Der Fall Emil G. Bührle beschäftigt die Schweiz. Vor allem die Frage, ob der Zürcher Waffenindustrielle während und nach der NS-Zeit Kunst aus früherem jüdischem Besitz gekauft hat. So wie es viele Sammler und Museen hierzulande taten – die Schweiz war eine Drehscheibe für Kunst.
Doch die meisten Fälle bleiben im Dunklen. Vor allem, weil hiesige Museen und Sammler in Raubkunstfällen allein entscheiden. Nach eigenem Gutdünken. Obwohl die sogenannten Washingtoner und Theresienstädter Erklärungen vorgeben, wie NS-Raubkunst in Kunstsammlungen identifiziert wird und wie faire Lösungen mit den Erben von jüdischen NS-Verfolgten aussehen. Die Schweiz hat beiden Richtlinien zugestimmt.
Nun soll sich bei uns etwas ändern. Die Mitglieder der ehemaligen Bergier-Kommission forderten Massnahmen. Der Bund müsse ein unabhängiges Gremium für NS-Raubkunst schaffen. Es soll zwischen Erben sowie Sammlern und Museen vermitteln. Also die historischen Umstände des Verkaufs gründlich untersuchen und empfehlen, ob man restituieren soll oder nicht. So wie jene in Frankreich, Deutschland, Österreich, Holland und Grossbritannien.
Bund sieht keinen Handlungsbedarf
Es ist nicht die erste solche Forderung. Doch die Schweiz sträubt sich bislang – und wird es auch künftig tun. Das stellt Benno Widmer, beim Bundesamt für Kultur (BAK) für Museen und Sammlungen zuständig, auf Anfrage klar. Der Bund sehe für die Schaffung eines solchen Gremiums «derzeit keinen Bedarf». Seine Begründung: «In der Schweiz gibt es bis dato nur wenige strittige Einzelfälle im Bereich der NS-Raubkunst.»
Für Kunstrechtsexperten wie Olaf Ossmann klingt das wie eine Ausrede. Der Winterthurer Anwalt hat sich auf dieses Thema spezialisiert, betreute in den letzten 30 Jahren rund 600 Raubkunstfälle und sagt: «Ich kenne eine Reihe von Fällen, in denen jüdische Nachkommen keine Restitutionsansprüche stellen, weil sie sich in der Schweiz nichts erhoffen.» Das würde sich mit einem Gremium ändern, ist er überzeugt. Bestehe Aussicht auf ein geregeltes Verfahren mit sachkundigen Mitgliedern eines unabhängigen Gremiums, «gäbe es mehr Fälle».
Es ist nicht so, dass die Schweiz in Sachen Raubkunst nichts tut. Das BAK wird bis nächstes Jahr 3,6 Millionen Franken für Provenienzforschung an Schweizer Museen gesprochen haben. 44 Projekte sind am Laufen. Doch dass die ehemalige Bergier-Kommission abblitzt, passt zum Schweizer Selbstbild. Anwalt Ossmann erklärt es so: «Es heisst immer: Warum sollten wir ausbaden, was die Deutschen verbrochen haben, wenn wir an der Verfolgung und Enteignung gar nicht direkt beteiligt waren?»
Das hat Folgen: Die Schweiz ist restitutionsscheu, sie meidet offenkundig die Rückgabe von Raubkunst.
Das spüren die Erben. Zuletzt jene von Curt Glaser. Der Fall war schweizweit Thema. Der jüdische Sammler musste seine Werke 1933 verkaufen, um seine Flucht vor den Nazis finanzieren zu können. Das Kunstmuseum Basel erwarb 120 davon zum Spottpreis. 2008 forderten die Glaser-Erben die Kunst zurück. Das Museum lehnte ab. Erst vergangenes Jahr – zwölf Jahre später – entschied man, dass die Erben zumindest eine Entschädigung erhalten. Und die Werke? Gehören weiterhin dem Kunstmuseum.
Raubkunst vs. Fluchtgut
Der Fall zeigt noch etwas anderes: Die Schweiz hantiert mit einem eigenwilligen Raubkunstbegriff.
Seit dem Bergier-Bericht unterscheidet man hierzulande zwischen Raubkunst, die vom NS-Regime verfolgten Menschen gestohlen wurde. Und Fluchtgut oder Fluchtkunst, die jüdische Besitzer in ihrer Not verkaufen mussten. Stuft ein Museum ein Werk als Fluchtgut ein, wie im Fall Glaser, gilt es nicht als Raubkunst – und wird meist nicht restituiert. Im Ausland gilt beides als Raubkunst, eine Restituierung ist die Folge.
Der Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr, der für die Schweiz die Washingtoner Erklärung ausgehandelt hat, sagt: «Die Unterscheidung ist nicht mehr tragbar.» Die Schweiz solle den international gängigen Rechtsbegriff «NS-verfolgungsbedingter Vermögensentzug» übernehmen. Das forderte am Donnerstag auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) von der Stadt Zürich im Fall Bührle.
Käme er mit dieser Forderung durch – so sind sich Kunstrechtsexperten einig –, würden künftig weit mehr Erben an Schweizer Museumstüren klopfen.