Suizidgedanken, Depressionen, Stress und soziale Ängste: das sind die psychischen Dämonen, mit denen Jugendliche zwischen 15 und 24 zu kämpfen haben – mehr als jede andere Altsersgruppe in der Schweiz. Dabei haben es vor allem junge Frauen schwer: 36 Prozent der Befragten leiden unter schweren psychischen Symptomen, professionelle Hilfe suchen die wenigsten. Das besorgt auch Fachpsychologin Yvik Adler (58).
Im Herbst 2022 sammelt das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) Daten, um die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu messen. In einer repräsentativen Studie befragte es 5502 Personen ab 15 Jahren, nun sind die gesammelten Daten öffentlich.
Besonders stark betroffen sind junge Frauen.
Ein Drittel der befragten Frauen leidet unter schweren psychischen Belastungen, dabei gaben elf Prozent an, sich in den letzten Monaten selbst verletzt zu haben und rund 14 Prozent erwogen, sich das Leben zu nehmen. Bei den jungen Männern (15 Prozent) seien die Zahlen zwar weniger hoch, aber immer noch über dem Durchschnitt anderer Altersgruppen. Somit sind beinahe doppelt so viele Frauen wie Männer von psychischen Erkrankungen betroffen. Wie dies mit dem Geschlecht zusammenhängt, ordnet Yvik Adler ein: «Frauen neigen dazu, in ihrer Bewältigungsstrategie eher selbstaggressiv zu reagieren, das bedeutet, sie lassen ihre Aggression an sich aus, in dem sie sich selbst verletzten und verwunden. Männer reagieren eher fremdaggressiv und neigen zur Verdrängung.» Wieso sich Frauen selber verletzen und Jungs meistens den Frust an anderen auslassen, habe sehr mit den traditionellen Gesellschaftsrollen zu tun: Jungs müssen stark sein und dürfen nicht weinen oder Gefühle zeigen. Mädchen sollen gefühlsbetont sein, aber keinesfalls wütend und aggressiv. «Diese Geschlechtsstereotypen spielen nach wie vor in unserer Gesellschaft eine Rolle», sagt Adler.
Dabei beobachtet Adler, dass sich Frauen immer mehr zurückziehen und sich Sorgen um sich selbst und die Welt machen. «Dabei fällt eine wichtige Bewältigungsstrategie weg: nämlich, sich ‹ins Leben zu werfen›, in der äusseren Welt Erfahrungen zu sammeln und sich und seine Grenzen und Möglichkeiten auszutesten. Diese Erfahrungen sind essenziell für die Persönlichkeitsentwicklung.»
Rund 40 Prozent suchen keine Hilfe
Sich zurückzuziehen und alles «in sich hineinfressen» hänge auch damit zusammen, dass viele betroffene Personen – auch Männer – niemandem etwas davon sagen. Trotz vermehrter Sensibilisierung und sinkender Hemmschwelle der Jugendlichen. Laut der Obsan-Daten suchten rund 40 Prozent der Personen keine professionelle Hilfe. «Das ist besorgniserregend. Psychische Erkrankungen sind nach wie vor stark stigmatisiert», so Adler. «Gerade junge Menschen neigen zu impulsivem Verhalten und da wird es leicht gefährlich.»
Nicht nur Jugendliche, sondern auch ältere Personen erleben psychische Probleme: in den letzten zwölf Monaten zeigten 35 Prozent der Befragten Symptome einer psychischen Erkrankung. Dabei gaben 13 Prozent an, an einer Essstörung, zwölf an mittlerer bis schwerer Depression sowie zehn Prozent an sozialer Phobie zu leiden. Weitere zehn Prozent haben Symptome von ADHS und anderen spezifischen Phobien. Somit leidet jede achte Person unter schweren Symptomen, sodass ihr Alltag eingeschränkt ist.