Wieso Experten vor industriellem Bouillon warnen
Unterschätze diesen Würfel nicht!

Dieses kleine Aromakonzentrat ist so beliebt, dass es zu einer zentralen Zutat in vielen Rezepten auf der ganzen Welt geworden ist. Manche werfen ihm vor, den Geschmack zu vereinheitlichen.
Publiziert: 29.05.2022 um 18:49 Uhr
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Aktualisiert: 30.05.2022 um 08:46 Uhr
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Eine Schaufensterfront im Senegal in den Farben von Maggi.
Foto: CC
Émilie Laystary

Sie stehen meist im Gewürzregal, irgendwo zwischen Salz und Muskatnuss: kleine, ockergelbe Würfel, verpackt in goldfarbener Alufolie. Ein Würfel allein ergibt fünf Deziliter Bouillon. Effizient. Doch die Effizienz hat ihren Preis, aber dazu später mehr.

Angefangen hatte alles mit einer medizinischen Herausforderung. «Jahrhundertelang suchte die britische und französische Marine nach einem Produkt zur Bekämpfung von Skorbut, einer Mangelernährungskrankheit. Es wurde an der Entwicklung von Aufgüssen geforscht, die einer Gemüsesuppe ähneln. Die Apotheken an Bord der Schiffe rüsteten sich damit aus, um die Kranken zu ernähren», sagt Pierre-Antoine Dessaux, Dozent für Geschichte und Kultur der Ernährung an der französischen Universität Tours.

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts, im Jahr 1908, begann der Schweizer Unternehmer Julius Maggi damit, den Würfel, wie wir ihn heute kennen, in grossem Umfang zu vermarkten. Die Zubereitung entwickelte sich zu einer industriell hergestellten Küchenhilfe, die unter dem Markennamen Maggi (seit 1947 Teil der Nestlé-Gruppe) vertrieben wird.

Julius Maggi (oben links) hat seine Produkte mit effektiven Marketingkampagnen populär gemacht.
Foto: Nestlé

Das Produkt, das aus Salz, Geschmacksverstärkern wie Glutamat, Öl und Aromen besteht, tritt im 20. Jahrhundert einen wahren Siegeszug an und wird von immer mehr Haushalten gekauft. Grosse Werbekampagnen tragen dazu bei, dass das Logo mit den gelben Buchstaben auf rotem Hintergrund zu einer Ikone wird.

Umstrittener kleiner Würfel

Doch das Produkt hat seine Schattenseite. «Damals dachten die Familien, dass diese Brühsuppen nahrhaft sind. In Wirklichkeit schmecken sie nur salzig und sind aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sehr arm», sagt Pierre-Antoine Dessaux. Besonders auf dem afrikanischen Kontinent verdrängt er zudem massenhaft lokale kulinarische Traditionen. Lange Zeit dominierte in Westafrika «Sumbala», hergestellt aus Samen, die zerstossen und dann fermentiert werden. «Es wird verwendet, um den Geschmack von Saucen zu verbessern, die zu Getreide gereicht werden», erklärt Monique Chastanet, Historikerin und Ernährungsspezialistin «Institut des mondes africains» (IMAF) in Paris.

Diese Würze hebt nicht nur den Geschmack, sondern ist auch ernährungsphysiologisch sehr reichhaltig. Beim industriellen Maggi-Würfel ist das nicht der Fall, da die Konzentration von Mononatriumglutamat die empfohlene Menge bei weitem übersteigt. «Wir stehen heute vor einem Risiko für die öffentliche Gesundheit. Der überhöhte Salzkonsum ist ein echtes Problem für unsere Bevölkerung, die zunehmend an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leidet», sagt der kamerunische Koch Christian Abégan.

Foto: Happiraphael / Wikipedia

Abégan hat ein Buch über die Kolonialisierung des Geschmacks geschrieben. In vielen traditionellen Gerichten wie Thiéboudienne und Poulet Yassa hat sich das industriell hergestellte goldene Quadrat in der Zutatenliste durchgesetzt. «Wegen ihm verlieren wir nach und nach die Handschrift einiger Rezepte aus unserer Heimat. Der Brühwürfel wird zur Gewohnheit der Köche und Köchinnen, die sich nicht mehr die Zeit nehmen, Zwiebeln mit Gewürzen zu bräunen, um Saucenfond daraus zu machen», sagt Christian Abégan.

Auf dem Weg zu neuen Würfeln?

Während der Bouillon-Würfel in der afrikanischen Küche für viele ein Muss ist, verliert er in Europa an Boden. Die Verkaufszahlen gehen zurück. Fabriken werden nach Osteuropa ausgelagert.

In Afrika ist das Gegenteil der Fall: Früher Importware, werden die Würfel heute in einem Dutzend Fabriken auf dem Kontinent hergestellt, wo täglich schätzungsweise 100 Millionen Stück verkauft werden. Doch es gibt auch eine Gegenbewegung. Junge Köchinnen und Köche aus Afrika und der Diaspora stellen die Verwendung infrage und versuchen, «neue Würfel» zu kreieren, die gesünder und lokaler sind. Um sich die nationalen kulinarischen Geschichten wieder anzueignen.

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