Auf einen Blick
- Kurzvideos verändern Gehirnaktivität
- Süchtige zeigen vergrösserten orbitofrontalen Kortex und verstärkte Vergleichsneigung
- Studie untersuchte 111 Studierende zwischen 17 und 30 Jahren mittels MRT-Scans
Sie dauern nur Sekunden, fesseln aber Millionen: Kurzvideos auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok und Instagram gehören für viele längst zum Alltag. Doch was machen die Kurzvideos mit unserem Gehirn? Eine neue Studie der Tianjin Normal University in China gibt Aufschluss: Übermässiger Kurzvideokonsum verändert die Gehirnaktivität.
Die Forscher untersuchten 111 Studierende zwischen 17 und 30 Jahren mittels MRT-Scans, also bildgebenden Verfahren, die das Gehirn detailliert abbilden. Dabei analysierten sie, wie die Struktur und Aktivität verschiedener Hirnregionen aussehen. Um die Sucht nach Kurzvideos zu messen, füllten die Teilnehmer einen standardisierten Fragebogen aus.
Die Ergebnisse: Bei Personen, die aufgrund ihrer Antworten im Fragebogen als süchtig eingestuft wurden, zeigten sich deutliche strukturelle und funktionelle Unterschiede im Gehirn. Besonders betroffen ist der Orbitofrontalkortex – der Bereich, der unser Belohnungsempfinden steuert. Er ist bei süchtigen Nutzern vergrössert. Das bedeutet: Ihr Gehirn wird immer empfänglicher für den «Kick», den neue Kurzvideos auslösen.
Im ständigen Vergleich
Die Forscher entdeckten bei den Betroffenen erhöhte Aktivitäten in weiteren Hirnregionen, die für Entscheidungen, Selbstwahrnehmung und die Kontrolle von Emotionen zuständig sind. Die erhöhte Hirnaktivität in diesen Regionen deutet darauf hin, dass Menschen mit Kurzvideo-Sucht zunehmend Probleme mit der Selbstkontrolle entwickeln.
Gleichzeitig neigen sie verstärkt dazu, sich mit anderen Menschen in den Videos zu vergleichen. Genau dieser Vergleich mit anderen spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Sucht, wie die Forscher festhalten.
Denn ihre Studie zeigt auch: Menschen, die zu Neidgefühlen tendieren, werden leichter süchtig nach Kurzvideos. Bei ihnen verändern sich vor allem Hirnregionen, die Gefühle und soziale Beziehungen verarbeiten. Die Forscher vermuten, dass diese Menschen Plattformen wie Tiktok als Kompensationsmechanismus nutzen. Die Kurzvideos bieten ihnen eine Möglichkeit, negative Emotionen vorübergehend zu verdrängen und sich in einer scheinbar perfekten Welt zu vergessen.
Jugendliche besonders gefährdet
Besonders gross ist das Suchtrisiko bei Jugendlichen. Die Forscher entdeckten mehr als 500 Gene, die direkt mit den beobachteten Gehirnveränderungen verknüpft sind. Diese Gene sind wichtig dafür, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren und sind vor allem während der Jugend aktiv – also in einer Zeit, in der sich das Gehirn noch stark entwickelt.
Allerdings hat die Studie eine wichtige Einschränkung: Die Forscher können nicht sagen, was zuerst da war – die Gehirnveränderungen oder die Sucht. Verändern Kurzvideos also unser Gehirn? Oder macht ein bestimmter Gehirntyp anfälliger für Kurzvideo-Sucht? Diese Frage können nur künftige Langzeitstudien beantworten, die Menschen über mehrere Jahre begleiten.