Giuseppe Gracia über seinen neuen Roman «Glorias Finale»
«Unsere Gesellschaft ist aufgebaut wie eine Talentshow»

Gloria, die Protagonistin in Giuseppe Gracias (54) neuem Roman, will Rache üben. Sie möchte die Castingshow zerstören, durch die sie ihre Freundin Chantal verloren hat. Doch dann wird sie plötzlich selbst zur Show.
Publiziert: 28.08.2021 um 17:31 Uhr
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Giuseppe Gracia (54) ist ein Schweizer Schriftsteller, Kommunikationsberater und ehemaliger Blick-Kolumnist.
Foto: Thomas Buchwalder
Janina Bauer

Gloria wächst in einer zerrütteten Familie auf. Der Vater ist Italiener, arbeitet auf dem Bau. Die Mutter kommt aus Spanien, sie schiebt Nachtschichten in einer Fabrik. Das Familienleben ist geprägt vom Streit der Eltern – und von den Schlägen des Vaters. Die einzige Zuflucht des jungen Mädchens ist ihre ältere Freundin Chantal.

Die lebt, verlassen vom Vater, mit ihrer depressiven und medikamentenabhängigen Mutter ebenfalls in der Schweizer Kleinstadt Rorschach. Chantal passt auf Gloria auf, stellt sich ihrem gewalttätigen Vater in den Weg. Gemeinsam verbringen sie ihre Tage am See oder in dem Lokal Sixty Nine. Dort verkehrt Chantals Freund Mauro und sein Motorradklub.

Castingshow als Sprungbrett?

Chantal will raus aus Rorschach, ab nach Zürich. Dort möchte sie Gloria und sich ein neues, schönes Leben ermöglichen. Ein Leben in Freiheit: «Frei vom Heim, frei von den Behörden, frei vom Klub und von allen, die jemals versucht hatten, uns etwas vorzuschreiben», wünscht sie sich. Chantal kann singen, auf der Bühne des Sixty Nine hat sie geübt. Mauro und die Männer vom Klub sind überzeugt: Sie hat Talent. Der Chef der Motorradgang hat Kontakte in die Zürcher Showszene, Chantal kann an einer Schweizer Castingshow teilnehmen. Sie gewinnt und zieht damit in die internationale Show «Eurostar» ein. Der Traum scheint zum Greifen nah. Doch etwas geht schief. Die Show befreit Chantal nicht. Im Gegenteil: Sie ist ihr Ende.

Für Gloria bricht eine Welt zusammen. Das Einzige, was sie am Leben hält, ist der Gedanke an Rache.

Dem Autor Giuseppe Gracia (54) kam die Idee zu «Glorias Finale», als er mit seiner 13-jährigen Tochter den Eurovision Song Contest im Mai 2018 schaute. «Ich habe mich gefragt, was mit den Menschen passiert, die durchs Showgeschäft über Nacht zum Star werden – und dann durch ihr Ausscheiden über Nacht auch wieder von der Bildfläche verschwinden.» So wie Daniel Küblböck, der 2003 durch «Deutschland sucht den Superstar» berühmt wurde, als Drittletzter ausschied, trotzdem verzweifelt versuchte, in der Medienwelt Halt zu finden und schliesslich im September 2018 von Bord eines Kreuzfahrtschiffes verschwand. Die Behörden gehen von einem Suizid aus.

Mensch ist Produkt und Konsument

Wie drehen sich die Rädchen der Show-Maschinerie? Gracia schickt seine Heldin Gloria auf den Weg, das herauszufinden. Das System zu ändern. Ein System, das geprägt ist von Seximus, Gier, Neid. Ein System, in dem PR-Berater, Regisseure, Produzenten und Journalisten die Fäden ziehen. Den Menschen als «Augenfutter» einsetzen, angetrieben vom Zuschauer als Motor. «Gloria möchte die Show töten. Im Laufe des Romans wird immer mehr hinterfragt, ob sich das Showbusiness überhaupt töten lässt. Oder ob am Ende nicht alles zur Show wird», fasst der Autor zusammen.

Gracia hält dem Leser einen Spiegel vor. «Unsere Gesellschaft ist aufgebaut wie eine Talentshow. Jeder will höher, schneller, weiter – und sich dabei präsentieren.» Jeder kann seine eigene Show sein. Social Media bietet die passende Plattform. «Das Problem ist, dass der Mensch gleichzeitig Produkt und Konsument ist. Es ist ein Teufelskreis.» Wenn Menschen unter die Räder dieser Maschinerie geraten, dann können Liebe, Freundschaft und Leben zerstört werden.

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