Sie sind bekannt als urbane Gärtnerin. Doch im April sind Sie von Basel nach Mallorca ausgewandert und haben Ihren Stadtbalkon gegen ein drei Fussballfelder grosses Grundstück auf Mallorca getauscht. Warum?
Scarlet Allenspach: Auf acht Quadratmetern Balkon kann man gärtnern, aber beschränkt. Mein langgehegter Traum ist ein Platz, auf dem ich mich richtig austoben, experimentieren und Bäume pflanzen kann. Ich arbeite nach der Philosophie der Permakultur. Die Idee dahinter ist, ein eigenes Ökosystem zu gestalten, in dem sich die verschiedenen Pflanzen gegenseitig unterstützen. Anfangs ist das komplex und aufwendig, aber auf lange Sicht sollte es so funktionieren, dass es mich gar nicht mehr braucht. Diese Herausforderung hat mich gereizt.
Wieso auf Mallorca und nicht in der Schweiz?
Wegen des Klimas und der Kosten. Und einen Balkon kann man zügeln, mit Bäumen wird das schwieriger. Also musste es ein Ort sein, an dem ich mein Leben verbringen will. Ich liebe die Vegetation hier, das Meer und den Duft der Pinienwälder. In der Schweiz bekomme ich Heuschnupfen und bin auch noch allergisch auf Steinfrüchte.
Mallorca ist günstiger, aber sicher auch komplizierter.
So günstig nun auch wieder nicht und ja, die Beamtenmühlen laufen hier langsamer. Ich bin vor zehn Jahren das erste Mal für eine Hochzeit hergekommen und wusste, das ist mein Platz. Aber ich dachte, das bleibt ein Traum. Ich habe kein Vermögen oder Erbe in Aussicht.
Wie haben Sie es doch geschafft?
Mein Freund hat mich motiviert. Er hat mich daran erinnert, wie gut ich im Planen und Umsetzen bin. Also habe ich einen Businessplan gemacht, das war vor sechs Jahren. Ich habe mir aufgeschrieben: Was brauche ich, wie schaffe ich das und was kann ich jetzt schon tun?
Was war das?
Sparen als Erstes. Dann Spanisch und Auto fahren lernen, ein Grundstück suchen und mich über die Baubedingungen informieren. Für meine Firma Urbanroots in der Schweiz habe ich eine Geschäftsleiterin eingestellt.
Konnten Sie das Grundstück selbst finanzieren?
Ich habe alles zur Seite gelegt, was ich konnte. Aber ich wusste, dass ich ein Darlehen brauche.
Bekommt man das von der Bank?
Nein. Son Selva ist gestützt von Familie, Freunden und all jenen, die an dieses Projekt glauben. Es hat mich sehr berührt, wie viele Menschen mich unterstützt haben und mir ihr Geld anvertrauen. Das ist eine Wahnsinnserfahrung. Dazu kommen Spenden und Baumpatenschaften. Damit haben wir letztes Jahr bereits 50 Obstbäume pflanzen können und das Bewässerungssystem aufgebaut.
Die Zürcherin (36) hat ihre Liebe zur Natur schon in der Pfadi entdeckt. Sie studierte Industrial Design und war 2013 Mitgründerin des Start-ups Soeder GmbH für natürliche Seifen. 2018 hat sie mit Urbanroots in Basel ihr zweites Start-up ins Leben gerufen und führte für Blick mit der Rubrik «Im Beet mit» durch die Gartensaison. Vor anderthalb Jahren hat sie auf Mallorca das Permakulturprojekt Son Selva ins Leben gerufen und dokumentiert das Projekt auf Youtube. Seit Frühling 2024 lebt und arbeitet sie ganz auf der spanischen Insel.
Die Zürcherin (36) hat ihre Liebe zur Natur schon in der Pfadi entdeckt. Sie studierte Industrial Design und war 2013 Mitgründerin des Start-ups Soeder GmbH für natürliche Seifen. 2018 hat sie mit Urbanroots in Basel ihr zweites Start-up ins Leben gerufen und führte für Blick mit der Rubrik «Im Beet mit» durch die Gartensaison. Vor anderthalb Jahren hat sie auf Mallorca das Permakulturprojekt Son Selva ins Leben gerufen und dokumentiert das Projekt auf Youtube. Seit Frühling 2024 lebt und arbeitet sie ganz auf der spanischen Insel.
Wie haben Sie das Grundstück gefunden?
Übers Internet. Bis ich den Vertrag unterschreiben konnte, war es ein langer Weg. Und es war zunächst unsicher, ob ich darauf wirklich ein Haus bauen kann.
Warum?
Auf Mallorca haben sie inzwischen auch gemerkt, dass Massentourismus schadet, darum haben sie einen Landschaftsschutz mit strengen Auflagen. Man muss mindestens 14'200 Quadratmeter Fläche haben, damit man bauen darf. Weil mein Land aus zwei kleineren Parzellen bestand, musste man die zuerst zusammenfügen. Das war ein längeres Prozedere mit den Behörden. Den Vertrag fürs Grundstück habe ich vor anderthalb Jahren unterschrieben. Und inzwischen habe ich ein Baugesuch für ein Haus eingereicht.
