Vergewaltigung ist ein Gewaltdelikt mit tiefer Verurteilungsrate: Zwischen 2010 und 2021 wurden von 100 der Vergewaltigung beschuldigten Personen durchschnittlich 22,8 wegen Vergewaltigung verurteilt. «Bei anderen Gewaltdelikten ist die Verurteilungsrate mehr als doppelt so hoch», sagt Dirk Baier (47), Kriminologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Das bedeute aber nicht, dass die anderen 77,2 Personen freigesprochen wurden. Eine Verurteilung könne auch zum Beispiel für sexuelle Nötigung erfolgen, sagt er. Entsprechende Statistiken fehlen.
Jedes Jahr mehr Anzeigen
Anzeigen wegen Vergewaltigung gibt es in der Schweiz seit 2016 jedes Jahr mehr. 867 waren es 2022. Die Zahl der Verurteilten bleibt aber stabil. «Dass die Beschuldigtenzahlen steigen, ist primär ein Resultat einer ansteigenden Anzeigebereitschaft. Allerdings scheinen dabei Fälle mit klarer Beweislage nicht im selben Mass zuzunehmen, ansonsten hätten wir auch steigende Verurteiltenzahlen», sagt der Kriminologe.
Sexuelle Gewalt ist in der Schweiz verboten, kann aber jede Person treffen. Wenn du einen sexuellen Übergriff erlebt hast, rät die Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz zu folgenden Schritten:
1Sprich mit einer Person, der du vertraust.
2Kontaktiere eine Beratungsstelle der Opferhilfe. Hier bekommst du Informationen zu deinen Rechten, Adressen für psychologische Unterstützung, hier wirst du aufgeklärt über Vor- und Nachteile einer Anzeige bei der Polizei.
3Suche am besten innert 48 Stunden ein Spital, eine Ärztin, einen Arzt auf – auch wenn du nicht verletzt bist.
4Lass dich dort untersuchen und Spuren sichern. Du bekommst Medikamente und erste psychologische Hilfe.
5Um eine Anzeige zu machen, gehst du direkt zur Polizei oder informierst dich zuerst bei einer Beratungsstelle für Opferhilfe.
Sexuelle Gewalt ist in der Schweiz verboten, kann aber jede Person treffen. Wenn du einen sexuellen Übergriff erlebt hast, rät die Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz zu folgenden Schritten:
1Sprich mit einer Person, der du vertraust.
2Kontaktiere eine Beratungsstelle der Opferhilfe. Hier bekommst du Informationen zu deinen Rechten, Adressen für psychologische Unterstützung, hier wirst du aufgeklärt über Vor- und Nachteile einer Anzeige bei der Polizei.
3Suche am besten innert 48 Stunden ein Spital, eine Ärztin, einen Arzt auf – auch wenn du nicht verletzt bist.
4Lass dich dort untersuchen und Spuren sichern. Du bekommst Medikamente und erste psychologische Hilfe.
5Um eine Anzeige zu machen, gehst du direkt zur Polizei oder informierst dich zuerst bei einer Beratungsstelle für Opferhilfe.
Bei der Vergewaltigung handelt es sich um ein Delikt, in dem die Beweisführung schwieriger ist als bei vielen anderen Delikten. Zwar sorgen Gruppenvergewaltigungen wie jüngst im italienischen Palermo oder auf Mallorca für Schlagzeilen. Doch in den meisten Fällen sind bei der Tat nur zwei Personen anwesend; ihre Aussagen zum Tathergang widersprechen sich häufig, und auch Videoaufnahmen wie in Palermo und auf Mallorca gibt es in der Regel keine. Dirk Baier rät Vergewaltigungsopfern, sich möglichst schnell medizinisch untersuchen zu lassen und dabei Spuren zu sichern – um Beweismittel vor Gericht zu haben.
Anzeigen versanden
Allerdings kommt es selten zu einer Gerichtsverhandlung: Wie Miriam Suter (34) und Natalia Widla (30) in ihrem Buch «Hast du Nein gesagt?» schreiben, das im Frühling 2023 erschienen ist, bleiben viele Fälle bereits bei der Staatsanwaltschaft hängen. Das könne daran liegen, dass der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin die Beweislage als nicht stark genug einschätzt und dem Opfer die Strapazen einer Gerichtsverhandlung nicht zumuten will, wenn die Aussicht auf Erfolg zu gering ist.
Oder das Opfer selbst zieht sich zurück: «Frauen erzählten uns, dass sie schlichtweg nicht die emotionale Energie und finanziellen Ressourcen hatten, um den ganzen Prozess durchzustehen», sagt Miriam Suter. Auch Drohungen der Täter können eine Rolle spielen: «Ein Beschuldigter drohte der Betroffenen, sodass sie Angst vor ihm hatte und die Anzeige zurückzog», sagt Miriam Suter.
Schamgefühl hält von Anzeige ab
Die allermeisten erlittenen Vergewaltigungen aber werden gar nicht erst angezeigt. Das hat eine Studie zur sexuellen Gewalt in der Schweiz vom Forschungsinstitut GFS Bern aus dem Jahr 2019 deutlich gemacht. Rund die Hälfte der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen spricht mit gar niemandem über das Erlebte. Opfer, die sich jemandem anvertrauen, tun das meist im unmittelbar vertrauten Umfeld. Elf Prozent derjenigen, die über die Gewalttat sprechen, wenden sich an eine Beratungsstelle. Nur acht Prozent erstatten Strafanzeige. Die Folge: Es gibt eine hohe Dunkelziffer von Vergewaltigungen.
Die wichtigsten Gründe, dass sich Opfer nicht an die Polizei wenden, sind Schamgefühle, die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie später vor Gericht keine Chance haben. «Betroffenen von sexualisierter Gewalt gibt man heute eher das Gefühl, dass sie lügen, als dass man ihnen glaubt. Das muss sich ändern», sagt Autorin Miriam Suter.