Auf einen Blick
Zählt man alle offiziellen Wanderwege in der Schweiz zusammen, erhält man eine Strecke, die 1,5-mal um die Erdkugel führt. Die Schweiz ist ein Paradies für lange oder sportliche Spaziergänge durch die Natur.
Mehr als die Hälfte der hier lebenden Jugendlichen und Erwachsenen geben an, dass sie regelmässig wandern gehen. Wandern ist damit der beliebteste Freizeitsport der Schweizerinnen und Schweizer (gefolgt von Biken und Schwimmen). Doch nicht alle kennen die ungeschriebenen Verhaltensregeln, die auf Wanderwegen gelten. Welche Dos and Don’ts zu beachten sind, erfahrt ihr in unsererem Wander-Knigge.
Duzen am Berg: Die Höhe ist nicht entscheidend
Beim Wandern zu grüssen, gehört zum guten Ton. Doch stimmt es, dass sich ab 1000 Metern über Meer alle duzen – von der Bundesrätin bis zum Gymnasiasten? Rémy Kappeler, Redaktionsleiter des Magazins «DAS WANDERN» und Autor des Buches «Wanderpapa», verrät, wie er das in der Praxis anwendet: «Je nach Quelle gilt dieses ungeschriebene Gesetz ab 1000 oder 2000 Metern Höhe. Aber ich finde, man darf auch darunter alle anderen Wanderinnen und Wanderer duzen – wenn die Anzahl der Mitwandernden es zulässt. Wir teilen dasselbe Hobby, und unsere Herzen schlagen für dieselben Werte. Wichtig: Ob Hallo oder Grüessech – ein Gruss soll ehrlich gemeint sein.»
Die Halbstundenregel: Kennen nur Insider
Wer nicht als Gelegenheitsbergsteiger auffallen will, sollte ein ungeschriebenes Wandergesetz unbedingt kennen: die Halbstundenregel. Rémy Kappeler erklärt: «Wenn man beim Abstieg vom Gipfel gefragt wird, wie lange es noch dauert, lautet die Antwort immer: eine halbe Stunde – egal, wie lange es tatsächlich noch geht. Es gibt nur diese eine Antwort.»
Apfelreste im Gebüsch: Ein unterschätztes Problem
Eine kleine Stärkung während einer Wanderung tut gut. Doch zeigt sich am Wegesrand: Der Mythos, man könne biologisch abbaubare Essensreste bedenkenlos in der Natur entsorgen, ist weit verbreitet. Warum eine Bananenschale auch dann nicht ins Gebüsch gehört, wenn sie bio ist, erklärt Andreas Boldt, Projektleiter Freizeitaktivitäten und Naturschutz bei Pro Natura: «Eine Bio-Banane ist zwar besser als eine herkömmliche, weil sie weniger Pestizide und Chemikalien enthält. Aber auch Bananenschalen gehören nicht in die Natur.» Denn bis eine Bananenschale verrottet, kann es bis zu fünf Jahre dauern.
Die Arbeitsgemeinschaft für den Wald hält in ihrer Verrottungstabelle fest:
- Zigarettenstummel: 1–5 Jahre
- Papiertaschentuch: 2–4 Wochen
- Kaugummi: 5 Jahre
- Plastiktüte: 10–20 Jahre
- PET-Flasche: 450 Jahre
- Getränkedose: 200 Jahre
- Glasflasche: unbestimmt
Die Arbeitsgemeinschaft für den Wald hält in ihrer Verrottungstabelle fest:
- Zigarettenstummel: 1–5 Jahre
- Papiertaschentuch: 2–4 Wochen
- Kaugummi: 5 Jahre
- Plastiktüte: 10–20 Jahre
- PET-Flasche: 450 Jahre
- Getränkedose: 200 Jahre
- Glasflasche: unbestimmt
Weniger problematisch als eine Bananenschale ist ein Apfelgehäuse. Doch auch dieses sollte nicht in der Natur entsorgt werden. «Das Problem der Pestizide bleibt bestehen, und je nach Ort werden keimfähige Samen in Regionen gebracht, wo sie nicht hingehören», sagt Boldt. Ein einzelner Apfel mag kein grosses Problem darstellen, doch bei vier Millionen Wandernden, die regelmässig unterwegs sind, macht die Menge das Gift. «In sensiblen Lebensräumen wie kleinen Gewässern, Mooren oder Magerwiesen kann dies den Nährstoffgehalt des Bodens verändern», warnt Boldt. Zudem besteht bei allen in der Natur entsorgten oder liegen gelassenen Essensresten die Gefahr, dass sie von Tieren gefressen werden, die für solche Nahrung nicht angepasst sind.
