Die unglaubliche Geschichte von Bargylus in Syrien
Diese Weine entstehen unter Lebensgefahr

Die schwierigen Umstände des syrischen Weinguts Bargylus zeigen eindrücklich, dass man auch unter Extrembedingungen grosse Weine keltern kann.
Publiziert: 30.03.2022 um 13:54 Uhr
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Aktualisiert: 08.12.2022 um 10:55 Uhr
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Die beiden Brüder Karim und Sandro Saadé von der libanesischen Besitzerfamilie vom Weingut Bargylus in Syrien.
Foto: Bargylus
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Nicolas GreinacherRedaktor Wein DipWSET

Stell dir vor, dir gehört ein Weingut in einem fremden Land, was du aber aus Sicherheitsgründen seit über zehn Jahren nicht mehr besuchen kannst. Trotzdem möchtest du das Weingut leiten, einen Einfluss auf die Weinherstellung haben und obendrein qualitativ den besten Wein des ganzen Landes keltern.

Was nach einem Ding der Unmöglichkeit klingt, ist für die libanesischen Brüder Karim (48) und Sandro Saadé (46) harte Realität. Neben dem libanesischen Weingut Chateau Marsyas besitzen und betreiben sie die Domaine de Bargylus im benachbarten Syrien. Mit dem Kriegsausbruch im Jahr 2011 hat sich die dortige Situation radikal verändert.

Bargylus war der erste Kultwein Syriens

Das Weingut Bargylus liegt auf einer Bergkuppe in Syrien nahe der Küstenstadt Latika auf rund 900 Metern über Meer. Die libanesische Saadé Familie schaute sich ende der 90er-Jahre nach Weingütern in Bordeaux um, doch so richtig verliebt haben sie sich schlussendlich in die Idee, ein komplett neues Weingut in Syrien aus dem Boden zu stampfen.

Unter Beizug von Beratern wurden Anfang der 2000er-Jahre die ersten Reben auf dem rund 12 Hektar grossen Weingut gepflanzt. Man wollte einen Weiss- sowie einen Rotwein in allerhöchster Qualität herstellen. Aufgrund des lokalen Terroirs entschied man sich für die Rebsorten Syrah, Merlot, Cabernet sauvignon, Chardonnay und Sauvignon blanc.

Weil Weinbau in Syrien zu jener Zeit kaum verbreitet war, musste man den lokalen Arbeitskräften vor Ort erstmal alle Prozesse beibringen. Heute arbeiten rund 30 lokale Familien auf dem Weingut, es gilt als wichtiger lokaler Arbeitgeber. 2006 war der erste Jahrgang von Bargylus und das Echo war bereits sehr positiv.

Management per Telefon und Taxi

2012 bereisten die beiden Brüder Karim und Sandro ihr geliebtes Weingut zum letzten Mal. Seither konnten sie keinen Fuss mehr auf syrischen Boden setzen – zu gross sind die Sicherheitsbedenken. Das Weingut aufzugeben, war für sie aber nie eine Option. So begannen sie vom benachbarten Libanon aus, ihre Leute vor Ort in Syrien am Telefon zu unterstützen.

Kompliziert wird es, wenn es auf die Ernte zugeht. Der genaue Erntezeitpunkt ist für einen Wein äusserst wichtig: Winzer probieren während dieser Periode fast täglich ihre Trauben, um den Anteil von Zucker, Säure, Aromen sowie den Zustand der Tannine zu überprüfen. Bei Bargylus werden Trauben mehrmals pro Saison in gekühlten Styropor-Boxen im Taxi während rund fünf Stunden in den Libanon gefahren, damit die Saadé Brüder sie an der Grenze probieren können.

Passt die Trauben-Qualität, geben die Brüder dem Team in Syrien vor Ort telefonisch Bescheid, dass man ernten kann. Bei fünf verschiedenen Traubensorten auf mehreren verschiedenen Parzellen kann man von einer logistischen und önologischen Meisterleistung sprechen.

Hafenexplosion in Beirut verletzte Vater Saadé

Im Jahr 2020 kam es in der Hafenstadt Beirut im Libanon, ganz in der Nähe des Büros der Saadé-Familie, zu einer verheerenden Explosion, bei welcher über 200 Menschen ihr Leben verloren.

Das Büro der Saadés wurde durch die Druckwelle vollständig zerstört, Vater Johnny R. Saadé verbrachte mehrere Wochen im Spital. Da die Ernte auf Bargylus kurz bevorstand, arbeiteten die Brüder Karim und Sandro zu jener Zeit vom Spital aus, an der Seite ihres Vaters.

Bargylus Weine sind eine grosse Überraschung

Vor kurzem hatte ich die seltene Gelegenheit, sowohl den weissen als auch den roten Bargylus aus dem Jahr 2014 zu probieren. Der weisse Bargylus, eine Cuvée aus Chardonnay und Sauvignon blanc, duftet intensiv nach frischem Pfirsich, Holunder, Litschi, Melone und Birne. Im Gaumen gleichzeitig konzentriert und tänzerisch filigran mit niedriger Säure und toller Frische. Mein erster Wein aus Syrien – und was für einer!

Unvergesslich war der rote 2014er Bargylus: Eine betörende Aromatik nach Datteln, reifen Pflaumen, Cassis, Pfeffer, Gewürznelken und Zedernholz, gefolgt von einem unglaublich intensiven und konzentrierten Gaumen mit schier endlos langem Abgang. Tief beeindruckend, vor allem wenn man bedenkt, unter welchen Umständen der Wein hergestellt wird.

Aktuell wird Bargylus dank einer logistischen Mammutübung via Strasse und Container in über 27 Länder exportiert. Somit dürfte es wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis man diese einzigartigen Weine auch im Schweizer Weinhandel findet.

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