Er hockt auf der Balkonbrüstung des zweiten Stocks der Freiflughalle in den Vogelwelten vom Zoo Basel und schaut seine Patin Jeannette Hug (67) mit rot umrandeten schwarzen Kulleraugen lange an. «Guete Morge, wie goht’s?», sagt die Baslerin und schaut auf ihn, der zum Greifen nah ist. Er gibt keinen Laut von sich, wendet nur den Kopf und schaut weiterhin interessiert. «Ich weiss nicht, ob er mich erkennt», sagt sie.
Er ist ein Vogel, einer der in Ostafrika heimischen Fischerturakos, für den Hug eine Patenschaft übernommen hat. Der Zoo bietet für viele Tiere und jedes Portemonnaie Patenschaften an – ab 100 Franken jährlich für einen Aal bis zu 12’000 Franken für einen Elefanten. Damit unterstützt man tiergerechte und naturnahe Haltung. «Mein Mann und ich haben zehn Patentiere», sagt Hug, «neben zwei Turakos noch vier Hawaiigänse und je zwei Streifen- und Nonnengänse.»
Gleich in der Nachbarschaft wohnhaft, geht Jeannette Hug seit sieben Jahren täglich in den Zoo. Nur Ferien halten sie von diesem Ritual ab. «Wir hatten 39 Jahre lang Hunde», sagt Hug, «doch als der letzte nicht mehr gut lief und ich in Pension ging, musste ich etwas für meine Bewegung finden.» Und so steht sie jeden Morgen kurz nach 8 Uhr am Zoo-Eingang Dorenbach und macht ihren über einstündigen Rundgang.
Der Zolli, wie Baslerinnen und Basler ihren Tiergarten liebevoll nennen, öffnete am 3. Juli 1874 erstmals seine Tore und ist damit der älteste Zoo der Schweiz. Die Idee der Gründer war, «das Publikum aus seinen dumpfen Arbeitslokalen an die frische Luft zu locken». Dabei wollte man «dem Besucher die Pracht und Schönheit unserer Schweizerischen und vorzüglich der Alpentierwelt darbieten», wie es im Aufruf von damals heisst.
Wildschweine, Hirsche, Steinböcke und Raubvögel waren zu sehen. Eine besondere Attraktion bildete das Raubtierhaus, worin Wolf, Luchs, Dachs und Fuchs hinter Gittern waren. Bereits im ersten Jahr verzeichnete der Zoologische Garten mit 62’000 Besucherinnen und Besuchern einen grossen Andrang. Doch bald erstarb das Interesse an der einheimischen Fauna, und viele Alpentiere fanden den Tod im Klima des Flachlands.
Grünkardinal und Blaukrönchen sorgen für buntes Treiben
Exotik musste her, doch die frühe Haltung von Tieren aus fernen Weltgegenden war aus heutiger Sicht nicht artgerecht. Zoodirektor Olivier Pagan (61) erklärt das Ausstellungskonzept im Vogelhaus von 1927: in jedem Käfig ein Tier, drei Reihen übereinander, schön nach Farben und Formen angeordnet. «Damals wollte man den Menschen zeigen, wie reichhaltig die Tierwelt ist», sagt Pagan.
Heute ist das alte Vogelhaus eine Freiflughalle, in der unter anderen Grünkardinal und Blaukrönchen für buntes Treiben in den Lüften sorgen. In der Mitte ist der Boden abgesenkt und flächendeckend bepflanzt, sodass man sich in einem Urwald wähnt. Und der Balkon im zweiten Stock, auf dessen Brüstung immer noch der Fischerturako hockt, bietet freie Sicht auf die ausgebreiteten Schwingen fliegender Vögel.