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Tüte im Gepäck: Kleiner Gegenstand, grosse Wirkung
Wohin also mit der Bananenschale und dem Apfelgehäuse? In den dafür mitgeführten Müllbehälter. Zur Standardausrüstung in jedem Wanderrucksack gehört eine Tüte, um den eigenen Abfall wieder nach Hause zu transportieren und dort korrekt zu entsorgen.
Der Verein «Es tut nicht weh» hat extra dafür das Drecksackerl entwickelt. Damit sammeln Wandernde in Österreich, Deutschland und der Schweiz übrigens einen Gegenstand häufiger ein als alle anderen: den herkömmlichen Zigarettenstummel.
Bitte beachten: Trinkgeld gehört zum Geschäft
Wer wandern geht, sollte grundsätzlich öffentliche Toiletten aufsuchen oder Sanitäranlagen in Hütten oder Restaurants nutzen. Hier gehört es zum guten Ton, Trinkgeld zu hinterlassen oder etwas zu konsumieren. Der finanzielle Beitrag dient dem Unterhalt der Einrichtung und entschädigt für den entstandenen Aufwand sowie den Verbrauch von Papier, Wasser, Seife und Co.
Wenn man unterwegs mal muss: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung
Gerade auf längeren Wanderungen ist es schlicht nicht immer möglich, eine Toilette zu finden. Wie man in der Natur das grosse oder kleine Geschäft verrichtet, erklärt Pro Natura detailliert in einem Ratgeber mit dem Titel «In der Natur aufs WC gehen». Hauptsächlich gilt: Ist kein öffentliches WC vorhanden, sollte man den Standort gut wählen: Sich etwas vom Weg entfernen und einen absturzsicheren Ort wählen, der nicht in Schutzgebieten und nicht nahe an Gewässern liegt.
Ist dieses stille Örtchen gefunden, gehts so weiter:
- Ein circa 15 Zentimeter tiefes Loch graben (darum gehört auch eine kleine Schaufel ins Gepäck) oder eine vorhandene Mulde nutzen
- Das Geschäft ins Loch verrichten
- Das WC-Papier nicht im Loch deponieren, sondern in der mitgebrachten geruchsicheren Mülltüte zur korrekten Entsorgung mit nach Hause nehmen
- Das Loch zuschütten mit Erde oder Steinen
Selfie mit dem Steinbock? Nur auf Distanz
Wildtierbegegnungen gehören zu den grossen Highlights auf Wanderungen durch die Berge. Während man Murmeltiere häufig sichten oder zumindest hören kann, machen sich grössere Tiere rar. Wer das Glück hat, einem Steinbock zu begegnen, möchte diesen Moment verständlicherweise mit der Kamera festhalten. Dagegen ist nichts einzuwenden – sofern man das Tier nicht belästigt, verängstigt oder aus der Ruhe bringt.
«Während einer Wildtierbegegnung sollte man sich ruhig verhalten, Geräusche und hektische Bewegungen vermeiden», sagt Andreas Boldt von Pro Natura. Auf keinen Fall sollte man versuchen, sich den Tieren zu nähern. «Bleiben Sie stehen und ziehen Sie sich langsam zurück. Lassen Sie den Wildtieren immer den Vortritt. Versuchen Sie nicht, die Wildtiere zu füttern, anzulocken oder gar zu berühren.»
Auch Angst müsse man nicht haben. «In der Schweiz gibt es keine Wildtiere, die für den Menschen so gefährlich sind, dass man sie aktiv vertreiben müsste.» Es ist nach wie vor unwahrscheinlich, einem Wolf oder einem Bären zu begegnen, und noch unwahrscheinlicher, dass diese Tiere sich bei einer Begegnung nicht von selbst verziehen.
Wer hat Vortritt, wenn es eng wird? Eine Frage des Moments
Wildtiere geniessen also immer Vortritt. Doch wie siehts damit unter Wandergruppen aus? Im motorisierten Verkehr ist klar geregelt, wer in welcher Situation Vortritt hat. So gilt, dass auf Bergstrassen das talwärts fahrende Auto anhält und zurücksetzt, wenn es zu eng zum Kreuzen wird.
Auch Wanderwege haben schmale Stellen – besonders in den Bergen. Hier ist es ebenfalls sinnvoll, Aufsteigenden den Vortritt zu lassen. Für Absteigende ist es in der Regel kein Problem, kurz innezuhalten und die Knie zu entlasten, während es für Aufsteigende sehr ermüdend sein kann, den Schrittrhythmus unterbrechen zu müssen. Rémy Kappeler rät jedoch, situationsbedingt zu entscheiden: «Es funktioniert wie überall: Ein freundlicher Gruss und gegenseitige Rücksichtnahme entschärfen viele heikle Momente – man findet immer eine Lösung, wer zuerst passieren darf. Wenn das Gegenüber verärgert reagiert, hilft ein gutes Mass an Gelassenheit.»
