Achtung, Burnout-Gefahr!
Wenn das Erledigen von Aufgaben krank macht

Prokrastination hat ein Geschwisterchen: Statt unter dem Aufschieben von Arbeiten leiden Präkrastinierer unter dem permanenten Erledigen von Aufgaben. Psychologe Florian Becker (47) erklärt die Hintergründe und zeigt auf, wie du aus diesem Hamsterrad ausbrechen kannst.
Publiziert: 10.04.2025 um 08:40 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2025 um 08:44 Uhr
Die Hetzjadg von einem To-Do zum anderen führt zu einem Dauerstress und erhöht das Burnout-Risiko.
Foto: Getty Images/EyeEm

Darum gehts

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Olivia RuffinerRedaktorin

Das Handy blinkt mit einer Nachricht, das E-Mail-Postfach ist überfüllt und die Stromrechnung trifft ein. Wenn es dich jetzt in den Fingern juckt, alles anzupacken und sofort zu erledigen, dann leidest du wahrscheinlich an Präkrastination.

Der Begriff stammt aus der Psychologie und ist eine Anlehnung an Prokrastination, das irrationale Aufschieben von Arbeit. Während Prokrastinierer selbst wichtige Aufgaben erst im letzten Moment angehen, stehen Präkrastinierer an vorderster Front und erledigen alles, was auf sie zukommt, immer sofort. Ganz nach dem Sprichwort: «Was du heute kannst besorgen ...»

«Präkrastinierer neigen dazu, ihre mentale Last zu bewältigen. Erledigte Aufgaben sind eine Sorge weniger», sagt Florian Becker (47), Psychologe und Ratgeberautor aus München (DE). Jedoch hat der Drang, alles sofort zu erledigen, auch Nachteile: Studien zeigen, dass Betroffene ein höheres Stressniveau aufweisen, häufiger ein Burnout erleiden und oft dazu bereit sind, zusätzlichen Aufwand in Kauf zu nehmen, nur um eine Aufgabe abzuhaken. Ausserdem sind sie anfälliger für Flüchtigkeitsfehler. Ist Präkrastination also der böse Zwilling der Prokrastination?

«Gewissermassen», meint Becker, «im Grunde ist Präkrastination oftmals genauso eine Art, wichtige Dinge nicht anzugehen». Präkrastinierer sind Menschen, die andere gerne entlasten, immer zur Stelle sind und sofort helfen. So sind sie bei der Arbeit, in der Familie oder in der Schule gerngesehen. «Und das geht ein Leben lang, bis man sich eines Tages fragt: ‹Was habe ich eigentlich für mich selbst getan?›»

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt

Diesen Punkt zu erreichen und die Präkrastination zu erkennen sei schwer, da sich viele Betroffene selbst als produktiv und effizient wahrnehmen. Auch das soziale Umfeld ist oft zufrieden damit. Hat man doch jemanden, der alles abarbeitet.

Unter anderem spielt dabei das Belohnungszentrum im Gehirn eine Rolle: Jede erledigte Aufgabe löst kurzfristige Belohnung aus, motiviert aber nicht dauerhaft. Die Freude am Abhaken von To-Do-Listen oder das Gefühl von Kontrolle verschiebt oft die rationale Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag einer Aufgabe.

«Präkrastinierer verlieren den Bezug zur Grösse einer Aufgabe und setzen keine gesunden Prioritäten», meint Becker. «Das permanente Abarbeiten aller E-Mails kann dann beispielsweise das gleiche Gewicht erhalten wie langfristige, wichtige Themen.» Etwa die eigene Gesundheit, Partnerschaft oder die finanzielle Situation im Alter.

Ein Stapel an Aufgaben, doch wie wichtig sind diese wirklich?
Foto: Getty Images

Gefühlte Produktivität mit schweren Folgen

Diese ineffiziente Priorisierung führt auch zu einem hohen Stressempfinden bei den Betroffenen. «Das ist aber eigentlich selbstgemachter Stress, die Betroffenen nehmen so viel auf sich und priorisieren nicht mehr richtig, dass sie in einen ineffizienten Aktionismus verfallen», sagt Becker. Hält das über Jahre an, kann das zu Burnout, Depressionen oder anderen Zusammenbrüchen führen. Becker: «Und dann geht vielleicht gar nichts mehr, selbst Zähneputzen ist dann zu viel.»

Der positive Psychologe

Florian Becker (47) ist Diplompsychologe und Autor des Buches «Positive Psychologie – Wege zu Erfolg, Resilienz und Glück». Er forschte und lehrte lange an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist im Vorstand der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft Deutschland und hat eine Professur an der Technischen Hochschule Rosenheim. In Beratungsprojekten und Vorträgen zeigt er, wie Psychologie Menschen effektiver, glücklicher und resilienter macht.

JÖRG EBERL

Florian Becker (47) ist Diplompsychologe und Autor des Buches «Positive Psychologie – Wege zu Erfolg, Resilienz und Glück». Er forschte und lehrte lange an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist im Vorstand der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft Deutschland und hat eine Professur an der Technischen Hochschule Rosenheim. In Beratungsprojekten und Vorträgen zeigt er, wie Psychologie Menschen effektiver, glücklicher und resilienter macht.

Präkrastination ist kein Krankheitsbild, viel eher ein Begleitsymptom eines ADHS oder einer Workaholic-Mentalität. Die Verschiebung der Prioritäten ist der Punkt, an dem Becker ansetzen würde, um die Wahrnehmung wieder auf das Wesentliche zu lenken. «Wer sich in dieser Beschreibung wiedererkennt, sollte sich einen Moment Zeit nehmen, um über eine Vision von sich in einigen Jahren nachzudenken.»

Wenn du weisst, wie du in fünf Jahren aussehen möchtest, in welchem Gesundheitszustand du sein möchtest, wo du beruflich und auch familiär stehen möchtest, dann kannst du besser mit dem Impuls der Hektik umgehen. Jede Aufgabe, Projektanfrage oder Nachricht vergleichst du dann mit dieser Vision und wägst ab, ob sie dich deinem Ziel näherbringt oder nicht. Denn: «Oft ist ein Nein nach aussen ein Ja zu dir selbst», sagt Becker. 

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