Geheimwaffe Nickerchen
Der Kurzschlaf ist ein wahrer Leistungsbooster

«Siesta», «Nap» und «Inemuri»: Andere Kulturen haben die Vorteile eines kurzen Schläfchens bereits für sich entdeckt. Das Nickerchen gilt als Geheimwaffe für Produktivität und Kreativität. Doch wir in der Schweiz trinken noch immer einen Kaffee. Warum das falsch ist.
Publiziert: 04.11.2024 um 12:03 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2024 um 16:22 Uhr
Zu müde vom vielen Arbeiten: Ein kurzer Mittagsschlaf hilft, wenn am Mittag der innere Akku leer ist.
Foto: PIUS KOLLER

Auf einen Blick

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Tina Fischer
Handelszeitung

Spätzli, Rotkraut, Marroni und Hirschpfeffer – ein Wildteller zum Businesslunch klingt verlockend. Doch mit vollem Magen zurück im Büro dauert es nicht lange, bis das Foodkoma zuschlägt. Es arbeitet im Bauch, die Konzentration nimmt ab, und trotz Espresso nach dem Essen fühlt man sich schläfrig und müde.

Also bestellt man zum Mittagessen nur den leichten Salat – oder erlaubt sich einen kurzen Powernap im Büro. Nur: Das ist nicht überall möglich. Der Zeitdruck ist gross, ein Termin reiht sich an den anderen, einen Ruheraum gibt es nicht. Ausserdem erntet skeptische Blicke, wer für dreissig Minuten verschwindet, um zu schlafen.

Ganz anders im Süden. Dort ist die Siesta das beste Mittel zur Überbrückung der heissen Mittagstemperaturen. Perfektioniert haben die Kunst des kurzen Nickerchens aber die Japaner. Dort heisst die Nap-Kultur «Inemuri», eine Mischform aus «anwesend sein und schlafen». In U-Bahnen nicken Japanerinnen und Japaner weg, sogar an Sitzungen schliessen sie ihre Augen und verfallen in einen leichten Schlaf. Das signalisiert, dass die Person viel arbeitet und sich zwischendurch erholt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Kulturell ist das in Japan akzeptiert. Hierzulande passt ein Powernap jedoch schlichtweg nicht in den Arbeitsablauf vieler Arbeitnehmenden. Schade, findet der Schlafforscher Albrecht Vorster vom Swiss Sleep House beim Inselspital in Bern. «Ein Powernap ist genauso leistungssteigernd wie eine 15-Minuten-Kaffeepause.» Nach einem kurzen Schlaf seien die Mitarbeitenden besser gelaunt, wacher und produktiver.

Der Mensch ist wie ein Handy

Doch: «Der Chef muss es vormachen, dann ziehen alle nach», sagt Vorster. Es sei eine rein kulturelle Angelegenheit. Bei Vorster selber hängt eine Hängematte im Büro. Eine diskretere Variante sind Ruheräume, die mittlerweile viele Firmen eingerichtet haben.

Die gibt es zum Beispiel bei Ikea, Bico, Google, Microsoft oder IBM. Bei IBM sind die Liegen schon seit 1995 im Einsatz. Im selben Jahr veröffentlichte die Nasa eine der ersten Studien, die aufzeigte, dass ein Powernap am Arbeitsplatz die Leistung steigert. 26 Minuten wurden darin als die optimale Nap-Länge dargestellt, um den maximalen Effekt auf die Arbeitsleistung zu haben.

Kommt hinzu, dass Powernaps die Reaktionsschnelligkeit um 16 Prozent steigern, Aufmerksamkeitsausfälle um 34 Prozent verringern und laut der Harvard T.H. Chan School of Public Health gar das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren.

Feindbild: Mittagstief

Den Grund für das Mittagstief kennt Christine Blume, Schlafforscherin an der Universität Basel: «Wir haben eine Art inneren Akku», erklärt sie. «Im Verlauf des Tages wird die Energie verbraucht, der Akku leert sich. Damit wir aber nicht einfach einschlafen, fördert der Körper gleichzeitig ‹Wachheit› – vergleichbar mit einem körpereigenen Aufputschmittel. Erst wenn es darum geht, ins Bett zu gehen, wird Wachheit weniger stark gefördert. In Kombination mit dem niedrigen Akkustand werden wir müde und können einschlafen.»

Steht man früh auf oder hat einen besonders aktiven Morgen hinter sich, ist der Akku am frühen Nachmittag schon recht leer, während der wachheitsfördernde Prozess dem noch nicht stark genug entgegenwirkt. Die Konsequenz ist, dass man sich müde und schlapp fühlt – der Moment für den Mittagsschlaf. Dieser funktioniert dann wie ein Schnellladekabel beim Handy: Der Akku lädt sich zwar nicht wieder voll auf, der Batteriestand ist aber höher.

So gelingt der Powernap

Rund um den kurzen Mittagsschlaf ranken sich zahlreiche Mythen (siehe Box). Als Faustregel empfehlen Experte Vorster und Expertin Blume unisono rund 15 Minuten. Ein Powernap gilt als solcher, wenn er eine Länge bis rund 30 Minuten beträgt, danach ist die Rede eher von einem Mittagsschlaf, wie ihn ältere Personen öfter praktizieren.

