Frau Bernasconi, der Sommer lässt weiter auf sich warten – und in anderthalb Wochen werden die Tage schon wieder kürzer. Ist das nicht deprimierend?
Martina Bernasconi: Persönlich mag ich die Sonne auch viel lieber. Als Philosophin entgegne ich Ihnen aber: Es kommt stets auf die Perspektive an! Es hört nicht auf zu regnen, nur weil Sie frustriert sind. Wenn Sie sich übers nasskalte Wetter freuen, geht es Ihnen automatisch besser.
Das fällt gerade etwas schwer …
Sie dürfen sich vom Wetter nicht fremdbestimmen lassen, es handelt sich dabei – zum Glück – um etwas völlig Zufälliges. Jetzt «kübelt» es eben die nächsten Tage, mit Temperaturen um die 16 Grad. Natürlich schlägt das auf Dauer auch mir aufs Gemüt.
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Wie vielen anderen auch. Weshalb eigentlich?
Wir wissen, dass Lichtmangel depressive Verstimmungen auslösen kann. «Geh nach draussen!», ist nicht nur ein gut gemeinter Rat. Licht hat einen enormen Einfluss auf die menschliche Psyche. Darum wäre Sonne tanken angezeigt. Auch wenn es Leute gibt, die sich im Nebel wohlfühlen und gerne vor dem Cheminée sitzen: Fondue im Juni nützt sich auf Dauer ab.
Was lehrt uns das Wetter?
Gelassenheit. Seit Ewigkeiten das grosse Thema der Philosophie. Ein Beispiel: Zum 50. Geburtstag veranstalten Sie im Sommer eine grosse Gartenparty – und dann schüttet es wie aus Kübeln. Was machen Sie? Das Beste draus: Verregnete Fotos sind spannender!
Im Volksmund scheint mieses Wetter wertlos: «Zähl die heiteren Stunden nur!»
Wie fängt dieser Spruch nochmals an?
«Mach es wie die Sonnenuhr …»
Genau. Früher, als es bloss Sonnenuhren gab, existierte das Ordnungssystem Zeit nur bei schönem Wetter. Bei Regen musste man sich aufs Zeitgefühl verlassen. Das Sprichwort hat aber nicht die Meteorologie, sondern die Gemütsverfassung zum Thema – und natürlich ist es Quatsch: Auch Trauer kann wertvoll sein und Positives bewirken.
Martina Bernasconi (59) hat Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaften in Basel, Berlin und New York studiert. Von 2009 bis 2021 politisierte sie im Basler Grossen Rat, zu Beginn für die GLP, ab 2017 für die FDP. In ihrer Denkpraxis bietet sie philosophische Beratungen und Workshops an.
Martina Bernasconi (59) hat Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaften in Basel, Berlin und New York studiert. Von 2009 bis 2021 politisierte sie im Basler Grossen Rat, zu Beginn für die GLP, ab 2017 für die FDP. In ihrer Denkpraxis bietet sie philosophische Beratungen und Workshops an.
Schlechtes Wetter hat dennoch etwas Bedrohliches: Im Nebel verlieren wir die Orientierung, im Sturm den Halt.
Oder nehmen Sie ganz aktuell die Hochwassersituation in Europa. Dämme brechen, ganze Dörfer versinken in den Fluten. Nicht minder verheerend sind Dürren, wie sie derzeit etwa den Süden Afrikas plagen. Kurz: Extreme sind immer schlecht. Nach zwei bis drei Wochen mit 35 Grad in Basel spreche ich auch von schlechtem Wetter. Wir würden dann das gleiche Gespräch führen – einfach unter anderen Vorzeichen.
Letztlich fürchten wir uns doch vor dem Ende des Sommers, weil es uns an die eigene Vergänglichkeit erinnert.
Das hat mehr mit Ihrem Alter zu tun. Wer gerne Ski fährt, freut sich auf den Winter. Andere mögen den Frühling oder den Herbst. Ich verspüre diese Wehmut ebenfalls, wenn man abends wieder mit der Jacke aus dem Haus muss, diese schwülen Sommernächte ein Ende nehmen. Trösten Sie sich also: Sie sind nicht allein!
Es gibt den Spruch: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung. Stimmt das? Ist alles eine Frage der Kleiderwahl – respektive der Einstellung?
Karl Valentin sagte: «Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.» Das trifft einen zentralen Punkt. Nehmen Sie nächste Woche: Ein schöner Vorsommer wird es gemäss Wetterbericht kaum geben. Wenn ich das weiss, kann ich mich vorbereiten, den Kinobesuch planen etwa.
Manchmal ist die Berghütte halt schon gebucht.
Man kann auch wandern, wenn das Wetter nicht perfekt ist. Freuen Sie sich darüber, dass Sie der Einzige sind auf den Wanderwegen! Es gibt immer Licht und Schatten.
Wie emanzipieren wir uns vom Wetter?
Die Kunst ist es, die eigene Befindlichkeit von den Wetterkapriolen zu entkoppeln. «Arbeit an der Freiheit», nennt sich das philosophische Konzept. Passt das Wetter nicht, mache ich mir eine Notiz: Welche Vorteile hat es, dass es jetzt regnet? Kann ich nun endlich diesen Podcast hören, oder lade ich mein Patenkind ins Hallenbad ein?
Wir benötigen also einfach einen Schlechtwetterplan.
Genau. Glücklich ist, wer nicht mehr davon abhängig ist, ob heute schönes Wetter herrscht oder nicht. Und sagen kann: «Draussen schifft es zwar wie verrückt, und alle meine Pläne sind im Eimer – dafür habe ich jetzt endlich mal meine Ruhe.»
Regenwetter ist Lesezeit. Zur Lektüre empfiehlt sich der Roman «Sturz in die Sonne» des Schweizer Schriftstellers C. F. Ramuz (1878–1947). Darin heisst es: «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben.» Nach der Lektüre dankt man Petrus fürs Hudelwetter.
Nasskalte Abende eignen sich für einen Kinobesuch. Momentan läuft schweizweit das Action-Spektakel «Furiosa: A Mad Max Saga», ein Endzeit-Märchen im Wüsten-Ödland. Nach dem Abspann macht sich niemand mehr über den Klimawandel lustig.
Noch bis am 21. Juli läuft im Berner Museum für Kommunikation die (überdeckte) Ausstellung «Nichts». Wem vor lauter Wetterblues die Sicht auf die kleinen, nur scheinbar nichtigen Dinge des Lebens vernebelt worden ist, findet hier neue Perspektiven.
Regenwetter ist Lesezeit. Zur Lektüre empfiehlt sich der Roman «Sturz in die Sonne» des Schweizer Schriftstellers C. F. Ramuz (1878–1947). Darin heisst es: «Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben.» Nach der Lektüre dankt man Petrus fürs Hudelwetter.
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