Frau Demeester, wir sitzen hier nicht weit von der Sammlung Merzbacher entfernt, deren Bilder so farbenfroh sind wie das Kleid, das Sie tragen. Was bedeutet es für Sie, sich in Farbe zu hüllen?
Ich liebe Farben und trage fast nie Schwarz. Aber es ist auch ein indirektes Statement. In der Kunstwelt kleiden sich viele schwarz. Das erweckt den Eindruck, als bildeten sie eine Elite, die als Einzige etwas von Kunst versteht. Ich will das Klischee nicht verkörpern und will zeigen: Die Kunstwelt ist offen und zugänglich.
Auf Fotos sieht man Sie immer mit Rock. Ist das Zufall oder Absicht?
Ich mag keine Hosen, Röcke sind viel bequemer.
Sie seien lange «das Mädchen» gewesen, sagten Sie einmal. Was meinten Sie damit?
Das stammt aus der Zeit, als ich bei dem in Belgien bekannten Ausstellungsmacher Jan Hoet (1936–2014) als Assistentin anfing. Wir zwei jungen Frauen waren Teil eines Teams, galten als «die Mädchen von Hoet».
Heute wäre das kaum mehr denkbar. Wie war das damals für Sie?
Unsere Devise war: «Do we care? No» – es kümmerte uns nicht. Es ist beleidigend, sexistisch und nicht okay. Aber wir machten das Beste daraus: Sahen darin, dass die anderen denken, wir wüssten nichts, seien blöd, einen Vorteil. Wenn die Erwartungen tief sind, kann man nur positiv überraschen.
Ann Demeester wurde 1975 in der belgischen Stadt Brügge geboren. Sie studierte Germanistik an der Universität Gent und Kulturwissenschaften an der KU Leuven. Über den Journalismus fand sie zur Kunst. Arbeitete erst als Kunstkritikerin, kuratierte später Ausstellungen. Leitete das De Appel Arts Centre, ein Kunstzentrum in Amsterdam, ab 2014 dann das Frans Hals Museum im niederländischen Haarlem. In den Niederlanden galt sie als mutige öffentliche Stimme, die sich für die Kulturbranche einsetzte. Das kann sie nun brauchen. Seit diesem Jahr ist sie Direktorin des Kunsthauses in Zürich. Ann Demeester ist verheiratet und hat zwei Kinder. (hm)
Ann Demeester wurde 1975 in der belgischen Stadt Brügge geboren. Sie studierte Germanistik an der Universität Gent und Kulturwissenschaften an der KU Leuven. Über den Journalismus fand sie zur Kunst. Arbeitete erst als Kunstkritikerin, kuratierte später Ausstellungen. Leitete das De Appel Arts Centre, ein Kunstzentrum in Amsterdam, ab 2014 dann das Frans Hals Museum im niederländischen Haarlem. In den Niederlanden galt sie als mutige öffentliche Stimme, die sich für die Kulturbranche einsetzte. Das kann sie nun brauchen. Seit diesem Jahr ist sie Direktorin des Kunsthauses in Zürich. Ann Demeester ist verheiratet und hat zwei Kinder. (hm)
Die Erwartungen an Sie in der Schweiz waren und sind hoch – «wie an eine Messias-Figur», sagten Sie einmal. Was heisst das?
Die Debatte über die Sammlung Bührle war so heftig, dass alle das Gefühl hatten: Jetzt muss etwas völlig Neues kommen. Ich verkörpere das Neue. Aber ich bin kein Jesus, sondern nur ein Mensch, der sich mit seinem Team Mühe gibt, das Museum zeitgemäss zu machen.
Fürchten Sie, die Erwartungen zu enttäuschen?
Ich werde nicht alles richtig machen. Ich alleine kann die Welt nicht ändern. Natürlich werde ich neue Akzente setzen. Aber: Das Neue baut auf dem Alten auf.
Die Vergangenheit ist aber eine Hypothek.
Rückblickend kann man Fehler einsehen. Aber es ist nicht alles schwarz-weiss: Es war nicht einfach alles schlecht, und jetzt wird es komplett gut. Die Bührle-Debatte war notwendig. Weil die Diskussion so heftig war, musste etwas passieren. Sie war ein Katalysator für die Debatte im ganzen Land. Doch das Kunsthaus war plötzlich nur noch die Sammlung Bührle. Unter ging: Es gab ein neues Gebäude mit wunderbarer Kunst. Nicht nur von der Sammlung Emil Bührle.