15 Minuten seien aber perfekt, weil man dann nicht in den Tiefschlaf fällt. «Es fühlt sich häufig gar nicht wie Schlaf an. Nach 15 Minuten sollte man aber konsequent aufstehen, egal, ob man das Gefühl hat, weg gewesen zu sein oder nicht», sagt Vorster. Bereits das Dösen kann helfen.

5 Nickerchen-Mythen

Im Dunkeln schlafen: Lieber nicht abdunkeln, denn Helligkeit fördert die Wachheit – öffnet man die Augen nach dem Powernap, ist man schneller wieder wach.

Tiefe Temperatur: Die Temperatur ist beim Powernap nicht ganz so wichtig wie beim Nachtschlaf, während dem es eher frisch sein sollte. Aber frieren sollte man auch beim Mittagsschlaf nicht.

Liegen versus Sitzen: Die Muskulatur entspannt sich beim Powernappen. Beim Sitzen kippt dann der Kopf weg, entsprechend ist die liegende Position angenehmer.

Dauer: Alles bis dreissig Minuten wird als Powernap bezeichnet, eine längere Dauer gilt als Mittagsschlaf, wie ihn ältere Menschen häufiger machen.

Powernappen sollte man nur am Mittag: Nach 16 Uhr ist auf einen Powernap zu verzichten, da er dann die Nachtruhe beeinflussen kann.

Im Dunkeln schlafen: Lieber nicht abdunkeln, denn Helligkeit fördert die Wachheit – öffnet man die Augen nach dem Powernap, ist man schneller wieder wach.

Tiefe Temperatur: Die Temperatur ist beim Powernap nicht ganz so wichtig wie beim Nachtschlaf, während dem es eher frisch sein sollte. Aber frieren sollte man auch beim Mittagsschlaf nicht.

Liegen versus Sitzen: Die Muskulatur entspannt sich beim Powernappen. Beim Sitzen kippt dann der Kopf weg, entsprechend ist die liegende Position angenehmer.

Dauer: Alles bis dreissig Minuten wird als Powernap bezeichnet, eine längere Dauer gilt als Mittagsschlaf, wie ihn ältere Menschen häufiger machen.

Powernappen sollte man nur am Mittag: Nach 16 Uhr ist auf einen Powernap zu verzichten, da er dann die Nachtruhe beeinflussen kann.

Die besten Nickerchen-Methoden

Blume empfiehlt den sogenannten Schlüsselschlaf: Statt den Wecker zu stellen, kann man die Schlüssel in die hängende Hand nehmen. Sobald sich der Körper so weit entspannt hat, dass er in einen tieferen Schlaf übergeht, fällt der Schlüssel aus der Hand und scheppert auf den Boden: «Der richtige Zeitpunkt zum Erwachen.»

Ein anderer Tipp, um das Maximum herauszuholen, ist der «Nap-Presso»: einen Espresso vor dem Nap trinken und sich dann hinlegen. Während des Schlafs entfaltet sich das Koffein, und nach 15 Minuten erwacht man mit dem doppelten Energieboost.

Richtiges Entspannen sollte dabei gelernt sein. Als Vorbild gilt die US-amerikanische Luftwaffe: «Schlafhygiene ist genauso wichtig wie gesunde Ernährung und die Fitness», wird Michele Edmondson, Major und Commander of Second Airforce, zitiert. Die Soldaten und Soldatinnen setzen dabei auf eine progressive Muskelentspannung: Sie gehen den Körper schrittweise von Kopf bis Fuss durch, spannen die Muskeln an und entspannen sie wieder. Das Ziel: einmal alles anspannen, dann entspannen – und weg. «Was klingt wie eine Superkraft, ist mit Übung möglich», sagt Blume dazu.

Einen Espresso vor dem Nap zu trinken ist eine bewährte Methode, um danach bestens gestärkt wieder an die Arbeit zu gehen.
Foto: Getty Images

Auch der Schlaf in der Nacht ist wichtig

Schlafen am Tag ist gut, generell gut zu schlafen, hilft jedoch nicht nur den Menschen, sondern auch den Firmen: Der Think-Tank Rand Europe berechnete, dass chronische Schlafstörungen zu einem durchschnittlichen Verlust der Arbeitszeit von über fünfzig Tagen pro Jahr führen können. Ein Stich ins Herz der Schweizer Wirtschaft. 1,3 Prozent – oder rund 9 Milliarden Franken – können ihr deswegen entgehen. Ein trauriger Spitzenplatz für die Schweiz.

Doch bis sich der Mittagsschlaf in der Schweiz etabliert, wird es wohl noch eine Weile dauern. Konsequenterweise gibt es bis dahin auch keinen Wildteller zum Mittagessen. Dafür stochert man lustlos im grünen Blattsalat mit Kürbiskernen obendrauf – und schlürft danach einen doppelten Espresso an der Kaffeemaschine.


 

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