Sexologin Paula Lambert im Interview
«Für Frauen ist Penetration nicht wirklich befriedigend»

Deutschlands bekannteste Sexologin tritt am 5. Oktober zum ersten Mal in der Schweiz auf. Im Interview erzählt Paula Lambert (49) vom schlechtesten Sex ihres Lebens und wieso wir im Bett so selten Neues wagen.
Publiziert: 30.09.2023 um 21:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2023 um 19:25 Uhr
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Am 5. Oktober 2023 tritt Paula Lambert zum ersten Mal in der Schweiz auf – im OldCapitol in Langenthal BE.
Foto: zVg
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

Frau Lambert, Am Donnerstag treten Sie in Langenthal BE zum ersten Mal in der Schweiz auf. Eher sexy oder verklemmt: Welchen Ruf haben wir eigentlich bei euch Deutschen?
Paula Lambert: Wissen Sie was, ich kenne tatsächlich niemanden persönlich, der schon einmal Sex mit einer Schweizerin oder einem Schweizer hatte.

Das spricht nicht gerade für uns.
Stimmt (lacht). Aber in Deutschland sagt man, dass ihr etwas gemütlicher seid als wir. Ich stelle mir also vor, dass man mit euch intensivere Abenteuer erleben kann, dass ihr etwas mehr im Hier und Jetzt seid. Auf jeden Fall ist klar: Wer so ein schönes Dessert wie Vermicelles erfindet, kann einfach nicht schlecht im Bett sein.

Ihr Programm heisst «Sex Education», Aufklärungsunterricht. Die Zeiten sind vorbei, in denen man heimlich die «Bravo» gelesen hat, heute ist Sex nur ein Klick entfernt. Wissen wir nicht schon alles?
Klar, alle technischen Sachen kann man heute googeln. Was die Leute aber immer wissen wollen, egal ob bei Auftritten, in meinem Podcast oder der Paarberatung, ist die Theorie im persönlichen Kontext: Warum bin ich immer noch eifersüchtig? Wieso kommt mein Partner so schnell zum Orgasmus? Wieso habe ich in meiner Beziehung keinen Sex?

Also der psychologische Aspekt.
Genau. Die individuellen Lebenssituationen. Dabei geht es um die Fragen, die die Leute nicht mit ihren Freundinnen und Freunden besprechen können. Dabei wäre das so wichtig!

Damit ich das richtig verstehe: Diese intimen Fragen stellen die Leute dann Ihnen – in der Öffentlichkeit.
Interessanterweise fällt das vielen Menschen leichter, ja. Die neueste Folge meines Podcasts ist eine Liveaufnahme einer Veranstaltung. Vor 300 Menschen erzählt eine Frau, dass ihr Mann tagelang nicht mehr mit ihr spricht, wenn sie keinen Sex haben möchte. Statt Scham gibt ihr die Anwesenheit der Gruppe Kraft, über diesen psychischen Missbrauch zu sprechen. Das sind die Momente, in denen ich stolz bin auf meine Arbeit.

Die Sexpertin

Paula Lambert (49) ist in Deutschland Ansprechpartnerin Nummer eins, wenn es um Sex, Liebe und Beziehungen geht. Die Journalistin spricht seit 2011 in TV-Sendungen wie «Unter fremden Decken» oder «Paula kommt – Sex und gute Nacktgeschichten» über Sexualität und alles, was dazugehört. Sie hat mit «Paula Lieben Lernen» ihren eigenen Podcast, schreibt Bücher und geht mit ihren Programmen auf Tour. Ausserdem hat Lambert mit dem «Power Circle» eine Community geschaffen, die sich virtuell in Workshops und Q&As austauscht. Sie lebt mit ihrem Partner und zwei Söhnen in Berlin.

Paula Lambert (49) ist in Deutschland Ansprechpartnerin Nummer eins, wenn es um Sex, Liebe und Beziehungen geht. Die Journalistin spricht seit 2011 in TV-Sendungen wie «Unter fremden Decken» oder «Paula kommt – Sex und gute Nacktgeschichten» über Sexualität und alles, was dazugehört. Sie hat mit «Paula Lieben Lernen» ihren eigenen Podcast, schreibt Bücher und geht mit ihren Programmen auf Tour. Ausserdem hat Lambert mit dem «Power Circle» eine Community geschaffen, die sich virtuell in Workshops und Q&As austauscht. Sie lebt mit ihrem Partner und zwei Söhnen in Berlin.

Wieso fällt es uns so schwer, über Sex zu sprechen?
Wegen der Angst, verurteilt zu werden. Und weil es noch immer fast niemand tut und einem niemand sagt, wie gesund es wäre. Ausserdem fällt es uns generell sehr schwer, unsere Bedürfnisse und Gefühle zu äussern – weil das die meisten nie richtig gelernt haben. Dabei bräuchte es nur etwas Übung.

