Der Streit um den Genderstern geht weiter. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, also die oberste Sprachinstanz, hat sich für einen «Kompromiss» entschieden, wie Präsident Josef Lange (75) zu SonntagsBlick sagt. Am Freitag beschloss der Rechtschreibrat in Eupen (Belgien): Gender-Sonderzeichen werden nicht Teil der amtlichen Rechtschreibung, aber auch nicht explizit verboten. Konkret geht es um Gender- Doppelpunkt (Bürger:innen), -Stern (Bürger*innen) und -Unterstrich (Bürger_innen).
Laut dem Präsidenten ist die Sitzung «sehr kontrovers» verlaufen. «Wir hatten die ganze Bandbreite. Manche sagen: ‹Das ist nicht Teil der deutschen Rechtschreibung – wer den Genderstern benutzt, schreibt falsch.› Andere betonen: ‹Die junge Generation schreibt schon längst anders. Deswegen müssen wir das zulassen›», sagt Lange. Für ihn steht fest: Gender-Sonderzeichen sind normwidrig. Doch das sehen nicht alle so.
Im Vorfeld der Sitzung hatten zwei E-Mails die Gemüter im Rechtschreibrat erhitzt. Der Schweizer Linguist Peter Gallmann (71) hatte vor einem «Geist des Verbietens» gewarnt. Darauf konterte der deutsche Linguist Lutz Götze (79): «In Universitäten, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, öffentlichen Institutionen wie dem Goethe-Institut oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft wird nach Belieben und voller Unsinn gegendert.»
Götze warnte vor einer «Sprachpolizei» und schrieb in der E-Mail: «Drei Viertel aller Deutschsprachigen lehnen diese Sonderzeichen ab; in Niederösterreich oder in der Hertie-Stiftung wird ihr Gebrauch in öffentlichen Verlautbarungen untersagt.»
Im Rat sitzen Vertreterinnen und Vertreter aus sechs Ländern und einer Provinz: Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Belgien und Südtirol. Sie machen Vorschläge zur Rechtschreibung.
Der Genderstern ist längst sprachliche Praxis
Die Delegierte der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) im Rechtschreibrat, die Sprachwissenschaftlerin Claudia Schmellentin (53), begrüsst den Kompromiss: «Wir konnten uns auf den Passus einigen, dass Gender-Sonderzeichen nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie gehören. Für mich ist klar: Das ist keine Ablehnung. Der Genderstern ist an Schulen und im öffentlichen Dienst nicht verboten.»
Schmellentin beobachtet, dass Medien den Passus unterschiedlich interpretieren: «Manche sind der Meinung, was nicht zum Kernbestand gehört, geht nicht. Aber der Rechtschreibrat hat sich nicht auf ein Verbot geeinigt.» Die Formulierung sei vage gehalten. «Sprache ist im Fluss, wir müssen das weiter beobachten. Es macht keinen Sinn, etwas zu verbieten, was längst sprachliche Praxis ist.»
Der Beschluss geht nun in allen deutschsprachigen Ländern in die Vernehmlassung, also auch in der Schweiz. Claudia Schmellentin kann sich vorstellen, dass die EDK bei Bedarf nun Empfehlungen für die Schulen ausarbeitet. Sie hält nichts davon, den Genderstern in Schulen als Fehler zu werten: «Wer den Genderstern benutzt, setzt damit ein Signal. Mit falscher Rechtschreibung hat das nichts zu tun. Und wenn Lehrpersonen den Genderstern nutzen, kann das je nach Situation pädagogisch sinnvoll und sensibel sein. Gleichzeitig wird auch niemand dazu gezwungen.»
Der Schweizer Schriftsteller Franco Supino (57) sitzt ebenfalls im Rechtschreibrat – und sieht es ähnlich: «Der Genderstern wird nicht verboten, sondern toleriert. Ich halte nichts davon, den Genderstern in der Primarschule zu verwenden – aber in der Oberstufe.»
Trotz des Kompromisses: Der Streit um den Genderstern dürfte weitergehen.