«Neue Roboter finden sich selber zurecht»
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Roboter-Professor erklärt:«Neue Roboter finden sich selber zurecht»

Robotik-Professor Roland Siegwart über die nächste Generation Roboter
«Roboter haben sehr grobe Hände»

Sind Roboter die neuen Hammer? Ja, sagt Roland Siegwart (63), der Roboter als neue Generation von Werkzeugen sieht. Ein Gespräch mit dem ETH-Professor über Roboter am Operationstisch, autonome Autos und gute und böse Drohnen.
Publiziert: 06.03.2023 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2023 um 15:52 Uhr
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Roland Siegwart mit einer omnidirektionalen Drohne: Sie kann dank Rotationen der Propeller in alle Richtungen fliegen. Mit dem Metalldetektor könnte sie Minen im Feld aufspüren.
Foto: Philippe Rossier

Herr Siegwart, in Ihrem Institut wird an verschiedensten Robotern gearbeitet. Gibt es einen gemeinsamen Nenner?
Roland Siegwart: Unser Fokus liegt bei mobilen Robotern, die rollen oder fliegen. Sie gehören zur nächsten Generation Roboter: Sie können in der Umgebung aktiv intervenieren, zum Beispiel eine Türe öffnen. Sie haben mit komplexen Umgebungen zu tun und können auf Situationen reagieren, die nicht vorhersehbar sind. Unser Steckenpferd sind Drohnen, die nicht einfach von A nach B fliegen, sondern eine Wand anfliegen, dort Messungen machen, Bohrungen vornehmen.

Steuert jemand eine solche Drohne oder führt sie einen Auftrag selbständig aus?
Das Ziel ist, dass die Roboter autonom handeln. Ich bin aber überzeugt, dass der Mensch in den meisten Fällen im Loop drinbleibt. In Bezug auf übergreifende Entscheidungen sind Menschen viel besser als Roboter – und wir werden es noch lange sein.

«Mister Robotik»

Roland Siegwart (63) leitet am Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich das Autonomous Systems Lab. Der gebürtige Schwyzer und dreifache Vater ist Gründer und Mitgründer erfolgreicher Start-up-Firmen, Mitglied verschiedener Verwaltungsräte sowie Präsident von Gebert Rüf, einer Stiftung, die bei Ringier den Wissenspodcast «Durchblick» unterstützt.

Roland Siegwart (63) leitet am Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich das Autonomous Systems Lab. Der gebürtige Schwyzer und dreifache Vater ist Gründer und Mitgründer erfolgreicher Start-up-Firmen, Mitglied verschiedener Verwaltungsräte sowie Präsident von Gebert Rüf, einer Stiftung, die bei Ringier den Wissenspodcast «Durchblick» unterstützt.

Worin ist der Roboter besser?
Der Roboter kann bei präzisen Interaktionen besser sein als der Mensch. Zum Beispiel ein Industrieroboter beim Setzen von Schweisspunkten.

Und wo stösst er an Grenzen?
Auf lange Sicht das Schwierigste für die Robotik sind taktile Interaktionen. Roboter haben sehr grobe Hände.

Setzt dieses Handicap Robotern zum Beispiel im Bereich der Medizin Grenzen?
Roboter kommen beispielsweise bei Hüftoperationen zum Einsatz: Sie können viel präziser bohren. Aber ein Roboter ist überfordert damit, Haut und Muskeln zu durchschneiden. Dazu braucht es die Taktilität unserer Hände.

Dieser mobile Roboter mit einem Roboterarm kann selbständig, ohne dass er die Umgebung kennt, zum Beispiel nach einer Katastrophe in einem Industriegebäude, ein Ventil schliessen. Siegwart hofft, dass solche Roboter bald industriell umgesetzt werden können.
Foto: Philippe Rossier

Roboter und Mensch kombinieren also ihre Stärken.
Es wird immer ein Zusammenspiel sein. Roboter sind einfach die nächste Generation Werkzeuge.

Sie betonen, dass der Roboter ein Werkzeug ist und den Menschen nicht ersetzt, weil viele ein Unbehagen verspüren: Noch ist nicht klar, wie solche Systeme unsere Arbeitswelt verändern.
Das verstehe ich. Arbeit ist etwas Zentrales im Leben. Da Robotik sehr komplex ist, werden diese Veränderungen Generationen brauchen. Nicht wie bei der Industrialisierung, als Textilmaschinen verfügbar wurden und innert kurzer Zeit Jobs im grossen Stil verloren gingen. Roboter kommen stufenweise. Wir setzen sie zum Beispiel ein beim Rasenmähen – daran stört sich niemand.

