So wars in der Berghütte
6 Geschichten von Kälte, Irrtümern und Beeren

Verweilen in einer einfachen Berghütte – ist das so romantisch, wie es klingt? Sechs kurze Geschichten zeigen: kann – muss aber nicht.
Publiziert: 05.10.2024 um 15:17 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2024 um 15:27 Uhr

Auf einen Blick

  • Abenteuerliche Erlebnisse in Schweizer Berghütten
  • Als die Hütte überbucht war, mussten Berggänger frieren
  • Kinder von Bauern brauchen auch auf der Alp Unterricht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Mein Felsen hinten am See

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Die Seetalhütte im Prättigau, Kanton Graubünden.
Foto: Alpenverein Vorarlberg

Schon die Anreise war ein Abenteuer: Als Kind fuhr ich mit meinem Vater, Hugo, zigmal im roten Volvo Amazon von Herisau AR nach Klosters GR. Zwei Stopps waren Pflicht: beim Metzger und beim Polizisten. Mit Schweinshalsplätzli und Sonderbewilligung ging es weiter zur Alp Sardasca. Dort begann der Aufstieg.

In knapp anderthalb Stunden kraxelten wir den Berg hinauf, überquerten kleine Bäche und erreichten schliesslich die Seetalhütte (2065 m ü. M.). Sie schmiegt sich hart an den Fels. Küche, Essraum und Matratzenlager: alles in einem Zimmer. Die dunkle Holzfassade mit den zwei winzigen Fenstern, von der Sonne gebrannt – genauso wie Max. Er ist der Hüttenwart, Appenzeller und ein alter Freund von meinem Vater. 

Zusammen waren sie manchmal stundenlang unterwegs, um Wanderwege zu befestigen. Für mich als Kind waren die Tage im Seetal – benannt nach einem See, der einfach nur See heisst, als wäre es der einzige auf der Welt – vor allem eins: Freiheit. Ich erkundete mit Gämsen die Geröllfelder, liess Steine über das Wasser springen, pfiff den Murmeltieren nach oder hielt mit dem Feldstecher Ausschau nach Gästen. Am liebsten sass ich aber hinten am See auf «meinem» Felsen und stopfte wilde Heidelbeeren in mich hinein.

Abends gab es Plätzli und Max' Spezialität: Härdöpfelsalat mit einer Tube Mayonnaise als Sauce. 2011 bereitete er seinen letzten Salat da oben am Berg zu – nach 50 Jahren als Hüttenwart ging er in den Ruhestand. Im August 2022 fuhr ich mit meinem Vater an seinem Geburtstag erneut bis zur Alp Sardasca. Dieses Mal sass ich am Steuer, seine Beine waren zu müde für den Aufstieg. Wir sangen, lachten und weinten. Es war unsere letzte Fahrt. (Tobias Bolzern)

Im Massenschlag weckte mich eine Frage

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Die Sustlihütte in einer Berglandschaft im Kanton Uri.
Foto: zvg

Die SAC-Unterkunft Sustlihütte liegt in einer wunderschönen Berglandschaft im Kanton Uri. Trotzdem wollte ich am Morgen nach meiner Übernachtung möglichst schnell von dort weg.

Warum? Ich hatte einen Platz im Massenschlag reserviert. Weil ich etwas fror, sehnte ich mit nach meinem warmen Schlafsack und legte mich nach dem Abendessen zusammen mit meiner Kollegin als eine der ersten hin. Mein Schlummer hielt aber nicht lange an. Ein Typ weckte mich mit der Frage: «Äxgusi, weli Farb het din Schlofsack?» Müde und verwirrt antwortete ich ihm: «Blau.»

Zur Sicherheit schielte ich kurz in Richtung meiner Füsse und merkte, dass mein Schlafsack dunkler als sonst aussah. Der Schlafsack, in dem ich lag, war tatsächlich schwarz. Und nicht meiner. Ich schälte mich Entschuldigungen stammelnd so schnell wie ich konnte raus. Er lachte nur und meine Kollegin mit. Sie hatte die ganze Szene in Ruhe beobachtet und mich einfach ins Fettnäpfchen treten lassen.

Am nächsten Morgen brachte ich mein Frühstück in Rekordzeit hinter mich und ging gleich los. Mich eingeholt hat er dann doch. (Debora Baumann)

Wir mussten länger bleiben als geplant

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Familie Styger-Matz hatte den Aufstieg zur Leglerhütte geschafft – und wusste noch nicht, dass sie länger bleiben musste, als gebucht.
Foto: zVg

Mit meinem Mann und unseren drei kleinen Kindern wanderte ich im Sommer 2021 zur Leglerhütte (SAC) in den Glarner Alpen, wo wir ein kleines Zimmerchen gebucht hatten. Am nächsten Morgen weckte uns Donnergrollen. Verunsichert riefen wir einen Meteodienst an und bekamen zu hören: «Mit kleinen Kindern wollen Sie kein Gewitter im Gebirge erleben, verbringen Sie den Tag in der Hütte und bleiben Sie noch eine Nacht!»

Die Erkenntnis sass wie ein Boxhieb in den Magen: zu wenig Windeln, kaum Empfang, keine Kinderbücher und keine Kinderspiele dabei. «Das werden lange 24 Stunden», dachte ich mir. 

Ich sollte mich täuschen. Die fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten führten nicht zu Langeweile, sondern zu bisher ungekannter Entspannung. Es entwickelten sich zunächst tiefe Gespräche, dann arbeitete die ganze Familie gebannt an einem alten Puzzle. Auch die Klötzchen eines «Jenga»-Spiels genügten, um Stunden damit zu verbringen. 