Seit 2021 ist die Sammlung von Emil Bührle im Neubau des Kunsthauses Zürich zu sehen und sorgt für Kritik. Der Waffenhändler hat viele seiner Werke während der NS-Zeit erworben. Damals waren jüdische Sammler teils gezwungen, aus Not ihre Bilder zu verkaufen. Die Stiftung Bührle und die alte Führung des Kunsthauses wehrten sich bisher gegen die Vorwürfe von Raubkunst und Intransparenz. Mit der neuen Kunsthaus-Führung, zu der Ann Demeester gehört, gab es eine Kehrtwende: Nun überprüft ein Historiker erneut die Provenienzen der Bührle-Sammlung. Und ein extra geschaffenes Forscherteam widmet sich der Sammlung des Kunsthauses, untersucht, ob sich darunter NS-Raubkunst befindet. Das Kunsthaus Zürich ist mit 520’000 Besucherinnen und Besuchern im Jahr 2022 das meistbesuchte Museum der Schweiz.
Seit 2021 ist die Sammlung von Emil Bührle im Neubau des Kunsthauses Zürich zu sehen und sorgt für Kritik. Der Waffenhändler hat viele seiner Werke während der NS-Zeit erworben. Damals waren jüdische Sammler teils gezwungen, aus Not ihre Bilder zu verkaufen. Die Stiftung Bührle und die alte Führung des Kunsthauses wehrten sich bisher gegen die Vorwürfe von Raubkunst und Intransparenz. Mit der neuen Kunsthaus-Führung, zu der Ann Demeester gehört, gab es eine Kehrtwende: Nun überprüft ein Historiker erneut die Provenienzen der Bührle-Sammlung. Und ein extra geschaffenes Forscherteam widmet sich der Sammlung des Kunsthauses, untersucht, ob sich darunter NS-Raubkunst befindet. Das Kunsthaus Zürich ist mit 520’000 Besucherinnen und Besuchern im Jahr 2022 das meistbesuchte Museum der Schweiz.
Doch als Museum mit einer so starken öffentlichen Wirkung hat das Kunsthaus eine Verantwortung. Wie wollen Sie diese wahrnehmen?
Die neue Provenienz-Strategie macht transparent, wie wir vorgehen, wenn wir ein problematisches Werk der Kategorie NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter entdecken. Aber Provenienzforschung und die Suche nach fairen und gerechten Lösungen sind komplex. Das weiss ich aus den Niederlanden, es braucht Zeit.
Wie kann man nun sicher sein, dass das Kunsthaus die Sache nicht versanden lässt, dass es keine Alibi-Übung ist?
Wir betreiben keinen Symbolismus. Der Druck ist gross: Weil das ein Prozess ist, wird es schwierig sein, sofort Resultate zu zeigen. Deshalb ist die Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Bührle, die wir ab November machen, wichtig. Wir werden auf den historischen Kontext eingehen und zeigen, dass wir die Diskussion ernst nehmen und uns der Dilemmata bewusst sind. Ein Beirat begleitet uns kritisch bei der Realisation dieser Ausstellung.
Derzeit läuft eine Neubeurteilung der Herkunft der Bührle-Werke. Was tut das Kunsthaus, wenn die Stiftung Bührle – wie bisher – im Fall eines problematischen Werks nicht handeln will?
Wir würden das Bild abhängen. Aber das löst das Problem nicht. Das Risiko ist gross, dass das Bild dann aus dem öffentlichen Diskurs verschwindet. Auch deshalb planen wir diese Ausstellung: Wir zeigen viel diskutierte Werke und besprechen sie kritisch.
Ein anderer Weg wäre, die Bührle-Werke gar nicht mehr zu zeigen. Ist das eine Option?
Das wäre heuchlerisch. Emil Bührle hat in den 1950er-Jahren den grossen Ausstellungstrakt, den Pfister-Bau, finanziert, hat uns die Seerosen von Monet geschenkt, das Höllentor von Rodin. Wir sind historisch eng mit ihm verbunden. So wie es die Schweiz ist. Verschwinden die Bilder, wirkt es, als hätte es die Zweit-Weltkriegs-Vergangenheit nicht gegeben.
Sie stammen nicht aus dem Kunstmilieu. Ihre Eltern waren Steuerbeamte und Ihr Grossvater Kohlenhändler. Alle nicht kunstaffin. Wie kamen Sie zur Kunst, welches war Ihre erste prägende Erfahrung?
Als Teenager fuhren wir einmal nach Frankreich in die Ferien. Ich langweilte mich sehr, hatte keine Lust auf Strand, wollte mich nicht bräunen. Mein Vater sagte: Kind, was machst du denn?! Geh ins Museum. Ich ging ins Matisse-Museum mit seinen Scherenschnitten-Werken und war fasziniert: Das war so einfach, kindlich, da sprang ein Funke über. Ich begriff: Man kann fasziniert sein von etwas und es gleichzeitig nicht verstehen.
