Noé (15) erzählt von Missgeschick auf dem Segelschiff
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«Die Karte war falsch»:Noé (15) erzählt von Missgeschick auf dem Segelschiff

Sechs Schwangerschaften auf hoher See
Schweizer Familie lebt seit 25 Jahren auf Boot

Eine Schweizer Familie hat mit ihren sechs Kindern ihr Daheim auf einem Segelboot gefunden. Für ihr Umweltprojekt sind die Schwörers seit 25 Jahren in den Weiten des Meeres unterwegs. Jetzt kommt ihr Leben ins Kino.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Aktualisiert: vor 5 Minuten
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Das 15-Meter-Boot «Pachamama» ist das Daheim der Familie Schwörer.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Darum gehts

  • Familie Schwörer lebt seit 25 Jahren auf einem Segelboot
  • Kinder wachsen auf See auf, lernen Verantwortung und Teamarbeit
  • 59 Tage ohne Landsicht und 9 Monate ohne Supermarkt unterwegs
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Auf 20 Quadratmeter Wohnraum inmitten des Ozeans sechs Kinder grossziehen: Was für viele beengt oder gar gefährlich klingt, bedeutet für die Schwörers Freiheit und Geborgenheit. «Unsere Wände sind nicht das Schiff, sondern der Horizont. Das Dach ist der Himmel», sagt Dario Schwörer (56). Der Bergführer stach vor 25 Jahren mit seiner Frau Sabine (49) in See, um mit der Expedition TOPtoTOP (siehe Box) die nächste Generation für den Klimaschutz zu begeistern. Die Schweizer Regisseurin Livia Vonaesch (39) hat die Familie während sieben Jahren immer wieder mit der Kamera begleitet: Jetzt kommt der Dok-Film «Home is the Ocean» in die Schweizer Kinos.

Die Kinder übernehmen früh Verantwortung: Mia.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Beim Treffen mit der Segelfamilie in Engelberg OW zum Anlass des Filmstarts sind alle auf Touren-Ski unterwegs, fürs Interview legt die Familie eine Pause auf einem Älpli ein. Das halbe Leben auf dem Segelschiff mit Familie, so war es nicht geplant. Dario erzählt: «Eigentlich wollten wir innerhalb von vier Jahren durch alle Klimazonen und auf jedem Kontinent auf den höchsten Gipfel, wir schafften es aber infolge vieler Schulvorträge innert drei Jahren nur knapp über den Atlantik.»

Einmal um die Welt für den Klimaschutz

Als Bergführer hat Dario Schwörer erlebt, wie sich die fragile Umwelt rapide verschlechterte. Vor 25 Jahren gründete er mit seiner Frau Sabine gemeinsam mit Freunden den Verein TOPtoTOP, um junge Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren. Inzwischen hat die achtköpfige Familie mit über 132'000 Seemeilen den blauen Planeten umrundet, dabei hat sie mehr als 175'000 Schülerinnen in mehr als 100 Ländern besucht und 85'000 kg Plastik gesammelt. Sie teilen Erfahrungen mit der Schönheit und Widerstandsfähigkeit der Natur, berichten über positive Innovationen und inspirieren zu praktischen Aktionen, um einen gesunden Planeten zu erhalten.

Die Familie Schwörer engagiert sich für den Klimaschutz.
Kim Niederhauser

Als Bergführer hat Dario Schwörer erlebt, wie sich die fragile Umwelt rapide verschlechterte. Vor 25 Jahren gründete er mit seiner Frau Sabine gemeinsam mit Freunden den Verein TOPtoTOP, um junge Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren. Inzwischen hat die achtköpfige Familie mit über 132'000 Seemeilen den blauen Planeten umrundet, dabei hat sie mehr als 175'000 Schülerinnen in mehr als 100 Ländern besucht und 85'000 kg Plastik gesammelt. Sie teilen Erfahrungen mit der Schönheit und Widerstandsfähigkeit der Natur, berichten über positive Innovationen und inspirieren zu praktischen Aktionen, um einen gesunden Planeten zu erhalten.

Sechs Kinder auf dem Ozean daheim

Anstatt sich für die Expedition oder Kinder zu entscheiden, machten die Schwörers beides. «Es war anfangs nicht leicht, Sabine zu überzeugen», erinnert sich Dario. Zwar sei seine Frau begeisterte Seglerin und Berggängerin, aber: «Sie spielt auch gerne Klavier. Also musste ich ihr versprechen, dass ich in jedem Hafen eines für sie organisiere.» Sei es in einem Kloster oder bei Privaten. Dario: «So haben wir überall auf der Welt Freundschaften geschlossen. Das ist unser grosser Schatz.»