Als Sie studierten, arbeiteten Sie noch mit Lochkarten, heute ist Ihr Forschungsgebiet digitalisiert. Was sind die grössten Meilensteine in diesen Jahrzehnten?
Wir müssen zugestehen: Die Visionen in der Robotik waren vor 30 oder 40 Jahren fast dieselben. Was uns grosse Sprünge ermöglichte, sind Entwicklungen in verwandten Technologien. Ein Beispiel: Die Idee, dass man so fliegen könnte, wie es heute die Drohnen mit ihren vier oder sechs Rotoren tun, ist schon lange da. Aber man konnte sie nicht umsetzen, weil die Technologie nicht verfügbar war. Es braucht dafür gut ansteuerbare Motoren, Rechenleistung für kleine Systeme, Winkelsensoren. Als all dies verfügbar war, waren wir die Ersten, die so ein Fluggerät in der Luft hatten.

Sie haben die erste Drohne zum Fliegen gebracht?
Das war vor etwa 20 Jahren an meinem Institut an der EPFL in Lausanne. Die Grundidee war nicht neu, aber wir konnten als Erste zeigen, dass es geht.

An der EPFL brachte Roland Siegwart mit seinem Team die erste Drohne zum Fliegen.
Foto: Philippe Rossier

Es brauchte eine Generation, bis die Vision technologisch umsetzbar war.
Aktuell gibt es einen Hype um Deep-Learning-Systeme. Auch diese Grundidee ist relativ alt, wie man das machen könnte mit den neuronalen Netzen, die eine primitive Kopie der Funktionsweise unseres Gehirns sind. Aber man hatte die Rechenleistung dazu nicht. Das ist heute anders.

Ein Beispiel für Deep Learning sind die mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Chatroboter, die derzeit viele ausprobieren.
Genau. Ich habe eine skeptische Sichtweise darauf. Systeme wie ChatGPT analysieren extrem viele Daten, nur dann kreieren sie gute Resultate. Ein Mensch kann aus relativ wenig etwas kreieren.

Wie meinen Sie das?
Zeigt man einem Kind eine Zeichnung von einer Giraffe, bekommt es eine Vorstellung vom Tier. Im Zoo wird es dann die Giraffe erkennen, auch wenn diese anders aussieht als im Buch. Systeme, die über viele Daten lernen, schaffen das noch nicht.

Die jüngst präsentierten Chatbots stecken in unseren Computern und Smartphones drin. Werden diese auch in Roboter integriert?
Chatbots können in der Interaktion zwischen Mensch und Roboter nützlich sein. Ein Chatbot kann Wörter in Handlungsbefehle für den Roboter umwandeln.

Kann uns künstliche Intelligenz gefährlich werden?
Solange das Maschinen sind, also tote Materie ohne Drang, sich fortzupflanzen, ist die Gefahr nicht da, ausser, sie ist böse programmiert. Künstliche Intelligenz kann uns jedoch in gewissen Aufgaben überlegen werden. Wir werden aber gut damit umgehen können. Wie wir auch eingesehen haben, dass ein Computer schneller rechnen kann als der Mensch.

Direkt im Autonomous Systems Lab gibt es eine Zone, in der die neu entwickelten Drohnen getestet werden.
Foto: Philippe Rossier

Ihr Team forscht an neuartigen, nützlichen Einsatzmöglichkeiten für Drohnen. In den letzten Monaten aber wurden Drohnen für Luftangriffe in der Ukraine genutzt.
Das beschäftigt uns extrem. Alle Technologien können zum Guten und Schlechten genutzt werden. Bei uns gibt es keine Forschung in Richtung militärischer Einsatzmöglichkeiten. Mit dem Bundesamt für Rüstung Armasuisse arbeiten wir nur im Such- und Rettungsbereich zusammen. Mit Drohnen und anderen Robotern, die in zerstörte Häuser hineingehen, haben wir neue Möglichkeiten, Verschüttete zu finden. Sei dies in einem Krieg oder in der Türkei nach den Erdbeben. Es gibt auch andere Umgebungen, wo der Mensch nicht hingehen sollte.

Zum Beispiel?
Menschen, die 2000 Meter unter dem Boden in Minen arbeiten, haben eine viel kürzere Lebenserwartung. Diese Arbeit sollte ein Roboter machen.

Ist das Ihr Antrieb: Etwas zum Nutzen der Gesellschaft zu machen?
Darum bin ich Ingenieur geworden. Ich glaube, da kann man sehr viel beitragen mit neuen Robotersystemen. Es gibt nach wie vor viele Berufsgattungen, in denen der Mensch durch die Arbeit abgenutzt wird. In Zukunft wird man zum Beispiel auf den Baustellen mehr Roboter sehen.

