Matthias Erb ist mehr als nur Pflanzen-Profi
«Wir ermöglichen, dass alle Menschen erfolgreich gärtnern können»

Er schlägt die Brücke von den Pflanzen zur Weltpolitik: Matthias Erb (42) ist Professor und Duftforscher an der Uni Bern. Ein Gespräch darüber, wie Pflanzen uns inspirieren, warum wir als Balkongärtner scheitern und was Technologie in der Natur zu suchen hat.
Publiziert: 15:01 Uhr
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Aktualisiert: 17:01 Uhr
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Matthias Erb erforscht als Professor für Biotische Interaktionen an der Universität Bern, wie Pflanzen mit ihrer Umwelt interagieren. Zudem hat Erb ein Start-up gegründet.
Foto: PD/Boum AG

Darum gehts

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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Die Frühlingstemperaturen zeigen: Die Gartensaison steht bevor. An der Gartenmesse Giardina, die am 12. März startet, holen sich Menschen Inspirationen – oder sie strömen direkt ins Gartencenter. 

Uns Menschen zieht es in den Garten, zu den Pflanzen. Warum eigentlich?
Matthias Erb: Bis zur Industrialisierung waren wir Menschen sehr nah an den Pflanzen. Sie haben uns geschützt, versteckt, uns Nahrung geliefert. Davon übrig geblieben ist das Bedürfnis, dieses Gefühl von Ruhe, Nähe, Sicherheit und Geborgenheit zu haben.

Und dieser Effekt tritt sogar auf einem begrünten Balkon ein?
Studien zeigen, dass ein paar Pflanzen ausreichen, um unser Stresslevel messbar zu senken. 

Sie sind als Bergbauernbub das Leben in der Natur gewohnt. Reicht auch Ihnen ein Blumentopf aus, um dieses Gefühl der Ruhe hervorzurufen?
Ich habe einen Balkon mit Nektarinenbäumen und lokalen Wildblumen in den Töpfen. Schaue ich einer Hummel zu, die um die Pflanzen schwirrt, habe ich das Gefühl, in der Natur zu sein. 

Haben Sie als Bauernsohn automatisch einen grünen Daumen?
Nein (lacht). Ich bin sogar trotz meiner Tätigkeit als Pflanzenwissenschaftler als Balkongärtner immer wieder gescheitert.

Woran liegt es?
Mein grüner Daumen ist dem modernen Leben, das mich auf Trab hält, zum Opfer gefallen. Mit Boum habe ich mir diesen zurückgegeben.

Boum ist Ihr Start-up; es ist ein Pflanzenpflege-System. Ist es frech zu sagen, das System ermögliche Gärtnern für Dummies?
Boum ermöglicht allen Menschen das erfolgreiche Gärtnern. Auch denen, die sich wenig auskennen mit Pflanzen und wenig Zeit haben. Das sind für mich keine Dummies, sondern einfach beschäftigte, moderne Menschen. 

Der Pflanzenversteher

Matthias Erb (42) ist einer der weltweit meistzitierten Forscher im Gebiet der Pflanzenwissenschaften. Mit 32 Jahren trat der Biologe seine Professur für Biotische Interaktionen an der Universität Bern an. 2021 gründete er Boum, ein Spin-off der Uni Bern. Das Unternehmen verbindet Technik und Ökologie, um den effizienten Anbau von Pflanzen auf versiegelten urbanen Flächen zu ermöglichen und ist an der Giardina (12.–16.3.) präsent. Erb wuchs auf einem Bio-Bergbauernhof oberhalb von Boltigen im Berner Oberland auf, den er vor 10 Jahren übernahm. Er wohnt mit seiner Familie in Bremgarten BE.

Matthias Erb (42) ist einer der weltweit meistzitierten Forscher im Gebiet der Pflanzenwissenschaften. Mit 32 Jahren trat der Biologe seine Professur für Biotische Interaktionen an der Universität Bern an. 2021 gründete er Boum, ein Spin-off der Uni Bern. Das Unternehmen verbindet Technik und Ökologie, um den effizienten Anbau von Pflanzen auf versiegelten urbanen Flächen zu ermöglichen und ist an der Giardina (12.–16.3.) präsent. Erb wuchs auf einem Bio-Bergbauernhof oberhalb von Boltigen im Berner Oberland auf, den er vor 10 Jahren übernahm. Er wohnt mit seiner Familie in Bremgarten BE.

