Auf einen Blick
- Männer sind oft Täter bei häuslicher Gewalt
- Gewaltberatung umfasst acht bis zwölf Sitzungen
- Täterarbeit in der Schweiz steckt noch in den Kinderschuhen
Mike Mottl, in über 70 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt ist der Mann der Täter. Warum werden Männer zu Tätern?
Mike Mottl: Es ist Tatsache, dass schwere Gewaltverbrechen wie Femizide oder schwere Körperverletzung fast ausschliesslich von Männern verübt werden. Ich bin der Meinung, dass Gewalt stark mit Geschlechterrollen zusammenhängt, also mit der Art, wie wir sozialisiert werden.
Inwiefern?
Obwohl wir immer mehr Gleichberechtigung haben, fühlen sich noch immer viele Männer als Oberhaupt der Familie und nehmen sich, bewusst oder teilweise auch unbewusst, viel Macht heraus. Das überfordert sie und sie können daran zerbrechen. Diese tief verwurzelten Rollenbilder, wie das des «starken Mannes», der nicht über seine Probleme spricht, ändern sich nur langsam. Diese Überforderung führt nicht selten zu Konflikten und häuslicher Gewalt, besonders in stressigen Phasen wie der Familiengründung.
Welche Arten von Männern kommen zu Ihnen?
Das ist sehr unterschiedlich. Im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes im Kanton Zürich machen wir etwa die sogenannte Gefährderansprache: Wir kontaktieren Männer, die zum Beispiel ein Kontaktverbot oder eine Wegweisung erhalten haben und bieten Unterstützung an. Darunter befinden sich Männer aus allen Gesellschaftsschichten, vom Arbeiter bis zum CEO. Gewalt ist also nicht an Konventionen oder Klasse gebunden. Auch in migrantischen Familien ist Gewalt ein Thema, beeinflusst durch patriarchale Strukturen. Dennoch sehen wir in Workshops mit Jugendlichen an Schulen, dass die Vorstellungen von Männlichkeit zwischen Kulturen oft gar nicht so unterschiedlich sind.
Es kommen auch Männer unfreiwillig zum Mannebüro, im Rahmen einer zivilrechtlichen Zuweisung. Wie offen sind die für Ihr Angebot?
Zugewiesene Personen haben oft schwerere Gewaltdelikte verübt als Selbstmelder. Letztere suchen meist freiwillig Hilfe, während Zugewiesene anfangs oft unmotiviert sind. Mit der Zeit entwickelt sich jedoch ein Vertrauensverhältnis, und die Arbeit verläuft in den meisten Fällen erfolgreich, auch bei schweren Gewalttaten.
Mike Mottl (57) ist Geschäftsleiter und Männerberater beim Mannebüro Züri. Das Mannebüro ist seit 1989 eine unabhängige Beratungs- und Informationsstelle für Männer in Konfliktsituationen. Es ist das älteste Männerbüro und die erste spezifische Täterberatungsstelle der Schweiz.
Mike Mottl (57) ist Geschäftsleiter und Männerberater beim Mannebüro Züri. Das Mannebüro ist seit 1989 eine unabhängige Beratungs- und Informationsstelle für Männer in Konfliktsituationen. Es ist das älteste Männerbüro und die erste spezifische Täterberatungsstelle der Schweiz.
Sind die Männer einsichtig?
Viele Männer sehen sich in der Opferrolle. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie vielleicht von ihrer Familie weggewiesen wurden. Viele machen äussere Umstände wie Stress bei der Arbeit oder Probleme mit der Familie für ihr Handeln verantwortlich, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Das ist aber die Voraussetzung für die Gewaltberatung. Einige erkennen das schnell, während andere länger dafür brauchen.
Wie schauen die Strategien aus, die Sie zusammen erarbeiten?
Eine Gewaltberatung umfasst in der Regel acht bis zwölf Sitzungen. Sie ist also eher kurz und nicht als Therapie gedacht. Wir arbeiten mit verschiedenen Methoden, um den Männern zu helfen, ihr Leben zu reflektieren und herauszufinden, wie sie in ihrer Partnerschaft stehen. Wir merken, dass Männer nach einer Familiengründung sehr oft ihre Hobbys aufgeben und nur noch arbeiten gehen. Diese Vernachlässigung ist bei häuslicher Gewalt sehr auffällig. Ein wichtiger Schritt ist, die Opferrolle zu verlassen und zu lernen, wie man mit Krisensituationen umgeht. Das heisst zum Beispiel, Warnlampen wie etwa körperliche Anspannung zu erkennen. Wir erarbeiten dann zusammen Notfallmassnahmen, wie Spaziergänge an der frischen Luft oder Sport, um Stress abzubauen.
Und das hilft?
Die Männer haben sehr gute Chancen, gewaltfrei zu leben. Ihr Leben ist nicht völlig auf den Kopf gestellt; sie bleiben dieselben Menschen, haben aber viel über sich selbst gelernt. Mit diesen Erkenntnissen können sie an den Herausforderungen arbeiten, mit denen sie konfrontiert sind.
Macht die Schweiz genug in Sachen Täterarbeit?
Wir sind die grösste Täterberatungsstelle in der Schweiz, aber wir sind sehr klein und haben knappe Ressourcen. Täterarbeit steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Dabei ist Täterarbeit eine sehr gute Form von Opferhilfe. Die Zuweisungen haben in der Schweiz zwar zugenommen, sind aber zum Beispiel im Vergleich zu Deutschland immer noch selten. Insbesondere, weil es sich dabei um schwere Gewaltdelikte handelt, sollte es mehr Zuweisungen geben. Denn diese Männer werden nicht freiwillig zu uns kommen.