Das erste Kind stellt alles, was ihr bisher kanntet, auf den Kopf. Nostalgisch erinnert ihr euch an das DAVOR. Damals, als ihr noch ein Sozialleben ganz für euch alleine hattet, damals als ihr nur für euch selbst verantwortlich gewesen seid. Inzwischen wisst ihr aber auch, dass so ein Kind ziemlich anstrengend und gleichzeitig wunderbar ist. Das mit dem Sozialleben ist euch vermutlich inzwischen egal. Ihr habt eure Prioritäten eh längst neu sortiert. Euer Leben ist schon fast wieder friedlich. Womöglich schläft das Kind sogar durch. Dann passiert Kind 2 – und so gehts weiter:
1. Die Schwangerschaft, Episode 1
Beim ersten Mal wurde vermutlich noch regelmässig in einem Buch à la «Meine Schwangerschaft» geblättert. Man wusste im Wesentlichen, was da im Bauch zum Zeitpunkt X gerade alles heranwächst. Rohmilchkäse wurde verteufelt (wegen Listerien) und als angehende Eltern hat man sich vermutlich intensiv mit der Zeit danach befasst. Immerhin lassen sich allerhand Pros und Contras zu den verschiedenen Kinderwagenmodellen abwägen. Das Sixpack Wasser? Das wird von einer Schwangeren sicher nicht nach Hause geschleppt. Man soll schliesslich keine schweren Sachen heben. Beim zweiten Mal rutschen Eltern da irgendwie durch. Das entspannt und irritiert zugleich. Man fragt sich vielleicht sogar, ob man das zweite Kind weniger ernst nimmt. Und der Bauch ist bei der Mutter im Wesentlichen einfach da, denn ...
2. Die Schwangerschaft, Episode 2
... Kind 1 ist immer auch dabei. Ist das grosse Kind traurig und will hochgehoben und getröstet werden? Man hebt es als Mutter hoch (im Wissen, dass man das nicht tun sollte, weil es Risiken für das Ungeborene birgt). Hat es gerade einen Zusammenbruch im Supermarkt? Es wird hochgehoben (ausser vielleicht gegen Ende der Schwangerschaft, da geht das nicht mehr, weil der Bauch im Weg ist). Der Mutter tun die Füsse weh und sie möchte sich zwecks Entspannung kurz hinlegen? Kind 1 braucht vermutlich genau dann eine neue Windel. Kurz: Eltern funktionieren genauso weiter wie vor der Schwangerschaft. Erstgeborene, die selbst noch klein sind, pfeifen auf die Bedürfnisse anderer, denn ihre eigenen stellen sie nicht einfach ab. Das ist auch in Ordnung so. Sie sind ja selbst noch klein. Etwas Gutes hat das alles: Mama und Papa merken, sie kriegen das hin (sofern es nicht irgendwelche schwerwiegenden Schwangerschaftsbeschwerden gibt). Man nimmt sich und die Schwangerschaft ein bisschen weniger ernst. Das entspannt.
3. Die Geburtskarte – ein Trauerspiel
Beim ersten Kind geben sich die meisten Eltern ganz viel Mühe. Ihr wolltet, dass alles perfekt ist. Wegen Punkt 2 bleibt im Vorfeld der Geburt aber nicht allzu viel Zeit. Deshalb geht man beim zweiten Kind das Grusskarten-Business vermutlich etwas legerer an und denkt, dass man sich später noch darum kümmern kann. Dann ist das Kind da. Es bleibt nullkommanull Zeit, dutzende Karten zu beschriften und personalisiert zu betexten. Im Maximum verschickt man den Klassiker: Bild, Gewicht, Grösse, Name – auf der Rückseite «liebe Grüsse XY» (Muster A) und natürlich alles vorgedruckt. Oder: Man lässt die Geburtskarten ganz weg und verschickt dann nach Eintrudeln der Geschenke direkt Dankeskarten (nach Muster A). Möglichkeit 3: Man macht gar nichts. Beim zweiten Kind ist das Verständnis für Time-Management-Probleme bei der Verwandtschaft und unter Freunden hoffentlich gross genug. Denn es gibt gerade genug andere Sachen zu tun. Wie zum Beispiel...
