An Schizophrenie leiden die Betroffenen teils über Jahrzehnte. Mit Kay Voser (36) sprach nun zum ersten Mal ein Schweizer Ex-Fussballer offen über sein Leben mit Schizophrenie – im grossen Blick-Interview. Er sagt: «Ich stand neben den Schuhen. Ich wusste nicht, was tun, wusste nicht, wo ich bin.»
So wie ihm geht es vielen. Rund 0,3 Prozent der Schweizer Bevölkerung – schätzungsweise 26'000 Menschen – seien an Schizophrenie erkrankt, sagt Jochen Mutschler (47), Chefarzt stationäre Dienste der Luzerner Psychiatrie. Er gibt Einblick in eine Krankheit, die noch immer mit vielen Vorurteilen und Missverständnissen behaftet ist.
Was sind die Ursachen von Schizophrenie?
«Es gibt genetische Faktoren und Umwelteinflüsse, die Schizophrenie auslösen», sagt Mutschler. Wenn in der Familie schizophrene oder ähnliche psychische Erkrankungen vorliegen, sei man anfälliger. Daneben sei Substanzkonsum ein wichtiger Faktor, der die Erkrankung wahrscheinlicher machen. Mutschler nennt Tabak und Cannabis, die nachweislich Schizophrenie begünstigen. In seltenen Fällen könne eine pränatale Infektion, also eine Infektion der schwangeren Mutter, die sich auf den Embryo überträgt, zur psychischen Erkrankung führen.
Wann tritt Schizophrenie typischerweise auf?
Bemerkbar werde eine Schizophrenie-Erkrankung meist im jungen Erwachsenenalter, sagt Mutschler. Bei Männern zwischen 15 und 25, bei Frauen zwischen 25 und 35. Die Erkrankung beginne aber bereits gut fünf Jahre vorher. «Da die Symptome in diesem Stadium unspezifisch sind, wird selten direkt Schizophrenie diagnostiziert.» Betroffene würden sich zunächst sozial zurückziehen und weniger aktiv werden. Ausserdem nehme die Energie und die Leistungsfähigkeit ab, man werde unruhig, angespannt und gereizt. «Irgendwann fällt das dem Umfeld auf», sagt Mutschler. «Die Noten in der Schule oder die Leistung in der Arbeit werden schlechter.»
Wie äussert sich Schizophrenie?
Sobald die Krankheit ausgebrochen ist, äussert sich Schizophrenie in Form von Wahnvorstellungen, Selbstgesprächen oder einer stark veränderten Wahrnehmung. Diese Symptome kommen laut Mutschler oft schubweise. «Betroffene haben dann das Gefühl, sie werden verfolgt oder fremdgesteuert. Sie befürchten, dass andere ihre Gedanken lesen, und fühlen sich nicht mehr sicher.» Da solche Symptome Aussenstehende oft einschüchtern können, sei Schizophrenie noch immer stigmatisiert. Schizophrene Menschen seien aber erfahrungsgemäss nicht gefährlicher als andere, auch wenn das oft angenommen werde. Gewaltausbrüche seien selten. «Sollte es dennoch einmal dazu kommen, ist das eine Folge des Wahns und Kontrollverlusts», sagt Mutschler. Für Aussenstehende komme das oft aus dem Nichts und könne ihnen Angst machen. «Das wiederum führt zu sozialer Isolation und Unsicherheit bei Patienten.» Darunter leiden sie oft genauso stark wie unter den eigentlichen Krankheitssymptomen.
Wie kann man Schizophrenie therapieren?
Laut Mutschler sind eine medikamentöse Therapie und eine Psychotherapie zentral. Je früher man damit beginne, desto besser seien die langfristigen Prognosen. Mutschler: «Es geht in der Behandlung darum, den Patienten wieder ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zu geben.» Welche Form der Behandlung infrage komme, hänge vom individuellen Krankheitsbild ab. Die Medikamente dienen vor allem der Linderung der Symptome, nicht der Ursachenbekämpfung. Dabei stehen Medikamente, die man täglich einnehme, oder Spritzen mit einer länger anhaltenden Wirkung zur Verfügung.
Was sind die Prognosen einer Schizophrenie-Erkrankung?
«Bei einem Drittel aller Patienten sind die Aussichten sehr gut», sagt Mutschler. Mit wenigen Medikamenten können sie die Krankheit vollständig in den Griff kriegen. Der Experte betont: «Mit Schizophrenie kann man alles im Leben erreichen.» Der amerikanische Mathematiker John Nash (1928–2015) erhielt 1994 trotz seiner Schizophrenie gar den Wirtschaftsnobelpreis. Bekannt wurde er vor allem durch den preisgekrönten Hollywood-Film «A Beautiful Mind». Wird die Krankheit allerdings nicht behandelt, sind die Prognosen deutlich schlechter. Dann komme es regelmässig und langfristig zu Schüben mit Wahnvorstellungen, sagt Mutschler. «Jeder Schub beeinträchtigt dabei die Leistung des Gehirns nachhaltig.» Wegen dieses kognitiven Abbaus wurde Schizophrenie früher oft als «dementia praecox», als vorzeitige Demenz, bezeichnet.