Foto: Werner Knuesel

Ressourcen schonen
Ein zweites Leben für Bauteile

Zum nachhaltigen Bauen gehört der sorgfältige Umgang mit Ressourcen und das Wiederverwenden von Materialien. So gehen weniger wertvolle Rohstoffe verloren.
Publiziert: 08:59 Uhr
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Aktualisiert: 14:50 Uhr
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Gezielt wiederverwendet: Eine hölzerne Stufe der alten Treppe hat ein neues Leben als Türschwelle erhalten.
Foto: Werner Knuesel

Auf einen Blick

  • 84 Prozent der Schweizer Abfälle sind Bauabfälle, 17 Millionen Tonnen jährlich
  • Bauen verbraucht viel Energie. Wiederverwenden von Bauteilen spart graue Energie
  • Architekten setzen auf Umbauten statt Abriss für Ressourcenschonung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Susanne Wagner

Das Bauen von Gebäuden braucht sehr viel Energie und Ressourcen. Unglaubliche 84 Prozent der Abfälle in der Schweiz sind Bauabfälle. Allein aus dem Um- und Rückbau von Bauwerken fallen pro Jahr über 17 Millionen Tonnen Bauabfälle wie Beton oder Ziegel an, wie eine Studie des Bundesamtes für Statistik von 2020 ergab. Rund 70 Prozent davon werden zwar wiederverwertet. Der Rest landet auf Deponien.

Ein anderer Ansatz als das Recycling ist das nochmalige Verwenden von Bauteilen. Damit lässt sich eine Menge «graue Energie» einsparen. Das ist die Energie, die beim Herstellen, Gewinnen, Transportieren, Einbauen und Entsorgen von Bauteilen wie Zement, Beton oder komplexen Bauteilen wie Fenster anfallen. Dieses Wiederverwenden findet in der Schweiz erst beim kleinsten Teil des Materials statt.

Bewusstsein steigt

«Der grösste Hebel für die Umwelt ist, ein Haus gar nicht erst zu bauen oder abzureissen», sagt Meret Hodel vom Architekturbüro in situ. Das Büro hat sich auf Umbauten spezialisiert, die genau diesem Aspekt Rechnung tragen: Ressourcen schonen, die CO2-Bilanz und die Umweltschäden tief halten. Die Anfragen dafür haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. «Das Thema, dass der Umgang mit der Bausubstanz bei der Klimaerwärmung eine wichtige Rolle spielt, ist salonfähig geworden», sagt die Architektin.

Bei jedem neuen Projekt heisst es für Meret Hodel und das ganze Team abzuwägen, was nötig ist: «Wir nehmen punktuelle Eingriffe vor, die sitzen müssen». Dazu gehört es, so viel wie möglich zu erhalten und so wenig wie möglich zu verbauen. Wenn sie etwas neu erstellen, geschieht es mit baubiologischen Rohstoffen wie etwa nachhaltigem Holz. Oder sie nutzen nicht mehr gebrauchte Materialien aus dem Bestand, die im Gebäude schon vorhanden sind. «in situ» ist lateinisch und heisst «an Ort und Stelle».

Treppenstufe als Türschwelle

Diese Philosophie hat das Architekturbüro bei einem Haus von 1914 in Rorschach angewendet, das nach dem Umbau an Originalität und Attraktivität gewonnen hat. Man entschied sich für neue Fenster, verzichtete aber auf die Dämmung der Fassade. Alle neuen Teile wie etwa die grossen Lauben mit den rosa bemalten Schiebewänden als Sonnenschutz wurden aus Holz erstellt.

Die Holzabschnitte der Schiebewände dienen als Dekoelemente. Unter alten Teppichen und dem Kunststoffboden wurde das ursprüngliche Parkett freigelegt. Das hölzerne Brusttäfer wurde erhalten und sanft renoviert. Neu betritt man die oberste Wohnung durch das Fenster des alten Badezimmers. Als Türschwelle wurde eine Stufe der alten Treppe umgenutzt. Das schmiedeiserne Geländer des neuen Balkons stammt von einem Haus aus der direkten Nachbarschaft.

Online Bauteile finden

Nicht immer ist der Weg zwischen dem Bauteil und dem neuen Ort so kurz. Manchmal finden sich Interessenten und Bauteile auch in Bauteilbörsen, wie etwa der 1996 gegründeten Bauteilbörse Basel. Im Laden in Münchenstein und im dazugehörenden Onlineshop «useagain.ch» lassen sich Türen, Ziegel, Treppen, Abzugshauben oder Lavabos finden. Mit etwas Glück lassen sich sogar begehrte Teile wie Badewannen mit Löwenfüssen ergattern. Auch die Onlineplattform «Salza.ch» führt Anbieter und Käufer von gebrauchten Bauteilen wie Radiatoren oder Fensterläden zusammen. Damit es ohne kostenintensive Zwischenlagerung geht, werden nur die Teile demontiert, die vor dem Abbruchtermin einen Käufer gefunden haben.

Es ist hierzulande eine relativ neue Wohlstandserscheinung, dass man das meiste Material neu anschafft. Während Jahrhunderten und in der Schweiz bis ungefähr 1930 war es auch aus Kostengründen normal, Bauelemente von abgebrochenen Bauten nochmals zu brauchen. Wer sich heute entscheidet, ein Haus umzubauen, statt abzureissen, sollte sich bewusst sein, dass ein Umbau stets viel Unerwartetes bereithält. Ein Umbau erfordert mehr Flexibilität und höhere finanzielle Reserven. Gemäss Meret Hodel sieht man häufig erst beim Abbrechen, dass die alten Balken nicht mehr zu gebrauchen sind.

Baukultur erhalten

Das Wiederverwenden von Bauteilen hat einen ähnlichen oder sogar höheren Preis als neue Bauteile. Ein gebrauchtes Lavabo mag günstiger sein, aber die Arbeitsstunden für das Ausbauen, Reinigen, Lagern, Etikettieren, den Transport und den Einbau sind teuer. Architektin Meret Hodel vergleicht wiederverwendete Bauteile mit einem Bioprodukt: «Früher hat man die Sachen viel hochwertiger und massiver verarbeitet.» Heute hingegen suche man oft die günstigste Lösung. Dafür müssen die Produkte alle 20 Jahre ersetzt werden. Meret Hodel: «Mit gebrauchten Bauteilen entsteht eine Baukultur: Mit unseren Gebäuden erzählen wir eine Geschichte weiter.»

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