Sie bringen Technologie in einen naturnahen Bereich hinein. Eine natürliche Verschränkung?
Ich bin überzeugt: Der einzige Weg, wie wir in Zukunft gut wirtschaften können, ist, wenn wir die Technik nutzen, um eine nachhaltige, mensch- und naturzentrierte Welt zu schaffen.

Hauptberuflich sind Sie Professor an der Uni Bern und in Lehre und Forschung tätig. Es heisst, Sie hören den Pflanzen zu.
Es ist meine Aufgabe als Wissenschaftler, der Welt gut zuzuhören und gut zuzuschauen, um sie besser zu verstehen. In unserem Fall versuchen wir herauszufinden, wie das Immunsystem von Pflanzen funktioniert und wie sie Reize von aussen aufnehmen, um besser auf die Umwelt zu reagieren. 

Ein Beispiel?
Eine Pflanze, die von einem Schädling angefallen ist, verströmt einen Geruch. Die Nachbarpflanze reagiert auf diesen Geruch und aktiviert ihr eigenes Immunsystem. Wir schauen uns die Duftstoffe an, welche die Pflanze aufnimmt, untersuchen, wie es auf molekularer Ebene funktioniert. Haben Pflanzen eine Nase? Was sind das für Rezeptoren, die die Duftstoffe binden und das in ein Signal umsetzen? 

Die befallene Pflanze warnt ihre Nachbarin aber nicht zielgerichtet.
Dafür gibt es tatsächlich wenig Hinweise. Es ist eher die Pflanze, die den Duftstoff aufnimmt, die ein wenig spioniert. Wenn wir in Pflanzen soziale Wesen sehen, vermenschlichen wir sie. Doch sie sind nicht wie wir. Sie haben während 500 Millionen Jahren faszinierende Eigenheiten entwickelt. Das Geniale ist, dass Pflanzen so unabhängig von der Umwelt sind. Bremsen Sie mich ruhig … 

Nein, nur weiter!
Sie können aus Sonne, Licht und Wasser ihren eigenen Körper aufbauen, Früchte treiben und ihre Biomasse machen. Sie sind viel erfolgreicher als wir, die immer jemandem etwas wegnehmen müssen für das eigene Leben.

Schlagen Sie gerade eine Brücke zur Weltpolitik?
Es ist eine weite Brücke, aber als Inspiration kann man das schon nehmen. Pflanzen sind erfolgreicher als wir. Sie sorgen dafür, dass mehr für alle da ist, nicht nur für einen selbst. Pflanzen und erfolgreiche Menschen haben dies manchmal gemein. George Washington war ein Gärtner – und hat die Vereinigten Staaten von Amerika mitgegründet. 

Der aktuelle Bewohner des Weissen Hauses sollte also mal die Gartenschere in die Hand nehmen?
Ich kann Donald Trump das Gärtnern nur empfehlen. Man entwickelt einen anderen Zugang zur Welt. Geduld und Gelassenheit. Und die Erkenntnis, dass man nicht anderen etwas wegnehmen muss, um mehr zu haben. Ja, ich hoffe, dass der Rosengarten beim Weissen Haus in Zukunft sehr oft frequentiert wird. 

Zurück zu Ihrer Forschung: Welche konkreten Anwendungen ergibt diese?
Wir zeigen, wie man mehrere Pflanzenarten gleichzeitig miteinander anbauen kann. Minze produziert einen Duftstoff, der die Abwehr in der Kohlpflanze anregt. Das ist eine direkte Anwendung von dem Verständnis, dass die Duftstoffe eine verteidigende Wirkung haben. Das können Gärtner schon heute direkt anwenden. 

Ein weiteres Beispiel?
Wir wollen unsere Fähigkeit, das Wetter vorherzusagen, nutzen, um den Pflanzen einen Vorteil zu verschaffen. Vor einer Dürreperiode bringen wir im Feld einen Duftstoff aus, der die Trockenstress-Antwort der Pflanzen anschaltet. Sie wachsen weniger, schützen sich vor der Trockenheit. So können wir die Ernte auch bei Klima-Extremen schützen. 

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