Es wurde ein unvergesslicher Tag, der uns lehrte, dass jeder Film an einem Regentag eigentlich verschwendete Familienzeit ist. (Sabine Styger-Matz)

Die Maus im Matratzenlager

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Bei Tageslicht schien der Ausflug perfekt.
Foto: Alexandra Fitz

Wir fuhren mit einer Seilbahn, wanderten an einem Stausee vorbei und liefen saftige Wiesen hinab. Vier Freundinnen, unterwegs in den Glarner Bergen. Unser Ziel: die Berglialp. Als wir nach der Wanderung in einem holzbeheizten Lärchen-Zuber gefüllt mit Molke sassen, unser Blick über die Bergidylle streifte und uns die Hüttenwartin ein Glas Prosecco brachte, war der Ausflug perfekt. 

Als es Nacht wurde, legten wir uns zu viert in einem Matratzenlager hin. Der Knecht würde später dazukommen, sagte die Hüttenwartin. Nachts weckte mich ein Geräusch. Ein Knacken, ein Knistern. Ich zog meine Decke bis zum Hals und lauschte. Ich war mir sicher: Das ist eine Maus! Immer wieder stupste ich meine Freundin neben mir an, um sie zu wecken. Vergebens. Nach einer gefühlten Ewigkeit reagierte sie: «Das ist keine Maus. Das ist der Knecht!» – «Der Knecht?» Schlaftrunken sagte sie: «Ja, der knirscht mit den Zähnen!» (Alexandra Fitz)

Als Lehrer der Alp-Kinder schlief ich in der Speisekammer

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Jean-Claude Galli bei einem seiner Besuche auf dem Oberen Hörnli.

Es war vor knapp 30 Jahren in meiner Studienzeit, als mich eine frühere Nachbarin um Hilfe bat. Sie hatte einen Bauern geheiratet und bewirtschaftete mit ihm den Sommer über eine Alp im Berner Oberland. Ihre Kinder wollten mit auf den Berg und brauchten nun jemanden mit Lehrerpatent, der ihnen den verpassten Schulstoff beibrachte. Es war ein Sekundenentscheid, den ich nie bereut habe.

Das Obere Hörnli liegt auf 1482 Meter über Meer am Sigriswilergrat, erreichbar zu Fuss vom Eriz oder in halbstündiger Fahrt über eine schmale Schotterpiste von Schwanden her. Es gab weder Strom noch Licht, Handys waren noch zu teuer. Gekocht wurde über Holzfeuer, das Badezimmer war der Brunnen vor dem Haus. Mein Bett stand in der Speisekammer. Nachtruhe war bei Sonnenuntergang, Tagwacht um vier Uhr, wenn die Kühe und Rinder unruhig wurden.

Der Unterricht am Küchentisch begann nach dem Frühstück. Nachmittags halfen die Kinder den Eltern und ich hatte frei. Zum Zeitvertrieb hatte ich Bücher mitgebracht, die ich in meinen zwei Wochen Aufenthalt jedoch nie anrührte.

So abgedroschen es klingen mag, doch die Natur ist eindrücklicher als jeder Roman – das lernte ich damals. Allein schon das Kapitel «Wolken». Nachts gewitterte es oft und Blitze schlugen in den nahen Tannen ein. Ich fürchte mich seither nie mehr in der Dunkelheit und weiss, was Entschleunigung wirklich heisst. Noch heute kehre ich einmal im Jahr zurück und berühre beim Türbalken die kleine, nur mir bedeutsame Kerbe, die ich dort zur Erinnerung hinterliess. (Jean-Claude Galli)

Nach dieser Nacht wurde meinem Vater nie mehr richtig warm

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Als Übernachtungsort sollte es eigentlich die Hohsaashütte (3140 m) im Wallis werden. Doch ...

Wer auf einer Hütte übernachtet, rechnet zwar nicht mit einer Fünf-Sterne-Unterkunft, hofft aber dennoch auch auf eine einigermassen geruhsame Nacht. Schliesslich wartet am nächsten Tag der Gipfel.

Im Sommer 1996 erlebte ich jedoch genau das Gegenteil. Zusammen mit meinem Vater wollte ich im Alter von 12 Jahren meinen ersten 4000er besteigen – das Lagginhorn (4010 m) im Saastal VS. Als Übernachtungsort wählten wir die Hohsaashütte (3140 m), soweit so normal.

Weniger normal war dann jedoch, wie wir die Nacht verbringen mussten. Da die Hütte komplett überbucht war, mussten einige der Bergsteiger in der nahe gelegenen Seilbahnstation übernachten. Das Problem: Die Nacht war kalt, die Station weder winddicht noch sonst irgendwie gemütlich. Mit rund einem Dutzend anderen Bergsteigern lagen wir auf dünnen, durchgelegenen Matratzen auf dem nackten Betonboden, die alten Militärwolldecken spendeten kaum Wärme. An Schlaf war also nicht zu denken, eine der schlimmsten Schlaferfahrungen, die ich je gemacht habe.

Besonders hart war es jedoch für meinen Vater. Er sagt noch heute, fast 30 Jahre später, dass ihm nach dieser Nacht nie mehr richtig warm geworden sei. Wenigstens haben wir, trotz Horrornacht, den Gipfel am nächsten Tag erreicht. Früh aufzustehen fiel uns damals gar nicht schwer. (Martin Meul)

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