Was gibt Ihnen die Kunst?
Ein Bild ist etwas Fremdes. Etwas, das dich anzieht und gleichzeitig unzugänglich, abweisend ist. Die Kombination, dass man verführt wird und gleichzeitig nicht genau weiss, was dahinter steckt – das liebe ich.
Sie sagten einmal öffentlich: «Kunst ist Sex fürs Gehirn!» Wo liegt die Gemeinsamkeit?
Marleen Stikker, eine Kollegin von mir, sagte das zuerst. Es ist eine perfekte Metapher. Beides ist Genuss und Notwendigkeit zugleich. Sex ist ein Trieb und kann Antrieb sein. Er ist körperlich und emotional. Kunst als Sex für den Geist heisst, dass sie ein vitaler Impulsgeber für die Gesellschaft ist.
Niemand stellt infrage, dass wir Sex brauchen. Bei der Kunst ist es anders.
In den Niederlanden hiess es während Corona: Kunst sei Luxus. Die Museen könnten länger geschlossen bleiben. Ich sage: Kunst gehört zu den Grundbedürfnissen. So wie Nahrung. Kunst macht der Mensch schon fast, seit es ihn gibt. Wäre es nicht notwendig, wäre es schon längst aus der Evolution verschwunden.
Es gibt in der Psychologie ein Phänomen, das Menschen betrifft, die sozial aufsteigen. Arbeiterkinder, die studieren, kennen das. Hatten Sie je das Gefühl, «aufzufliegen», also das Gefühl, weil Sie nicht in das kunstaffine Milieu hineingeboren sind, nicht dazuzugehören?
Sie meinen das Impostor-Syndrom?
Genau.
Dieses Gefühl hatte ich lange. Weil ich Kunst zu Hause nicht vermittelt bekam und weil ich nicht Kunstgeschichte studiert habe. Mittlerweile sehe ich, dass es von Vorteil ist, dass alles, dem ich in der Kunst begegne, nicht selbstverständlich ist. Ich sehe immer alles neu. Neugier treibt mich an. Da bin ich noch immer ganz Journalistin. Das ist mein Forte (Stärke, Anm. d. Redaktion).
Legen Sie Wert darauf, Ihren Kindern etwas von Ihrer Kunstaffinität mitzugeben?
Ja, aber das ist nicht so einfach. Ich bin nicht sicher, ob ich das sagen sollte, aber: Meine Kinder finden es manchmal schrecklich, in ein Museum zu gehen.
Bei Kindern überrascht das nicht.
Mein Sohn fragt dann zum Beispiel: Warum ist das Kunst? Oder sagt: Das ist doch blöd, das kann ich auch.
Ihr Sohn spiegelt, was viele Menschen denken!
Ja, ich kann täglich üben, wie man Kunst zu den Menschen bringt. (lacht)
Viele haben Berührungsängste, denken, sie verstünden nichts von Kunst. Was sagen Sie ihnen?
Das Kiasma-Museum in Helsinki machte einmal eine tolle Marketing-Kampagne, projizierte gross auf ihr Gebäude den Slogan: «I don’t quite get it» – Ich verstehe es nicht ganz. Sie wollten sagen: Auch wir verstehen es nicht zu hundert Prozent, aber das ist egal. Kunst ist eine Erfahrung, kann deine Gefühle, deinen Kopf, deine Erinnerung und dein Wissen aktivieren. Aber: Dafür braucht es Offenheit. Man muss wollen.
Man muss es ihnen aber auch schmackhaft machen. Was haben Sie diesbezüglich im Sinn?
Wir müssen zugänglich sein. Ich muss erst mal schauen, was in der Schweiz funktioniert. In den Niederlanden haben wir Expertinnen und Experten aus anderen Bereichen gebeten, eine Audio-Führung zu machen oder eine Ausstellung zusammenzustellen. Ein Florist und ein Ernährungsspezialist haben aus ihren Perspektiven eine Audio-Tour gemacht. Ärzte analysierten aus ihrer Perspektive Werke. Oder Einwohner unserer Stadt wählten Familien-Porträts aus, von denen sie dachten: Das sieht aus wie meine Familie.
Derzeit steht das Kunsthaus noch für den Bührle-Skandal, wofür soll es in fünf Jahren stehen?
Wir haben diese wunderbare historisch gewachsene Sammlung, sie ist unser Herz, diese muss man immer wieder neu aktivieren. Und zeigen, was das mit dem Jetzt zu tun hat. Also die alte Tradition pflegen, aber neue Perspektiven darauf ermöglichen.