Und dann wird es einfacher?
Ja. Es ist total erleichternd.

Sie sagten einmal, Sex zeige uns unsere persönlichen Baustellen auf.
Definitiv. Sex ist ja nicht nur Sex. Er zeigt uns einerseits, wie wir uns mit uns selbst fühlen, und andererseits, wie wir uns durch einen anderen Menschen fühlen möchten. Er zeigt uns, ob wir zu viel arbeiten und gestresst sind und deshalb nicht abschalten können. Sex ist eine Orientierung, wo man gerade steht. Ein Verschmelzen, ein Kontakt miteinander, sich aufeinander einlassen. Das sind wichtige Prozesse.

Wir leben in einer Zeit der Selbstoptimierung. Wieso entwickeln wir uns überall weiter, lassen unseren Sex aber oft so, wie er halt ist?
Gute Frage. Weil man sich dafür total hinterfragen und sich bewusst dafür entscheiden müsste, daran zu arbeiten. Sex macht uns verletzlich. Deshalb ist es für viele Leute eine dermassen gruselige Vorstellung, Neues auszuprobieren, dass sie lieber alles so lassen, wie es ist. Selbst dann, wenn die Partnerschaft leidet.

Passiert das oft?
In fast allen Beziehungen einmal: zu wenig, zu viel, zu langweilig. Bei den meisten Leuten gibt es einen gigantischen Kontrast zwischen dem, was sie glauben, beim Sex tun zu müssen, und dem, was sie tatsächlich geniessen würden.

Wie finden wir heraus, was uns wirklich anturnt?
Indem wir wegkommen von dem, was wir halt schon immer tun. In den meisten Fällen ist das: Penetration und das wars. Besonders für Frauen ist sie allein nicht wirklich befriedigend. Was darin resultiert, dass viele von ihnen Sexualität irgendwann als Dienstleistung gegenüber dem Mann verstehen.

Und wie ist es für die Männer?
Sie glauben irgendwann, dass Frauen sowieso keine Lust mehr auf Sex haben, nachdem sie für eine gewisse Zeit in einer Beziehung sind.

Ganz konkret: Was können wir dagegen tun?
Sexuelle Vorlieben sind extrem individuell, deshalb gibt es kein «Geheimrezept». Generell geht es jedoch darum, in einen Modus der Neugierde und des Ausprobierens zu finden. Die eigene Sexualität weiterzuentwickeln und immer wieder zur Priorität zu machen. Es ist krass, für wie viele Paare es normal ist, keinen Sex mehr zu haben, weil sie halt schon so lange zusammen sind.

Gelangt man irgendwann an den Punkt, an dem man nicht mehr an sich arbeiten muss? Oder ist das ein konstanter Prozess?
Das Leben ist doch immer ein Prozess. Ich persönlich bin dann mit mir zufrieden, wenn ich zurückschaue und merke, dass es vorangeht. Wenn ich meine früheren Handlungen nicht mehr nachvollziehen kann, bin ich auf einem guten Weg.

Sie wohnen in Berlin. Was hat die Adresse mit der Sexualität zu tun?
Hier in Berlin herrscht eine so grosse sexuelle Freiheit, dass man fast keine andere Wahl hat, als sich mit der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen – und sie zu erforschen. Auf dem Land ist das schwieriger, da redet schnell die ganze Nachbarschaft.

Immer über Sex reden – gibt es nicht auch ein zu viel des Guten?
Meiner Meinung nach nicht. Je mehr man darüber spricht, desto eher sind die Leute auch in der Lage, sich zu überlegen: Was will ich eigentlich? Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Ist das, was ich lebe, auch das, worauf ich Lust habe? Dann braucht es nur noch das Selbstvertrauen, zu sagen: «Let’s go», das will ich ausprobieren. Nur durch das Reden merken die Leute, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind.

Was ist Ihrer Meinung nach das grösste Missverständnis über Sex oder Beziehungen?
Dass man sich nicht so zeigen darf, wie man ist. Gibt man zum Beispiel am Anfang der Beziehung vor, ein totales Betthäschen zu sein, obwohl das nicht stimmt, wird man mit der Zeit garantiert unglücklich. Auch wenn es etwas Mut erfordert: Nur wer von Anfang an ehrlich ist, lockt die Leute an, die wirklich zu einem passen.

Gibt es weitere Missverständnisse?
Dass man eine Checkliste abhaken muss, um guten Sex haben zu dürfen: jung sein, eine bestimmte Figur und einen bestimmten Lifestyle haben. Dabei gibt es massenweise Senioren, die ein deutlich besseres Sexleben haben als Zwanzigjährige.