Dario Schwörer hat vor der Geburt des dritten Kindes einen Hebammen-Kurs gemacht.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Ein Klavier hat an Bord des 15-Meter-Segelschiffs keinen Platz, aber ein paar kleinere Instrumente sind mit dabei. Schliesslich spielt sich das ganze Familienleben auf kleinstem Raum ab, vom Homeschooling bis zur Weihnachtsfeier. Die Auswanderer verbringen mehrere Monate im Jahr auf dem Meer, ankern in einem Hafen oder schlafen in ihrem Zelt. Unterwegs sind sie mit der Kraft des Windes beim Segeln, an Land ist die sport- und naturbegeisterte Familie zu Fuss, mit dem Velo und auf Skiern unterwegs. Zwischendurch arbeiten die Eltern an Land, er als Bergführer und sie als Krankenschwester. Als Klimatologe sammelt Dario in den entlegensten Orten der Welt Proben für Universitäten.

Viel Platz gibt es auf dem 15-Meter-Boot nicht.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Neun Monate ohne Supermarkt

59 Tage war die Familie schon einmal ohne Landsicht unterwegs und neun Monate ohne einen Supermarkt. «Damit stossen wir auch auf Unverständnis», sagt Dario. «Wir leben in einer anderen Welt, in der man nicht innert 20 Minuten beim nächsten Arzt ist.» Wie gehen die Schwörers damit um? Schliesslich war Sabine auf dem Boot sechsmal schwanger. «Dario hat vor der Geburt des dritten Kindes einen Hebammen-Kurs gemacht», sagt Sabine. Schwörers müssen sich selbst helfen können – und funktionieren als eingespieltes Team.

Während einer Passage über das offene Meer, die je nach Route zwei bis vier Wochen dauern kann, geht die ganze Crew in einen komplett anderen Schlaf- und Wachrhythmus: Zwei Stunden lang hält man Ausschau, steuert das Boot, kontrolliert Segel und Wetterbedingungen. Danach gibt es sechs Stunden Schlaf, bevor die nächste Schicht beginnt. «In dieser Zeit wachsen wir alle noch mehr zusammen», sagt Sabine. «Es ist eine Art kollektives Unterbewusstsein, wir wissen, dass wir gut auf uns achtgeben und besonders aufmerksam sein müssen.»

Sabine Schwörer hat auf dem Segelschiff sechs Kinder grossgezogen.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Es braucht Gottvertrauen

Und die Schwörers haben Gottvertrauen – im wahrsten Sinne. «Damit sind wir beide aufgewachsen», sagt Dario. «Ich könnte in heiklen Situationen wohl nicht so ruhig bleiben, ohne die Zuversicht, dass eine höhere Kraft über uns wacht», sagt Dario. Wer sich in die mächtigen Wellen des Ozeans hinein gibt, legt sein Leben ein Stück weit in grössere Hände. Das bedeutet nicht, dass sich die Eltern blind ins Abenteuer stürzen: «Wir suchen nicht das Adrenalin, im Gegenteil, wir schätzen die Risiken gründlich ab, haben einen Plan B und Respekt vor der Natur.» Tatsächlich fühlt sich die Familie inmitten des Ozeans sicherer als in einer Stadt. «Die Natur ist ein fairer Gegner, man kann die Zeichen eines Sturms rechtzeitig lesen lernen», sagt Dario. «Und unsere Kinder bemerken das oft schneller als wir, dafür haben sie einen Instinkt entwickelt.»

Dass alle sechs vom Babybauch direkt im Schiffbauch aufgewachsen sind, merkt man ihrem Körpergefühl an. Zum Unterricht an Bord gehören auch Sport und Musik. Zudem wird die Familie etappenweise von Expeditionsteilnehmern begleitet, darunter sind oft Lehrerinnen. Was erstaunt: Auf hoher See wollen die Kinder jeden Tag Schule machen und lernen – egal, ob es Sonntag, ein Geburtstag oder Weihnachten ist.

