nie einen Rotwein! Also Weisswein mit etwas Restzucker, vielleicht Gewürztraminer aus Österreich.
Und zu Raclette?
Ich nehme einen Pinot Noir aus dem Wallis.
Traditionell trinkt man in der Schweiz doch Weisswein zu Käsegerichten?
Aber der Weisse geht fast etwas unter mit diesem Käse, wenn man noch Paprika und weiss nicht was drauftut.
Welches ist Ihr absoluter Lieblingswein?
Der heisst Hölle und stammt vom Weingut St. Annaberg in der Pfalz. Eine Freundin von mir, Mutter von zwei Mädchen, produziert dort sieben verschiedene Bio-Rieslinge. Ihre Rieslinge haben so richtig Wumms.
Wumms?
Wumms.