Das sind gute Aussichten!
Ja, doch um das zu erreichen, muss man an sich arbeiten und darüber reden. Besonders Männern fällt das wirklich schwer, weil sie es nie gelernt haben.

Aber die heutige Jugend ist da doch schon viel besser aufgestellt, oder?
Zum Glück, ja. Aber es gibt ja auch die Gegenbewegung: Frauenhasser Andrew Tate zum Beispiel, der die Angst seiner Follower schürt, dass die dringend benötigte Entwicklung der Frauen ihnen «etwas wegnimmt». Das ist ein gefährlicher Rückschritt für alle.

Sie sprechen seit rund zwölf Jahren öffentlich über Sex. Wieso werden Frauen nach wie vor oft abgewertet, sobald Sexualität im Spiel ist?
Nur dumme Menschen sagen: So eine Schlampe. Aber auch sie werden noch lernen, dass das nicht stimmt. Ich persönlich ermutige jede Frau, sich sexuell frei auszutoben. Natürlich immer mit Blick darauf, was sich emotional gut anfühlt.

Sie haben zwei Kinder. Wie spricht man am besten mit ihnen über Sexualität?
Mir war es sehr wichtig, ihnen von Anfang an die Grenzen des eigenen Körpers beizubringen: Niemand darf sie anfassen, wenn sie das nicht möchten. Bei Sexualität geht es darum, dass Menschen sich miteinander wohlfühlen.

Heute sind Ihre Söhne 16 und 19 Jahre alt. Wie offen geht Ihre Familie mit Sex um?
Ich habe ihnen gegenüber nie verschwiegen, dass ich ein sexueller Mensch bin. Viele Kinder denken ja, dass ihre Eltern untenrum aussehen wie Ken und Barbie – dass da nichts ist und nichts passiert. Ich habe es natürlich nie vor ihnen ausgelebt, aber sie wussten schon, dass ich einen Körper und einen Partner habe. Bringt man seinen Kindern bei, dass Sex schambehaftet ist, übernehmen sie diese Scham. Das kann fatale Auswirkungen haben.

Inwiefern?
Erstens ist es für sie viel schwieriger, sich sexuell zu entwickeln. Zweitens trauen sie sich nicht, zu erzählen, wenn etwas Unangenehmes passiert ist. Ob Übergriffe oder auch, wenn sie jemanden schwängern. Ich finde es das Schlimmste, wenn ein Kind das Gefühl hat, dass es einem nicht vollumfänglich vertrauen kann. Meine Kinder teilen viel mit mir, ich darf manchmal sogar ihre Ratgeberin sein. Das macht mich stolz, denn es ist ein Zeichen, dass sie mir vertrauen.

Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen?
Bitte.

Was war der beste und der schlechteste Sex, den Sie jemals hatten?
Den besten habe ich ganz klar mit meinem Partner. Und das sage ich nicht nur, weil er gerade neben mir sitzt (lacht). Noch nie habe ich mich so frei gefühlt, vor allem emotional. Beim schlechtesten Sex kann ich mich sogar noch an das Jahr erinnern.

Sogar! Dann wars ja wirklich schlecht.
Und wie, das war 1993 mit einem wunderschönen Franzosen namens François. Er kam nach etwa sechs Sekunden und sagte: «C’est ça pour moi.» – «Das wars für mich.» Da war ich doch sehr konsterniert: Dieser komplette Unwille, mit dem Menschen Kontakt aufzunehmen, in dem man gerade drin steckt. Mit meinem heutigen Wissen hätte ich François vom Hof gejagt für die Nummer, die er abgezogen hat.

Aber wie Sie vorhin sagten – wenn man seine früheren Handlungen nicht mehr verstehen kann, ist man auf einem guten Weg.
Stimmt. Damals habe ich die Lektion gelernt, dass man sich nicht von Äusserlichkeiten blenden lassen sollte. François musste sich nie anstrengen, dem sind die Mädels nur so zugeflogen. Statt ihm die Meinung zu sagen, dachte ich damals: Wow, ich habe tatsächlich mit ihm geschlafen! Wenn auch nur für sechs Sekunden. Aber das weiss ja niemand.

Ausser jetzt mir. Und der gesamten Blick-Leserschaft.
Ja, schön! Grüsse gehen auch nach Südfrankreich.

Aber wer weiss, vielleicht hat auch der schöne François inzwischen dazugelernt. Wenn ich etwas aus unserem Gespräch mitgenommen habe, dann, dass es für alle Hoffnung gibt.
Die gibt es wirklich. Und wer noch immer daran zweifelt: Ich habe meinen Traummann, mit dem ich den besten Sex meines Lebens habe, erst mit 48 Jahren kennengelernt.

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