Die gebürtige Norddeutsche Eva Fricke (44) kaufte 2006 einen winzigen Rebberg mit 0.1 Hektar im Rheingau in der Nähe von Mainz. Daneben absolvierte sie Praktika unter anderem in Italien, Spanien und Australien, arbeitete in mehreren Positionen innerhalb der Weinindustrie und studierte Önologie in Geisenheim am Rhein. «Früher habe ich zu Hause sogar Bier gebraut», so Fricke zu Blick.
Dass eine Frau Önologie studierte, war damals eher selten. «Wenn, dann gab es familiär oft einen Weingutshintergrund, was bei mir nicht der Fall war. In Geisenheim wurden auch Partnerschaften innerhalb von Winzerfamilien geschlossen», so Fricke zu Blick.
Spagat zwischen Tradition und Moderne
Mit traditionellen, festgefahrenen Strukturen gehe sie folgendermassen um: «Ich schätze Tradition sehr und sehe es auch heute als meine Aufgabe, die Kulturlandschaft und das Weinkulturgut zu erhalten. Allerdings war ich als Unternehmerin immer gezwungen, eigene und neue Wege zu gehen, um ein komplett neues Weingut aufzubauen.»
Durch eine Freundin gelangte eine Flasche ihres ersten Weins in die Hände bzw. den Gaumen des damaligen Einkäufers vom legendären Adlon Hotel in Berlin. Dieser war davon dermassen begeistert, dass er gleich den gesamten Bestand für den China Club, Tim Raues Ma und die Lorenz Adlon Weinhandlung von Fricke aufkaufte. «Dies war der erste Antrieb, mich professionell dem Projekt Weinbau zu widmen», so Fricke.
Verkauf brach während Corona ein
Mit dem Erfolg wuchs auch Frickes Weingut: Es zählt heute rund 17 Hektare, wovon 15.5 einen Ertrag liefern. Die Hauptrebsorte ist Riesling, wovon es viele verschiedene Varianten gibt, von trocken bis süss. Daneben bewirtschaftet sie auch eine kleine Parzelle mit Pinot Noir für ihren eigenen Schaumwein.
Vor Corona wurden 85 Prozent ihrer Weine weltweit an Geschäftskunden verkauft. «Damals hatten alle Kunden Zahlungsziele, die aber leider nicht immer eingehalten wurden. Dies bedeutete eine bis zu zweijährige Vorfinanzierungszeit – und dies bei all dem betrieblichen Wachstum!» Als dann der Lockdown im März 2020 kam, wurden nahezu sämtliche Bestellungen storniert. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Fricke hätte Konkurs anmelden müssen.
Vertriebsstrukturen komplett umgekrempelt
Zum Glück konnte der Konkurs durch die Unterstützung internationaler Grosskunden und der Abschaffung von Zahlungszielen innerhalb weniger Monate abgewendet werden. Fricke war sich bewusst, dass sich ihre Absatzkanäle von Grund auf ändern mussten, um ihr Weingut fit für die Zukunft zu machen.
So wurde der Direktverkauf an Endkunden massiv ausgebaut: «Heute verkaufen wir rund 45 Prozent unserer Weine an Endverbraucher und Gastronomiebetriebe, sowie ca. 55 Prozent im Export an 20 Länder weltweit», erzählt Fricke stolz.
Dieser hohe Anteil an Endkundenkontakt habe auch den Vorteil, dass Lob und Kritik viel direkter zurück komme. Was denn die Leute alles so über sie sagen, möchte ich von Fricke wissen. «Viele sagen, ich sei sehr nordisch». Dieses Attribut spiegelt sich auch in der kühlen, nüchternen Gestaltung der Etiketten auf ihren Flaschen wieder.
100 Parker-Punkte für Süsswein
Fricke verzichtet bei ihren Rieslingen komplett auf Holzfässer und verwendet stattdessen Edelstahltanks. «Aus jedem Jahrgang möchte ich das Bestmögliche aus dem Naturgegebenen machen», so Fricke. Diesen Satz höre ich von vielen Winzern, doch bei Fricke sind es nicht nur leere Worte: Ihre Weine sind weltweit dermassen gefragt, dass manche Abfüllungen innert wenigen Tagen nach der Lancierung ausverkauft sind.
Im August 2020 veröffentlichte der Parker Degustator Stephan Reinhardt seine neuesten Bewertungen für deutsche Weine. Als einzige weibliche Winzerin erhielt einer von Frickes Weinen – ein süsser Riesling – die Maximalpunktzahl 100. Auch ihre trockenen und halbtrockenen Rieslinge erhalten Jahr für Jahr hohe Bewertungen.
Im Videocall probiere ich mit Fricke zusammen eine schöne Serie an 2018er Rieslingen. Der fruchtige, trockene Basis-Riesling Lorch punktet mit einer delikaten Salzigkeit am Gaumen. Die 2018er Rieslinge Krone und Schlossberg, beide mit dezenter Restsüsse, sind schlicht eine Wucht. Letzterer zeigte intensive Aromen von Zitronen, Blüten und Fenchel. Grundlage für diesen Traumwein sind über 70-jährige Reben und karge Böden aus Schiefer und Quarzit.
Neben zwei himmlischen Süssweinen, dem 2016er Schlossberg Auslese und der 2017er Edition von meinem Berufskollegen Peter Keller, probiere ich auch noch den Pinot Noir Rosé Extra Brut, welcher gleich hergestellt wird wie ein Champagner. Dieser frisch fruchtige, gehaltvolle Schaumwein hat eine intensive, elegante Nase, prickelt wunderbar und ist ein garantiertes Highlight für ihren nächsten Frühlings-Apéro.