4. Wühltisch-Phänomen
... auf den Knien auf dem Estrich oder im Keller herumzurutschen, auf der Suche nach der Kiste mit der Grundausstattung von Kind 1, die da irgendwo sein muss. Die meisten Eltern haben während der Schwangerschaft vernünftigerweise nicht noch einmal alles neu gekauft, sondern die Sachen von Kind 1 gut aufbewahrt. Wer die ominöse Kiste nicht mehr findet, kauft im Zweifel aber doch alles doppelt, das kommt vor.
5. Schlechtes Gewissen kann noch schlechter werden
Superlativen können normalerweise nicht superlativischer als superlativ werden. Ausser beim schlechten Gewissen. Das schlechteste kann noch schlechter werden – pro Kind quasi. Alle Eltern haben ein schlechtes Gewissen, nur die Trigger dafür unterscheiden sich. Und jedes Kind birgt neue innere Konflikte. Bei Kind 2 etwa folgende Dilemmas: Das neue Kind muss kurz warten (und schreit dabei vielleicht), weil man gerade mit Kind 1 auf dem Klo ist. Schon meldet sich das schlechte Gewissen. Die Zeitaufteilung ist auch ein Thema. Es ist in der Realität so: Mehr Kinder bedeuten weniger Zeit pro Kind. Der Tag hat auch bei Eltern nur 24 Stunden, auch wenn diese anfangs im Durchschnitt sogar 20 davon wach erleben. Deshalb muss man sich leider damit abfinden: Das schlechte Gewissen wird nicht weniger.
6. Man hat noch mehr Angst
Leider gilt auch hier: Mehr Kinder, mehr Angst. Allenfalls sorgt man sich wegen anderer Dinge. Als Eltern hat man sich immerhin bei Kind 1 schon bewiesen, dass einem das Baby nicht täglich dreimal vom Wickeltisch fällt.
7. Seine eigene Zeitzone
Vielleicht schläft das erste Kind schon durch, vielleicht braucht Kind 1 aber auch viel länger als durchschnittliche kleine Menschen, bis das Durchschlafen gelingt. In jedem Fall rücken beide Eltern beim Schlafen nochmals zurück auf Feld 1. Der grosse Vorteil: Man hat das alles schon einmal überstanden und von Kind 1 ein paar Tricks gelernt. Als Familie hat man seine eigene Zeitrechnung und lebt eventuell im Dauer-Jetlag.
8. Neues Kind? Alles neu
In gewissen Punkten, zum Beispiel beim Wickeln, Baden, bei der Ernährung oder Krankheiten, können Eltern beim zweiten Kind auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Aber bei den meisten alltäglichen Dingen, geht wieder alles von vorne los. Mochte Kind 1 ganz besonders gerne Rüeblibrei? Dann kann man schon fast davon ausgehen, dass Kind 2 andere Präferenzen hat. Das ist zugleich faszinierend: Zwei Kinder, gleiche Eltern, gleiches Zuhause – und doch sind sie wie Tag und Nacht. Anstrengend, aber auch spannend.
9. Finanzen
Es wird teurer. Das ist eine simple Addition.
10. Logistische Wunderkinder
Es gibt den Ausdruck «Familien-Manager*in». Spätestens ab Kind 2 wissen Mamas und Papas, was das heisst. Man dachte, bereits mit einem Kind seien logistische Meisterleistungen vollbracht worden. Bei Kind 2 wird klar, dass es sogar noch Luft nach oben gab. Noch besser wird es, wenn Kind 1 im Kindergarten ist und man den Nachwuchs abends pünktlich an zwei Standorten abholen muss. Da bekommen regelmässige Familien-Meetings eine weitere Dimension. Das Schöne daran ist, dass ab jetzt wieder viel häufiger Kontakt mit dem Partner ansteht. Immerhin schreibt man sich regelmässig Nachrichten, wer, wann, wo, welches Kind einsammelt. Man wird zu logistischen Wunderkindern, die von ihrem Handy aus die Welt regieren könnten.
Supplement: Ein Wort zum Mutterschaftsurlaub
Die Bezeichnung war bereits bei Kind 1 eine Frechheit. Bei Kind 2 ist diese Konnotation mit Ferien ein Affront. Es ist ohne jeden Zweifel anstrengend.
Dieser Artikel wurde vom Family-Channel der «Schweizer Illustrierte» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.schweizer-illustrierte.ch/family
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