Raphael Heinzer weiss, wie man richtig einschläft
«Schlaftabletten verschreiben wir nur im Notfall»

In den letzten 50 Jahren haben wir eine Stunde Schlaf verloren, sagt Raphael Heinzer. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung über Red Bull, Jetlag, Schichtarbeit und Bildschirme.
Publiziert: 14.05.2017 um 21:19 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2022 um 15:47 Uhr
Interview: Moritz Kaufmann

BLICK: Herr Heinzer, sind Schlafstörungen ein Problem von heute oder hat die Menschheit schon immer schlecht geschlafen?
Raphael Heinzer:
Wir Menschen haben in den letzten 50 Jahren rund eine Stunde Schlaf verloren. Das liegt vor allem an der Elektrizität: Licht und Bildschirme halten uns vom Schlafen ab. Thomas Edisons Glühbirne hat uns viel Schlaf gekostet (lacht). Im Mittelalter ging man früh schlafen und hielt sich gegenseitig warm. Mit dem künstlichen Licht haben die Leute angefangen, in der Nacht zu arbeiten. Etwas sehr Unnatürliches.

Was sind die Folgen?
Man schätzt, dass rund 20 bis 30 Prozent aller Unfälle mit Schlafmangel zusammenhängen. Wenig Schlaf löst Stresshormone aus und führt zu Übergewicht sowie Kreislaufkrankheiten. Es gibt Untersuchungen bei Stämmen, die noch im vorindustriellen Zeitalter leben. Sie kennen kein Wort für Insomnia, also Schlafstörungen.

Die Schlafmedizin erlebt derzeit einen Boom. Was kann sie?
Es ist eine relativ junge Disziplin. Das erste Schlafcenter wurde in den 60er-Jahren in Kalifornien eröffnet. Heute gibt es in der Schweiz 31 zertifizierte Schlafcenter. Die Nachfrage ist hoch; Schlafspezialisten fehlen. Früher verschrieben die Ärzte einfach Schlaftabletten. Das ist aber gefährlich, weil sie hochgradig abhängig machen.

Wie gehen Sie als Schlafmediziner stattdessen vor?
In unserem Center in Lausanne verschreiben wir Schlaftabletten nur im Notfall. Wir arbeiten mit der sogenannten kognitiven Verhaltenstherapie. Wir wollen Schlafgewohnheiten verändern. Kein Alkohol, kein Kaffee, keine Bildschirme vor dem Schlafengehen.

Klingt einfach.
Das sind die Basics. Wir haben Psychologen, denn Schlaflosigkeit ist ein Teufelskreis. Die Patienten setzen sich selbst unter grossen Druck. Wenn sie ihr Bett nur schon sehen, löst das Angst aus. Wir wollen diese negativen Gefühle verringern.

Und wie gelingt Ihnen das?
Wir regulieren die Schlafenszeit. Wir verbieten unseren Patienten, vor Mitternacht auch nur einen Zeh ins Bett zu setzen. Und sie müssen um sechs Uhr wieder aufstehen. Wer das zehn Tage lang macht, ist so müde, dass er sich irgendwann auf sein Bett freut. Ist dieser Punkt erreicht, versuchen wir, allmählich den richtigen Schlafrhythmus zu finden.

Ist Schlaflosigkeit ein mentales Problem?
Das Problem ist vor allem das moderne Leben. Wir wollen leistungsfähig sein und sämtliche Bereiche des Lebens kontrollieren. Auch den Schlaf. Denn so, denken wir, werden wir am nächsten Tag besser sein im Job, bei unseren Hobbys, in der Sexualität. Das Problem: Je mehr wir den Schlaf kontrollieren wollen, desto schlechter wird er.

Schlaf ist immer noch etwas Magisches. Wenn wir Hunger oder Durst haben, essen oder trinken wir. Beim Schlaf funktioniert das nicht.
Ja und nein. Schlafen war nie ein grosses Problem. War unser Gehirn müde, schickte es uns in den Schlaf. Doch heute gibt es Red Bull, Jetlag, Schichtarbeit, Bildschirme – diese senden Blue Light aus, das stimulierend wirkt. Deshalb empfehle ich immer als Erstes: Wenn Sie nicht ohne Handy sein können, schalten Sie den Blue-Light-Filter ein!

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