Ansturm auf Schlaflabors – Milliardenkosten – Krankenkassen reagieren
Schlaflos in der Schweiz

Fast jeder dritte Schweizer hat Schlafprobleme. Das kostet die Wirtschaft bis zu 37 Millionen Franken pro Arbeitstag.
Publiziert: 13.05.2017 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2019 um 18:31 Uhr
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Wach im Bett mit dem Smartphone, ...
Foto: Getty Images
Moritz Kaufmann und Christian Kolbe

Gute Nacht und schlaf gut! Dieser Wunsch erklingt jeden Abend millionenfach in Schweizer Schlafzimmern. Leichtfertig hingesagt, ist er für ein Drittel der Menschen in der Schweiz ein Hohn! Sie leiden an Ein- oder Durchschlafstörungen. Wälzen sich im Bett, finden keine Ruhe.

Zu wenig Schlaf kostet die Schweizer Volkswirtschaft zwischen 4,9 und 8,6 Milliarden Franken – pro Jahr! Zu diesem Schluss kommt Marco Hafner (35), Forschungsleiter der britischen Denkfabrik Rand Europe. Heruntergerechnet sind das bis zu 37 Millionen pro Arbeitstag.

Der Schweizer, der in London wohnt, hat in einer viel beachteten Studie errechnet, was Schlafmangel für wirtschaftliche Folgen in England, Deutschland, den USA, Kanada und Japan hat. Exklusiv für SonntagsBlick hat er diese Kalkulation auch für die Schweiz durchgeführt.

Wer zu wenig schläft, ist öfter krank

Laut dem Volkswirtschaftler wirkt sich Schlafmangel auf ganz unterschiedliche Weise auf den Wohlstand aus. «Am gravierendsten ist es bei der Produktivität.» Wer zu wenig schläft, neigt dazu, öfter krank zu sein und somit bei der Arbeit zu fehlen. Mit direkten Einbussen für die Arbeitgeber. Aber: «Auch wenn man übermüdet zur Arbeit geht, hat das Auswirkungen auf die Produktivität. Das Gehirn arbeitet langsamer, man ist schneller abgelenkt», stellt Hafner fest. Betroffene würden öfter im Internet surfen oder die Zeit sonst irgendwie verstreichen lassen, statt zu arbeiten.

«Am stärksten ist der Effekt bei Leuten, die weniger als sechs Stunden pro Nacht schlafen. Aber auch bei Menschen, die weniger als sieben Stunden schlafen, ist das messbar», so Hafner. Besonders schlimm sei Schlafmangel bei Jugendlichen. Gehen sie übermüdet zur Schule – was wegen Smartphone- und Tablet-Konsum bis spät in die Nacht immer häufiger vorkommt – sinkt der Notenschnitt nachweislich. Dies wiederum hat Folgen für die berufliche Entwicklung. Jugendlichen mit zu wenig Schlaf droht laut Hafners Studie, dass sie sprichwörtlich die Zukunft verpassen.

Ein Drittel der Menschheit leider unter Schlafmangel

Das Problem ist gravierend: «Rund ein Drittel der Weltbevölkerung hat Schlafmangel. Das geht aus diversen Studien hervor», stellt Hafner fest.

Die Schweiz ist da keine Ausnahme! Laut der Gesundheitsbefragung 2012 des Bundesamts für Statistik haben 32,7 Prozent aller Schweizer schwache bis starke Einschlaf- oder Durchschlafstörungen. Die Befragung wird nur alle fünf Jahre durchgeführt, sie ist aktuell wieder im Gang. Erste Ergebnisse sind nächstes Jahr zu erwarten. Eine von einer Krankenkasse in Auftrag gegebene Studie aus Deutschland kommt sogar zum Schluss, dass bis zu 80 Prozent mit ihrem Schlaf unzufrieden sind.

Schlaflosigkeit kann für Betroffene die Hölle sein. Wie stark die Schweizer darunter leiden, zeigt der Boom der Schlaflabors. 31 zertifizierte Schlafkliniken gibt es mittlerweile hierzulande. Weitere sind geplant. Schlaflabors sind medizinische Einrichtungen, die den Schlaf von Pa­tienten untersuchen – mit dem Ziel, diesen zu verbessern. SonntagsBlick hat sie alle angeschrieben und wollte wissen, wie sich die Nachfrage entwickelt hat. Praktisch alle, die geantwortet haben, verzeichnen eine stetig zunehmende Zahl von Patienten. Die Wartezeit für einen neuen Termin beträgt bis zu einem Monat. Raphael Heinzer (46), Schlafforscher an der Uni Lausanne und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, bestätigt: «Die Nachfrage ist gross. Wir brauchen in der Schweiz mehr Spezialisten».

Krankenkasse lanciert Online-Schlaftraining

Das haben auch die Krankenkassen erkannt. Allen voran die Swica, wie SonntagsBlick weiss. «Hausärzte sind mit Schlafproblemen oft überfordert, denn es gibt ganz unterschiedliche Ursachen, die zu Schlafstörungen führen können», sagt Angie Röder (43), die sich bei der Swica um Fragen der integrierten Versorgung kümmert.

Deshalb stellt die Swica ihren Versicherten ab morgen Montag online ein Programm zur Verfügung, mit dem sie ihr Schlafverhalten überprüfen und verbessern können. Und, wo angezeigt, den Gang zum Schlafspezialisten in Erwägung ziehen können.

Das Programm heisst Mementor Somnium und ist je nach Art der Versicherung fast gratis. «Mit einer optimalen Versorgung, also weder einer Unter- noch einer Überversorgung der Bevölkerung, liesse sich im Gesundheitswesen viel Geld sparen. Mementor kann dazu einen Beitrag leisten.» Entwickelt hat das Online-Tool ein Jungunternehmen aus Freiburg. Gründer sind die beiden angehenden Psychologen Alexander Rötger (26) und Noah Lorenz (27). In ihr Programm fliessen medizinische Erkenntnisse ebenso ein wie betriebswirtschaftliche Überlegungen: «Unser Programm ist ein Online-Training, das viel billiger ist als jede Therapie!»

Sparen im Schlaf beziehungsweise durch verbesserten Schlaf! Das entlastet die Volkswirtschaft um Milliarden.

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