«Es ist jeden Tag derselbe Ort», sagt Jeannette Hug, «aber jeden Tag erlebe ich etwas anderes.» Wenn sie draussen bei den Hawaiigänsen vorbeiläuft, rennt ihr der Ganter meist aufgeregt entgegen. Für Tierpfleger Markus Bracher (60) ein untrügliches Zeichen, dass der Stammgast zu Besuch ist: «Frau Hug kennt die Tiere so gut, dass sie uns sogar über deren Gesundheitszustand informieren kann», sagt er.
Bracher ist nicht nur für Hawaiigänse, sondern auch für Pinguine, Pelikane, Pfaue und weitere Vögel zuständig. Er sei «da hineingerutscht», wie er sagt, als er 2006 die Tierpflegerausbildung abschloss. Einheimische Tiere lernte er auf dem Bauernhof seines Grossvaters in Bretzwil BL schätzen, exotische auf Reisen. «Auf Sardinien sah ich Flamingos fliegen, das war faszinierend», sagt Bracher.
Er packt einen Eimer voller toter Makrelen sowie Heringe und macht sich daran, die den ursprünglich an den Küsten Südafrikas heimischen Brillenpinguinen zu verfüttern. Ein Rabe verfolgt den Tierpfleger auf dem Weg zur Pinguin-Aussenanlage von Baum zu Baum und beobachtet scharf, ob für ihn etwas abfällt. Dort wartet auch schon ein Reiher in der ersten Reihe auf die Fütterung. «Wir haben einige Wildtiere, die den Zoo nutzen», sagt Bracher, «auch Störche, die hoch oben nisten.»
Pelikane scheinen das Publikum zu suchen
10’532 Lebewesen in 588 Arten: Das ist gemäss Geschäftsbericht der Tierbestand per 31. Dezember 2023 im elf Hektar grossen Zoo Basel. Unter den rund 10’000 Tiergärten weltweit rangiert Basel stets unter den besten und engagiert sich für bedrohte Tiere. «Aktuell koordinieren wir sieben Programme», sagt Zoodirektor Pagan, «unter anderem für Somali-Wildesel, Zwergflusspferde und Panzernashörner.»
Wenn ein anderer Zoo ein Tier aus dem Zuchtprogramm will, muss er strenge Bedingungen erfüllen. «Um Risse in den Fusssohlen der Nashörner zu vermeiden», so Pagan, «haben wir in der Aussenanlage einen mehrschichtigen, meterdicken Sumpfboden nachgebaut.» Solche Erkenntnisse aus der Haltung müssen in einem Gehege an einem anderen Ort umgesetzt sein, damit sich das Nashorn auch dort wohlfühlt.
In den 150 Jahren seit Bestehen des Zoos nähern sich die Gehege immer mehr den natürlichen Umgebungen der Tiere an. Erst Anfang 2024 ging die Erweiterung der Pelikananlage mit Rückzugsmöglichkeiten für die Vögel zu Ende. Doch die Pelikane scheinen das Publikum zu suchen: «Sie brüten nahe bei den Wegen», sagt Bracher, «wir mussten Absperrungen anbringen, damit Menschen den Vögeln nicht zu nahe kommen.»
Andere Tiere scheinen gegenüber Menschen wesentlich skeptischer eingestellt zu sein: «Der Aufbau der Freundschaft mit einem Nilkrokodil dauerte sehr lange», sagt Jeannette Hug. «Jetzt begleitet es mich parallel hinterm Glas – andere Besucher meinten schon, ich trainiere das Tier.» Dreieinhalb Jahre besuchte sie die Krokodile in der Themenanlage Gamgoas, bis das Männchen erstmals auf sie reagierte und sich bei ihrem Kommen rührte.
Gerührt war Jeannette Hug, als sie nach dem Besuchsunterbruch durch die Corona-Pandemie 2021 wieder in den Zolli durfte und zu den Kordofan-Giraffen ging. Der mittlerweile 15-jährige Giraffenbulle Xamburu lässt sich normalerweise nicht beim Fressen stören. Doch als sie damals «guten Morgen, Xamburu» rief, hielt er inne und kam zu ihr. «Ich hatte Tränen in den Augen», sagt Hug.