Fundgegenstände: Bitte nicht sichtbar platzieren
Wenn man Gegenstände findet, die andere Wandernde verloren oder vergessen haben, sollte man sie sichtbar platzieren, damit sie gefunden werden können, oder mitnehmen und ins Fundbüro bringen? Diese Frage beantwortet Rémy Kappeler mit einer Gegenfrage: «Was tun Sie, wenn Sie etwas auf dem Wanderweg verloren haben? Wandern Sie fünf, zehn Kilometer zurück, um es zu holen? Wohl kaum, es sei denn, es handelt sich um Ihr Handy oder das Portemonnaie. Daher: Fundstück mitnehmen und bei der nächsten Hütte, Beiz oder Seilbahn abgeben. Vielleicht meldet sich der Eigentümer ja irgendwann dort.»
Augen auf bei der Wahl des Wanderstocks: Er könnte in Privatbesitz sein
Steine, Blumen, Beeren, Stöcke – gerade Kinder lassen auf Wanderungen einiges an Material mitgehen. Ist das erlaubt? Bedingt, sagt Andreas Boldt. Grundsätzlich sei es erlaubt, Gegenstände aus der Natur für den Eigengebrauch – also nicht für kommerzielle Zwecke – und im «angepassten, ortsüblichen Umfang» mitzunehmen. «Davon ausgenommen sind geschützte Pflanzenarten sowie Pilze und gewisse Beeren während ihrer Schonzeit. Steine, Blätter oder kleine Äste dürfen demnach in der Regel mitgenommen werden, allerdings nicht in grossen Mengen. Strengere Regeln gelten in den meisten Schutzgebieten.» Im Wald sei es zudem möglich, dass man in den Privatbesitz des Waldbesitzers eingreift, wenn man Holz mitgehen lässt.
Schaden am Wanderweg: Bitte nicht ignorieren!
Bei Wanderwegen mit insgesamt 65'000 Kilometer Länge können nicht immer alle Schäden zeitnah entdeckt werden. Wer auf einer Wanderung einem Defekt begegnet, kann dies auf der Website der Schweizer Wanderwege via Onlineformular melden – inklusive Foto und GPS-Daten. «Die Verantwortlichen für die Wanderwege sind dankbar um die Hinweise», sagt Kappeler. «Wenn es sich um eine gefährliche Situation handelt, kehrt man um und warnt auf dem Rückweg andere Wandernde.»
Den Weg verlassen: Wo ist das erlaubt?
Innerhalb von Schutzgebieten ist das Verlassen der Wege meist nicht erlaubt, ausserhalb dagegen grundsätzlich schon. Das bedeutet jedoch nicht, dass man im Wald oder Gebirge unüberlegt vom Pfad abweichen kann. Andreas Boldt empfiehlt, dies nur in Ausnahmefällen zu tun: «Stellen Sie sich vor, Sie hätten auch keine Freude, wenn Wanderer durch Ihren Garten oder Ihre Wohnung gehen. Wer den Weg verlässt, kann die Vegetation schädigen, Wildtiere stören und Lebensräume beeinträchtigen. Zudem kann es sicherheitsrelevant sein oder mit Privateigentum in Konflikt geraten.» Auf Hochgebirgstouren sollte man bekannten Routen folgen, möglichst keine Umwege machen, leise und möglichst nicht nachts unterwegs sein sowie sorgfältig auf die Vegetation achten.
Zum Schluss Regel Nummer 1: Schütze dich selbst und andere
Jährlich verletzen sich beim Wandern rund 37'000 Personen, häufig durch Ausrutschen, Stolpern oder Stürze. Um sich selbst und andere zu schützen, ist eine gründliche Vorbereitung auf jede Wanderung wichtig. «Eine gute Planung, die passende Ausrüstung und unterwegs aufmerksam bleiben erhöhen die Sicherheit beim Bergwandern», sagt Susanne Baumann von der Beratungsstelle für Unfallverhütung.
«Zur sorgfältigen Planung gehört es, die Route den eigenen Fähigkeiten entsprechend zu wählen und Weg- sowie Wetterverhältnisse zu berücksichtigen. Feste Wanderschuhe mit griffigem Profil, warme und wetterfeste Kleidung, Karte und Proviant sind Bestandteile einer guten Ausrüstung», so Baumann. Auch unterwegs kann man mit kleinen Massnahmen die Sicherheit erhöhen. «Regelmässige Pausen, viel Trinken und genügend Essen helfen, wachsam und trittsicher zu bleiben.» Online findest du weitere Informationen zur Wander-Vorbereitung sowie Check- und Packlisten.