SonntagsBlick: Herr Lange, wollen Sie den Genderstern verbieten?
Josef Lange: Wie kommen Sie darauf?
Der Rat für deutsche Rechtschreibung will ins amtliche Regelwerk den Passus aufnehmen, dass sich Sonderzeichen wie der Genderstern oder der Genderdoppelpunkt «ausserhalb der orthografischen Norm» befinden.
Die Arbeitsgruppe Geschlechtergerechte Schreibung hat einen Entwurf zur Ergänzung des amtlichen Regelwerks diskutiert, über den der ganze Rat am 14. Juli entscheiden wird. Wir haben mehrmals intensiv darüber diskutiert. Das Ergebnis liegt noch nicht schriftlich vor. Die Diskussion war sehr kontrovers, wie das bei diesem Thema nicht anders zu erwarten ist.
Was heisst das: «ausserhalb der orthografischen Norm»?
Sonderzeichen innerhalb von Wörtern, die aussagen sollen, dass damit Menschen aller Geschlechter gemeint werden, sind normwidrig. Das heisst, sie entsprechen nicht dem amtlichen Regelwerk, das die deutschsprachigen Länder einvernehmlich beschlossen haben.
Josef Lange (75) ist seit 2017 Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung. Bis 2013 war das CSU-Mitglied Staatssekretär im Landesministerium für Wissenschaft und Kultur des deutschen Bundeslandes Niedersachsen.
Josef Lange (75) ist seit 2017 Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung. Bis 2013 war das CSU-Mitglied Staatssekretär im Landesministerium für Wissenschaft und Kultur des deutschen Bundeslandes Niedersachsen.
Wollen Sie jetzt den Genderstern verbieten oder nicht?
Wir können nichts verbieten. Wir können aber und sind dazu verpflichtet zu sagen, was orthografisch nicht korrekt ist. Der Rat für deutsche Rechtschreibung repräsentiert die ganze Breite der öffentlichen Debatte. Insofern haben wir sehr harte Diskussionen. Ich gehe davon aus, dass die Vorlage für den Rat diesen nicht unverändert verlassen wird. Das ist bei Gremien, die 40 Mitglieder haben, eine Normalität – also weder besorgniserregend noch irritierend.
Dennoch steht die Stossrichtung fest: Der Genderstern ist keine Variante, die Sie gutheissen.
Bislang kommen Zeichen wie der Genderstern im Regelwerk der deutschen Rechtschreibung überhaupt nicht vor. Uns ist von staatlicher Seite signalisiert worden, dass wir uns als Rat positionieren sollen. Wenn wir feststellen, dass der Genderstern nach dem geltenden Regelwerk normwidrig ist, ist das ein Signal, mit dem die staatlichen Stellen weiterarbeiten können.
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Was bedeutet das konkret?
Das dürfte von Belgien bis Südtirol unterschiedlich ablaufen. In Deutschland erwarte ich eine sehr kontroverse Diskussion. Es gibt Bundesländer, die sagen: «Wir halten uns an das Regelwerk.» Das bedeutet, dass der Genderstern in Schulaufsätzen als Rechtschreibfehler gilt. Und es gibt Bundesländer, die das anders sehen und sagen, Schülerinnen und Schüler dürften vom Regelwerk abweichen – ich persönlich finde das bedenklich.
Wieso bedenklich?
Staatliche Stellen können doch nicht sagen: «Uns interessiert das Regelwerk nicht, das wir auf Empfehlung des Rats für Rechtschreibung gemeinsam beschlossen haben.» Ich finde es eine grosse Errungenschaft, dass sich die deutschsprachigen Länder schon 1901 darauf verständigt haben, ein einheitliches Regelwerk für die deutsche Sprache zu entwickeln. Es geht um Verständlichkeit, Verlässlichkeit und darum, Missverständnisse auszuräumen.
Die Stadtverwaltungen von Zürich und Bern kommunizieren teilweise mit Genderstern.
Das gibt es auch in Deutschland in manchen Städten. Ich halte es für einen Weg in die Provinzialität. Ich finde einheitliche Schreibregeln für die grösste Sprachgemeinschaft in Europa in einer zunehmend internationalisierten Welt zukunftsorientierter. Zumal die deutsche Sprache ohnehin schwer zu lernen ist. Wir sollten sie nicht komplizierter machen.
Liefern Sie der AfD in Deutschland und der SVP in der Schweiz Gratis-Wahlkampfwerbung?
Der Rat für deutsche Rechtschreibung liefert keiner politischen Partei Wahlkampfmunition. Wir beobachten die Sprache und ihre Schreibung. Es geht um belastbare sprachwissenschaftliche und sprachlich logische Begründungen.
Ob Sie wollen oder nicht: Ihre Entscheidungen werden politisch instrumentalisiert.
Sprache wird von allen Seiten instrumentalisiert. Die AfD will, dass wir uns für die Reinheit der deutschen Sprache einsetzen. Dabei kennt die Sprache kein Reinheitsgebot. Nach Martin Luther ist Sprache ein lebendig Ding und entwickelt sich weiter. Sie ist abhängig von den Zeitläufen. Sie ist auch in ihrem Gebrauch abhängig von politischen Entwicklungen.
Wäre das nicht ein Argument für den Genderstern? Manche Länder kennen ein nicht binäres Geschlecht, die Schweiz ist noch nicht so weit.
Die Entscheidungen der obersten Gerichte in Deutschland 2017, Österreich 2018 und Belgien 2019 besagen, dass jeder Mensch das Recht hat, entsprechend seiner Geschlechtszugehörigkeit im Personenstandsregister bezeichnet zu werden. Sie haben nicht entschieden, dass Genderstern oder Genderdoppelpunkt die richtige Bezeichnung für nicht binäre Geschlechtszugehörigkeit sind. Der Rat für deutsche Rechtschreibung beobachtet den Schreibgebrauch und den Schreibwandel. Genderstern oder -doppelpunkt im Wort sind bei weitem noch nicht so üblich, als dass wir sagen könnten: Das nehmen wir ins Regelwerk auf.
Was sagen Sie einem Menschen, der sich weder als männlich noch als weiblich sieht?
Das Signal, respektvoll miteinander umzugehen, ist eine Frage der Haltung – und nicht eine Frage des Sterns oder des Doppelpunktes. Es gehört sich nicht, Menschen ohne Anstand zu behandeln, weil sie weder Mann noch Frau sind. Mir macht die Verrohung der Sitten grosse Sorgen.
Nervt Sie die Genderdebatte – oder freuen Sie sich über die Aufmerksamkeit für Ihre Arbeit?
Es wäre für die öffentliche Diskussion hilfreich, wenn man sie mit etwas mehr Gelassenheit und mit etwas weniger Emotionen führen würde. Und wenn alle, die darüber diskutieren, gegenseitig die Argumente auch anhören. Ich habe manchmal den Eindruck: Wir hören einander nicht zu. Dann kommt es zu überhitzten Diskussionen, die zu gesellschaftlichen Spaltungen führen.