Das Familien-Weingut Gamlitz von Reinhard Muster (42) liegt südlich von Graz in der Nähe zur slowenischen Grenze. Es sind Weissweine, die in der Weinregion Steiermark den Ton angeben. Und das, was die Steiermark am besten kann, ist Sauvignon Blanc, erzählt Muster im Gespräch mit Blick. Seinen ersten Jahrgang auf dem Familien-Weingut kelterte er bereits im Alter von 19 Jahren.
«Früher wurden auf unserem Hof vor allem Äpfel und Zwetschgen angepflanzt. Mit selbst gebranntem Schnaps hat meine Oma den Betrieb finanziell über Wasser halten können», so Muster, dessen 92-jährige Grossmutter auch heute noch auf dem Hof lebt. Seine Leidenschaft für Wein und die sich verändernden klimatischen Bedingungen über die vergangenen Jahrzehnte boten ideale Voraussetzungen für ein Leben als Winzer.
Internationaler Trophäensammler
Schnell machte sich Muster einen Namen als fleissiger, von Qualität besessener Jungwinzer. Nebst den Rebsorten Chardonnay, Grauburgunder, Weissburgunder und Welschriesling liegt sein Fokus auf Sauvignon Blanc, der Paradesorte der Region. Das sei aber gar nicht immer so einfach, wie er verrät: «Ich bin immer so nervös, wenn ich mit Sauvignon Blanc arbeite. Zu viel Neuholz oder eine Bâtonnage im falschen Moment können den Wein kaputtmachen.»
Wie dem auch sei, im Jahr 2016 gewann Muster beim Concours Mondial du Sauvignon in Brüssel mit seinem Wein in der Kategorie Oaked Sauvignon den ersten Platz. Drei Jahre später der nächste Erfolg bei der Hong Kong International Wine & Spirits Fair, wo Musters Sauvignon Blanc Ried Grubthal 2017 zum weltbesten Sauvignon Blanc gekürt wurde. Ein Jahr später räumte Muster auch an der New York Wine Competition ab und erhielt den Titel Austria Sauvignon Blanc Winery of the Year.
Wie ist der Wein-Überflieger denn eigentlich zum Fliegen gekommen? «Die Leidenschaft fürs Fliegen packte mich so Anfang 20. Mit 32 machte ich die Privatpilotenlizenz und fliege momentan jährlich rund zehnmal», erzählt Muster. «Meinen ersten Flug vergesse ich nie: allein im Flugzeug, kein Lehrer, Freiheit pur. Fliegen ist aber auch Arbeit: Funkverkehr, Navigation, man ist nicht einfach so relaxed. Wenn ich allein fliege, gibt es nur das Wetter und mich.» Muster besitzt übrigens keine eigenen Flugzeuge, sondern mietet sie jeweils ganz bequem auf dem Flughafen Graz.
Das Wetter im Nacken
Dieser intime Bezug zum Wetter ist ein Teil von Musters Winzer-Erfolg. Als Zentrum der illyrischen Klimazone ist die Region Steiermark berüchtigt für schroffes Wetter, spontanen Hagel, heisse Sommer, dichten Nebel und mit rund 1000 Millimeter pro Jahr überdurchschnittlich viel Regen. Doch Muster hat einen Weg gefunden, im Einklang mit dem teilweise unberechenbaren Wetter zu arbeiten. «Das Wetter ist eine Diva. Ich kann nicht mitreden, sondern nur nehmen. Ich kann nichts dagegen tun, das macht mich wahnsinnig!»
Auf die Frage, ob er zum Schutz der Trauben viele Hagelnetze im Keller habe, hat Muster eine klare Antwort: «Hagelnetze gibt es bei mir nicht! Erstens sehen die Dinger schlimm aus, und ich finde es nicht richtig, die Reben unter einem schwarzen Netz einzusperren. Und haben sie schon mal an einem Hagelnetz gerochen? Das riecht total chemisch. So was kommt mir nicht an meine Trauben.» Dass Muster mit dieser Haltung durch verhagelte Trauben Ernteeinbussen in Kauf nimmt, ist für ihn weniger wichtig als die Qualität des fertigen Weins.
«Die Menschen aus der Steiermark sind bekannt für ihre klaren Haltungen, ich bin wegen meiner Hagelnetz-Abneigung deshalb kein Einzelfall.» So seien die Steirer auch gerne etwas schroff und schlecht gelaunt, aber auch bekannt für ihren Mut und innovative Ideen. «Steirerblut ist kein Himbeersaft», meint Muster und lacht. Die Sorge und Angst vor dem unberechenbaren Wetter zeichnet die Menschen, doch mit den gestiegenen Temperaturen der letzten 20 Jahre seien die Steirer definitiv freundlicher geworden, so Muster.
Ein Sauvignon Blanc wie aus dem Bilderbuch
Musters Weine der Illyr-Serie sind nach der illyrischen Klimazone benannt und hiessen früher Reverenz. Der spontan vergorene Chardonnay 2020 kommt ohne Neuholz aus und wirkt äusserst filigran, weit weg von den fetten, buttrigen Alternativen der neuen Welt. Der ausdrucksstarke Grauburgunder aus demselben Jahr zeigt einen frischen Charakter mit vibrierender Säure und schönem Körper. Musters Weissburgunder 2020 ist ein umwerfender und gleichzeitig stiller Wein, der einem das Gefühl gibt, in einem Boot auf der Mitte eines tiefen Gletschersees zu sein.
Nun probieren wir mit dem frisch abgefüllten Sauvignon Blanc 2021 Musters Paradewein. Der intensive Duft verströmt präzise Aromen von Holunder, gelbem Apfel und Pfirsich, gepaart mit krautigen Elementen, die dem Wein eine herrliche Frische verleihen. Der geringe Neuholz-Anteil von 20 Prozent führt im Gaumen zu einer eleganten Erscheinung mit einer knackigen Säure. Der rund 20 Franken teure Wein ist schlicht grossartig und gehört in den Kühlschrank jedes Sauvignon-Blanc-Fans.
Zum Abschluss verrät mir Muster noch ein ganz persönliches Erlebnis, was den fliegenden Winzer mit der Schweiz verbindet: «Auf einer Vierwaldstättersee-Schifffahrt habe ich erfahren, dass ich zum ersten Mal Vater werde. Ich kann es kaum erwarten, bis ich meine beiden Töchter mal zum Fliegen mitnehmen kann.» In der Zwischenzeit kümmert er sich mit seinem Team um seine Weinberge und blickt gespannt in den Himmel, vom Boden und aus der Luft.