Kolumne «Weltanschauung» von Giuseppe Gracia
Mutterschaft als Feindbild

Heute ist es Mode zu sagen, dass es zu viele Menschen auf der Welt gibt und diese sowieso nur den Planeten zerstören. Also bloss keine Kinder kriegen! Junge Frauen wollen sich deswegen sogar die Gebärmutter entfernen lassen. Da stimme was nicht, findet unser Kolumnist.
Publiziert: 07.06.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.06.2021 um 11:22 Uhr
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Es gibt Frauen zwischen 18 und 30, die keinen Kinderwunsch verspüren. Deswegen möchten sie sich die Gebärmutter herausoperieren lassen. Solche Frauen beklagen sich, wenn ihnen die Operation verwehrt wird. Wenn ihnen von Ärzten geraten wird, in jungen Jahren keine derart absoluten Entscheide zu treffen, da sich die Wünsche eines Tages ändern könnten.

Da stellt sich die Frage, ob die Medizin überhaupt da ist, um Leben zu verhindern. Sind Ärzte Dienstleister der Sterilisation? Bisher ging es in der Medizin jedenfalls darum, Leben zu retten und zu fördern, statt auf «Kundenwunsch» Lebensquellen zu zerstören.

Abgesehen davon propagiert der heutige Zeitgeist überall sonst eine Kultur der Vorläufigkeit. Vorläufige Karriereschritte, Lebensentwürfe, Lebenspartner. Fliessende Identitäten, Geschlechter, sexuelle Ausrichtungen. Das Leben als Fluss des Wandels, angefüllt mit Optionen, die nie endgültig sein dürfen, die veränderbar bleiben müssen. Denn niemand weiss, was er morgen fühlen oder sich wünschen wird.

Es geht um entfernte Hoffnungen

Die Entfernung der Gebärmutter passt nicht in diese Kultur der Vorläufigkeit, sondern ist endgültig, unwiderruflich. Wie kann das für eine 18-jährige Frau eine wünschbare Sache sein? Wie soll sie wissen können, dass sie sich in Zukunft sicher nie Kinder wünschen wird?

Da stimmt etwas nicht. Hier geht es wohl eher um eine generelle Stimmung gegen die Mutterschaft, ja gegen die Elternschaft. Heute ist es nämlich Mode zu sagen: Es gibt sowieso zu viele Menschen auf dem Planeten. Die Menschheit ist misslungen und zerstört das Gleichgewicht der Natur. Besser keine Kinder mehr in die Welt setzen. Besser fürs Klima sorgen und die Menschheit reduzieren.

Darum geht es. Das eigentliche Problem sind nicht entfernte Gebärmütter, sondern entfernte Hoffnungen. Hoffnungen auf das Gute im Leben. Auf verbindliche Liebe und Lebensglück. Diese Hoffnung brauchen wir wieder. Mit den Worten des Dichters Novalis (1772–1801): «Das Kind ist eine sichtbar gewordene Liebe.»

Giuseppe Gracia (53) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» erschien im Fontis Verlag, Basel. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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