Oxford-Wort des Jahres 2024
Brain Rot – macht Tiktok unser Gehirn zu Matsch?

Millionen scrollen sich täglich durch endlose Video-Feeds. Der Begriff «Brain Rot» erobert das Netz. Was ein Experte zur angeblichen Digital-Demenz sagt – und warum ausgerechnet die Generation Z darüber lacht.
Publiziert: 18.12.2024 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 19.12.2024 um 10:12 Uhr
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Der Begriff «Brain Rot» beschreibt die Angst vor digitaler Verdummung. (Illustration erstellt mit KI)
Foto: Midjourney / Tobias Bolzern

Auf einen Blick

  • Scrollen macht dumm? «Brain Rot» wird Wort des Jahres
  • Experten warnen vor Social-Media-Überkonsum
  • GenZ macht sich über die Gehirnfäule lustig
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Tobias BolzernRedaktor Digital

«Brain Rot» eroberte 2024 die sozialen Medien im Sturm. Der Oxford Dictionary verzeichnete einen Anstieg in der Nutzung des Begriffs um 230 Prozent innerhalb von einem Jahr. Einerseits beschreibt er die Flut banaler Inhalte in sozialen Medien, andererseits die vermuteten Folgen ihres übermässigen Konsums. Besonders viral ging das Internetphänomen «Skibidi Toilet».

«Brain Rot spiegelt vor allem kulturelle Ängste und Sorgen wider – keine wissenschaftlich feststellbaren Wirkungen», entgegnet Thomas N. Friemel (47), Leiter der Abteilung Mediennutzung an der Universität Zürich. Die Befürchtung, dass neue Medien uns verdummen, ist uralt. «Schon Sokrates hat die Einführung der Schrift kritisiert, weil das schädlich sei für das Gedächtnis und für die mündliche Tradition», so Friemel.

Algorithmische Reizüberflutung

Überraschend: Gerade junge Menschen verwenden den Begriff Brain Rot selbstironisch. «Das zeigt einen durchaus emanzipierten Umgang mit Medien», so Friemel. Die Generation Z sei sich möglicher negativer Wirkungen bewusst, gehe aber pragmatisch damit um. Auch aus neurologischer Sicht ist die Metapher vom «verfaulenden Gehirn» irreführend. «Die Inhalte sind extrem kondensiert, das ist quasi das Gegenteil von einer Verrottung», sagt Friemel. Problematisch könne jedoch die ständige Dopaminausschüttung durch die Reizüberflutung sein.

Diese Sorgen spiegeln sich auch in der Politik wider. In mehreren Ländern gibt es bereits Bestrebungen, die Social-Media-Nutzung für Jugendliche einzuschränken. So plant etwa Florida ein komplettes Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige. Auch in der Schweiz wird das Thema diskutiert.

Die Reizüberflutung treiben die Plattformen laut Friemel aktiv voran. «Algorithmen maximieren die Nutzungsdauer und liefern immer mehr vom Gleichen», warnt der Experte. Er rät: nach fünf Videos selbst nach neuem Content suchen und eigene Inhalte kuratieren.

«Rituale bleiben hartnäckig»

Aber schadet stundenlanges Scrollen auf Tiktok wirklich? «Das hängt von der Alternative ab», differenziert Friemel. Meditation oder Gespräche mit Freunden böten mehr Wert als «eskapistische Ablenkung». Kritisch wird es erst, wenn Menschen soziale Kontakte für Tiktok opfern. Statt Panik empfiehlt der Experte bewährte Strategien: Zeitlimits einführen, Apps löschen, das Handy weglegen. «Es ist eigentlich nichts anderes als bei den meisten anderen Suchtverhalten», erklärt er. «Die Abhängigkeit verschwindet schnell – die Rituale bleiben hartnäckig.»

Aus der digitalen Not machen Unternehmer eine Tugend: «PDF to Brainrot»-Dienste verwandeln Lehrbücher in kurze Videos. Sie unterlegen den Lernstoff mit «Minecraft»-Gameplay und lassen Computerstimmen Text vorlesen, gespickt mit jugendlichen Slang-Wörtern.

Sind solche Videos also ein trojanisches Pferd, um Wissen unterhaltsam zu vermitteln? «Ich kann mir mit bestem Willen nicht vorstellen, dass es sinnvoll ist und funktionieren könnte», urteilt Friemel. Zwar seien Visualisierungen und die Verknüpfung von abstrakten Inhalten mit Bildern grundsätzlich bewährte Lerntechniken. «Aber in dieser Form der Umsetzung macht das herzlich wenig Sinn. Es ist keine sinnvolle Verknüpfung der Inhalte mit Visualisierungen und Lernhilfen.»

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