Im Autonomous Systems Lab wird auch viel im Bereich Baurobotik geforscht. Denn auf Baustellen gibt es viele Arbeiten, die körperlich schädlich sind.
Foto: Philippe Rossier

Sie haben Roboter entwickelt, die bei der Räumung des ehemaligen Munitionslagers im bernischen Mitholz eingesetzt werden sollen.
Das Projekt hat bei mir gestartet, nun macht ein Kollege weiter. Das Start-up Gravis Robotics nutzt an der ETH entwickelte Technologie, um Bagger autonom zu bewegen. In Mitholz soll es in ein paar Jahren losgehen.

In der Fernsehserie «Knight Rider» in meiner Kindheit konnte das Auto K.I.T.T. denken, sprechen und selbst fahren. 40 Jahre später zeigt sich, dass diese Vision zu kühn war. Wo steht die Entwicklung der selbstfahrenden Autos?
Meine Prognose ist seit 15 Jahren konstant: Vollständig autonome Fahrzeuge werden im Alltag verfügbar sein, wenn ich mit 85 nicht mehr fahren darf und die Grosskinder besuchen will.

Also in gut 20 Jahren.
Autonomes Fahren auf gut strukturierten Strassen ist technisch seit einiger Zeit möglich und ja auch schon in Fahrzeugen integriert. In abgegrenzten Gebieten fahren Fahrzeuge heute schon vollständig autonom, zum Beispiel in Arizona in den USA, wo das Wetter immer schön ist. Es gibt aber noch kein autonomes Fahrzeug, das sich mit viel Schnee oder Regen zurechtfindet.

Sie sprechen technische Hürden an, es steht aber auch die Frage im Raum, ob das System ethisch richtig entscheiden kann.
Es wird immer wieder das gleiche Beispiel gebracht: Ein Fahrzeug müsse sich entscheiden, ob es bei einem Ausweichmanöver im Zweifelsfall eher in die alte Person oder in ein Kind fährt. Ich sage: Das ist eine Frage, die sich gar nicht stellt.

Wieso nicht?
Ziel muss sein, dass das Auto den nächsten Bewegungsschritt so wählt, dass das Risiko einer schwerwiegenden oder tödlichen Verletzung so tief wie möglich bleibt – egal, ob für jung oder alt. Das werden autonome Fahrzeuge viel besser können als wir Menschen. Ich behaupte: Wenn es so weit ist, wird in der Gesellschaft eine Diskussion darüber stattfinden, ob der Mensch noch ans Steuer darf. Denn die autonomen Fahrzeuge werden sicherer sein und weniger Unfälle auslösen als der Mensch.

Roland Siegwart in seinem Büro im Autonomous Systems Lab an der ETH Zürich. Hier wird an autonomen mobilen Robotern gearbeitet, die sich in verschiedenen Umgebungen zurechtfinden und verschiedene Interventionen ausführen können.
Foto: Philippe Rossier

Sie sind kein Akademiker im Elfenbeinturm, sondern streben danach, Technologien in Produkte zu überführen. Erklären Sie, wie Sie dies bei Wyss Zurich tun, einem Technologietransfer-Zentrum der ETH und der Uni Zürich, in dem Sie die Co-Leitung haben.
Als Forscher an der Hochschule kommen wir mit vielen neuen Ideen. Doch der Weg zum Produkt ist harzig und lang. Man muss viel machen, damit man überhaupt eine Firma gründen kann und Investoren findet. Wyss Zurich ist für den Bereich regenerative Medizin, Robotik und Bionics eine Möglichkeit der Finanzierung in dieser frühen Phase. Dasselbe hat die Gebert Rüf Stiftung zum Ziel.

Sie sind Präsident dieser Stiftung, die seit 25 Jahren mit Millionenbeiträgen Start-ups fördert. Was ist ihre Bedeutung für Pioniere in der Schweiz?
Die Stiftung hat geholfen, dass wir in der Schweiz heute eine vibrierende Start-up- und Unternehmerszene haben, speziell an Hochschulen. Ein Start-up braucht in der frühen Phase finanzielle Unterstützung in der Höhe von wenigen 100’000 Franken. Dazu ist fast niemand bereit, weil das Risiko so hoch ist. Das deckt die Gebert Rüf Stiftung ab.

Kann das eine Stiftung besser als der Staat?
Ich glaube schon, ja. Eine Stiftung kann dynamischer reagieren. Start-ups müssen reagieren können. Sie sind mitten im Schub drin. Sie reichen ein Projekt ein, wir schauen es an, sie pitchen – und am Tag danach wissen sie, ob ihr Projekt Finanzierung erhält oder nicht. Das Geld kann sofort genutzt werden.


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