Eltern leben mit sechs Kindern auf dem Ozean
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Trailer zum Dok-Film:Eltern leben mit sechs Kindern auf dem Ozean

Alle Kinder arbeiten mit

Alle arbeiten mit: Das Boot wird mit Vorräten gefüllt.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Zugleich hat jeder und jede an Bord seine Aufgaben. Eine Filmszene zeigt die älteste Tochter Salina (19) als sie Wache hält. Der Blick der damals 13-Jährigen ist von einer Ruhe und mit solcher Klarheit auf den Horizont gerichtet, dass sie um vieles älter wirkt. Wird man als Kind in einer solchen Umgebung schneller erwachsen, vielleicht zu schnell? So die Frage in die Runde der Kinder beim Treffen in Engelberg. Noé (15) meldet sich: «Wir wurden da ja langsam herangeführt. Ein Jahr lang sind Mami und Papi bei der Wache dabei, dann ein älteres Geschwister. Man kann sie innert Sekunden wecken, wenn etwas ist.» Die Gefahren bei der Querung: Eine Kollision mit einem Container, der von einem Frachter gefallen ist oder ein schlafender Wal. Manchmal, wenn Noé einen Funkspruch zu einem anderen Schiff absendet, wird er wegen seiner Kinderstimme nicht ernst genommen. «Dann muss Papi nochmals ans Gerät.» Inzwischen ist Noé im Stimmbruch.

Eine ihrer grössten Krise erlebt die Familie im Jahr 2017. In einem heftigen Sturm lösen sich die Taue ihres Bootes im Hafen, als sie in Island überwintern. Die Familie erleidet Schiffbruch. Die Rettung kommt in den Medien, in den Leserkommentaren werden die Eltern teils heftig kritisiert. Das Boot ist schwer beschädigt, weil es im Hafen an Mauern aufschlägt. Die Familie bleibt unverletzt. Das geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Es ist eine Phase, in der nicht klar ist, ob und wie es weitergehen soll. Die älteste Tochter Salina wird zum Teenager und will die Matura machen, um Walforscherin zu werden. Eine weitere Herausforderung: Als Auslandschweizer können die Kinder der Schwörers in der Schweiz nicht mehr umsonst zur Schule.

Die Kinder wachsen auf engem Raum auf, aber sehen dabei die ganze Welt.
Foto: LIvia Vonaesch / zVg

Eine brutal schöne Zeit

Schliesslich nimmt die Familie mit der reparierten «Pachamama» («Mutter Erde» in der Sprache der Inkas) wieder Fahrt auf. Den Wunsch ihrer heranwachsenden Tochter Salina, das Gymnasium in der Schweiz zu machen, nehmen die Eltern ernst und suchen nach Möglichkeiten. Über die Zeit auf dem Boot sagt die 19-Jährige: «Das ist wie ein riesiger Schatz, den ich für immer bei mir habe. Davon möchte auf jeden Fall etwas weitergeben in meinem Leben.» Ihr Bruder Andri sagt es so: «Was wir alles erlebt haben, das war einfach brutal schön.»

Während des Gesprächs auf der Alp in Engelberg klettert der jüngste Sohn Vital aufs Dach eines Chalets. Erst spielt der Siebenjährige, legt sich entspannt in die Sonne und springt dann ganz selbstverständlich die zwei Meter in einen Schneehaufen runter, um sich wieder an seinen Papi zu schmiegen. Die körperliche und emotionale Nähe innerhalb der Familie ist spürbar und im Dok-Film auch sichtbar. Trotz der Enge an Bord scheint es kaum Streit zu geben. Ist das in Realität wirklich so? «Klar gibt es mal ein Gstürm und Momente, in denen ich die Kinder auf den Mond schiessen könnte», sagt Sabine und lacht. «Ich kann sie aber nur bis vorne zum Anker schicken.» Das ist so quasi der einzige «private» Platz an Bord.

Die Familie macht jeden Abend Frieden

Je tiefer man im Dok-Film in den Kosmos der Schwörers eintaucht, desto deutlicher werden die Herausforderungen dieses Lebensstils auf dem Wasser. Intime Szenen zeigen die Nuancen des Expeditions-Alltages, ohne zu entblössen. Klar wird, dass auf hoher See Verlässlichkeit und Zusammenhalt essenziell sind. «Wenn es einen Notfall gibt, müssen alle am gleichen Strick ziehen, da bleibt keine Zeit für Konflikte», sagt Dario. Darum gibt es laut Sabine eine wichtige Regel in der Familie: «Jeden Abend vor dem Schlafen machen wir Frieden miteinander.»

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