Zürich wird zum Zentrum hitziger Genderdebatten. Geht es nach Susanne Brunner (51), soll der Genderstern in der Zürcher Stadtverwaltung verboten werden.
Am 23. Mai hat die SVP-Politikerin ihre Initiative «Tschüss Genderstern!» eingereicht, nun ist der Stadtrat am Zug. Brunner findet: «Texte von Behörden müssen klar, verständlich und lesbar sein. Gendersprache und insbesondere der Genderstern machen die Sprache schwerfällig und unverständlich. Die Stadt Zürich darf Sprache nicht als politisches Instrument missbrauchen.»
Brunner erntet Applaus und Häme für ihre Initiative. Beifall kommt von Sprachpuristen und jenen, die den «Gender-Wahnsinn» schon länger heraufbeschwören. Und Häme etwa von Juso-Präsident Nicola Siegrist (26). Auf Twitter fragt er: «Wollt ihr in der Gemeindeordnung festschreiben, dass man keine Bindestriche, Apostrophe und weitere Zeichen verwenden darf?» Brunner beabsichtigt, der Zürcher Stadtverwaltung «Sonderzeichen innerhalb einzelner Wörter» zu verbieten.
Ebenfalls in Zürich wohnt Kim de l’Horizon (31). Der Literaturstar erhielt 2022 den Schweizer und den Deutschen Buchpreis. Im Bestseller «Blutbuch» sind Sätze wie dieser selbstverständlich: «Die meisten Kund*innen sind Rentner*innen, Bauarbeiter*innen, Alkoholiker*innen.»
Doppelpunkt liegt vorn
Nicht um Kunden, sondern um Nutzer geht es am 14. Juli. Dann tritt in Eupen (Belgien) der Rat für deutsche Rechtschreibung zusammen. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat im Vorfeld geschlechtergerechte Formen des Begriffs «Nutzer» analysiert. Das Ergebnis: 2020 lag die Schreibweise «Nutzer*innen» noch vor «Nutzer:innen», 2021 und 2022 aber lag der Doppelpunkt vorn. Im Gegensatz zum Begriff «NutzerIn», der von Mann und Frau ausgeht, wollen Genderstern und Gender-Doppelpunkt alle Geschlechtsidentitäten ansprechen. Also auch genderfluide Menschen wie Kim de l’Horizon.
Die Sitzung der obersten Sprachwächter am 14. Juli könnte zu Kontroversen führen. Einen Vorgeschmack davon gab es vor neun Tagen in der Gender-Arbeitsgruppe des Rechtschreibrats.
Nach Informationen von SonntagsBlick geht es um eine Aussage zu Gendersonderzeichen, die erstmals ins amtliche Regelwerk aufgenommen werden soll: «Die Zeichen befinden sich wegen ihres besonderen Status als typografische Zeichen ausserhalb der orthografischen Norm und entsprechen nicht den geltenden Regeln und Systematiken der Orthografie.»
Welche Variante dem Rat am 14. Juli vorgelegt wird, steht noch nicht fest. Im Rat sitzen Vertreterinnen und Vertreter aus sieben Ländern oder Provinzen: Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Belgien und Südtirol. Den Rat gibt es seit 2004. Damals machten ihn sieben Länder zur «zentralen Instanz in Fragen der Rechtschreibung» – um eine Art Schadensbegrenzung zur umstrittenen Rechtschreibreform zu liefern.
Was tun beim Gendern im Schulheft?
Die neunköpfige Schweizer Delegation hat beim Thema Gendern das Heu nicht auf derselben Bühne. Beat Steinmann ist Gesetzesredaktor bei der Bundeskanzlei und vertritt im Rechtschreibrat die öffentliche Verwaltung. Die Bundeskanzlei betont, Genderzeichen seien in Texten des Bundes nicht zugelassen. «Der Diskussion und Abstimmung im Rat für deutsche Rechtschreibung können wir nicht vorgreifen.»
Knut Stirnemann (71) vertritt im Rat die Schweizer Mittelschulen. Er findet, die Empfehlungen der Schweizer Bundeskanzlei zur geschlechtergerechten Sprache hätten auch an Schweizer Schulen zu gelten. «Allerdings sollten Lehrpersonen Schreibungen mit Sonderzeichen wie dem Genderstern nicht als Fehler anstreichen, da die Schülerinnen und Schüler solchen Schreibungen heutzutage immer wieder begegnen.»
Natascha Fischer (51), Leiterin des «NZZ»-Korrektorats, repräsentiert den Verband Schweizer Medien. Sie sieht «aus sprachlicher Sicht diejenigen Formen kritisch, die grammatikalisch nicht ganz aufgehen», und nennt als Beispiel «Bäuer*innen» oder «Ärzt:innen».
«Als Autor schreibe ich, wie ich will»
Nicoletta Wagner (64) ist ehemaliges Mitglied der «NZZ»-Chefredaktion und vertritt im obersten deutschen Sprachgremium die Schulbuchverlage der Schweiz: «Eine Gendersprache mit Sonderzeichen betont Unterschiede. Sie erschwert die Fokussierung auf die Kernaussagen, hebt das Geschlecht hervor, wo dieses eigentlich irrelevant ist, führt zu Fehlern und Missverständnissen, wirkt oft gekünstelt und ist ermüdend.»
Ganz anderer Meinung ist der Schriftsteller Franco Supino (57): «Als Autor schreibe ich, wie ich will – alles andere ginge in Richtung Zensur.» Auch das amtliche Regelwerk solle Varianten wie «Gross-I, Genderstern oder Doppelpunkt» zulassen. Alles andere sei «nicht mehr zeitgemäss». Supino betont, er vertrete im Rat für Rechtschreibung den «Autor*innenverband, der in seinem Logo auch den Genderstern verwendet».
Zur Schweizer Delegation gehören auch Professoren der Fachhochschule Nordwestschweiz: Thomas Lindauer und Claudia Schmellentin. Sie gelten als Befürworter der gendergerechten Sprache. «Wenn ich offiziell schreibe, verwende ich weiterhin das Sternchen», sagte Schmellentin 2021 zu «Annabelle». Privat nutze sie das Ausrufezeichen – eine Mischung aus Binnen-I und Genderdoppelpunkt: «Im Moment gefällt mir diese Form am besten. Im Moment. Womit ich sagen will: Es ist im Fluss.»
Eine Frage des Stils
Nicht Mitglied im Rechtschreibrat ist der Zürcher Linguist Noah Bubenhofer (46). Er findet es problematisch, wenn mit «Anti-Gender-Stimmung» Wahlkampf gemacht werde. Berichte, gemäss denen Unis und Hochschulen fehlendes Gendern mit Notenabzug bestrafen, hätten sich als falsch rausgestellt. Das räumt auch die Junge SVP gegenüber SonntagsBlick ein, die «Gratis-Anwälte» angeboten hatte, um gegen Unis zu klagen. Es habe sich niemand gemeldet, der (oder die) notentechnisch benachteiligt worden sei.
Selbst wenn der Rechtschreibrat sich gegen den Genderstern aussprechen sollte, hätte Noah Bubenhofer damit kein Problem. Für den Linguisten ist der Genderstern keine Frage der Rechtschreibung, sondern des Stils. «Für Stilistik ist der Rechtschreibrat nicht zuständig.»