Wo wohnen Sie jetzt?
In einer Wohnung in der Nähe. Manchmal campiere ich auch auf dem Grundstück. Ursprünglich war es eine Mandelplantage, sie wurde aber lange nicht mehr bewirtschaftet. Wir haben die Bäume zurückgeschnitten, vom Gestrüpp befreit und neue gepflanzt. Ein Teil ist Wald, der bleibt so bestehen. Gleich nebenan ist eine Kläranlage, darum war das Grundstück erschwinglich für mich.
Stinkt es?
Nein, ich habe es mir viel schlimmer vorgestellt. Es kommt auf die Windrichtung und das Wetter an, aber es kommt selten vor. Und die Anlage ist nicht lauter als ein Rasensprenger.
Wie kann man mit einem Permakulturgarten Geld verdienen?
Ein langfristiges Ziel sind Tagesworkshops vor Ort. Und ich habe mit Beratungen angefangen. Mein Grundstück dient als Vorzeigeprojekt und Ausgangspunkt für Bepflanzungsaufträge nach Permakultur. Wer sich auf der Insel ein Haus bauen will, muss ein grosses Stück Land mitkaufen. Viele sind mit diesem riesigen Stück Natur überfordert. Für sie mache ich Gartenplanung nach Permakultur. Was mir an dieser Idee gefällt, ist, dass ich damit eine viel grössere Fläche positiv beeinflussen und meinen Teil zur Regeneration der Insel beitragen kann.
Funktioniert das tatsächlich?
Wer seinen Boden nach diesen Prinzipien begrünt, macht die Erde fruchtbarer, es wird mehr Wasser gespeichert und fördert die Biodiversität. Je mehr Leute mitmachen, desto mehr kann man beeinflussen. Meine Überzeugung ist, dass man mit Ideen, die von unten nach oben entstehen, mehr bewirken kann, als wenn Vorschriften gemacht werden.
Aber sind das nicht nur ein paar Tropfen auf den heissen Stein? Ich habe eine Bekannte, die auch einen Permakultur-Garten hat, sich aber furchtbar aufregt, wenn die Bauern ringsum Gift spritzen.
Ich bin hier neu vor Ort und ich will bestimmt niemanden belehren oder reinreden. Rundum wird in der Regel nicht gespritzt, die meisten halten hier Schafe und haben Oliven- und Mandelbäume. Nebenan hat es zwei Bauern, die kommen ab und zu vorbei und schauen, was ich mache.
Und wie finden sie es?
Es sind zwei ältere Herren, sie sind neugierig. Anfangs haben sie mich ausgelacht, jetzt lachen sie etwas weniger. Der eine hat kürzlich zu mir gesagt, dass ich mehr Eier habe als die meisten Landwirte rundum. Ich zeige, was ich mache. Und im besten Fall gibt das einen Anreiz, etwas Neues auszuprobieren.
Ein drei Fussballfelder grosses Grundstück und dazu noch Beratungen. Wie stemmen Sie das alles?
Auf Mallorca sagt man «poc a poc», eines nach dem andern. Aber es gibt schon Dringendes, das arbeite ich mit meiner To-do-Liste ab. Das Schöne an der Natur ist, dass sie sowieso wächst.
Machen sie alles allein?
Ja. Ich beobachte viele ähnliche Projekte, die aus einem Kollektiv entstehen. Die scheitern meist an den Beziehungen untereinander und wegen Streitigkeiten ums Geld. Darum bin ich lieber allein der Chef und kann meine Vision durchziehen und muss nicht immer wieder darüber diskutieren. Ich habe viele, die freiwillig helfen oder das Projekt finanziell unterstützen, und das ist sehr willkommen.
Was ist Ihre Vision?
Ich möchte zeigen, was man aus einem Grundstück, das in einem miserablen Zustand ist, wo weder Wasser noch Strom noch sonst eine Infrastruktur vorhanden ist, machen kann. Ziel ist, daraus dank Permakultur ein essbares Paradies aufzubauen. Den ganzen Prozess dokumentiere ich auf Youtube, um möglichst viele Menschen zum Nachmachen zu motivieren.
Fühlen Sie sich nie einsam?
Nein. Sobald ich den Vertrag fürs Grundstück unterschrieben hatte, holte ich mir einen Hund aus dem Tierheim hier. Inzwischen sind zwei Katzen dazugekommen und vor kurzem ein Huhn und ein Güggel. Gestern habe ich das erste eigene Ei gegessen. Dazu kommt ein Bienenstock und ich will auch noch zwei Schweine aufnehmen.
Und was ist mit Menschen?
Ich komme sehr leicht in Kontakt und inzwischen spreche ich ganz gut Spanisch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich keinen Besuch habe. Ich vermisse die Tage, an denen ich allein war – da konnte ich noch oben ohne gärtnern.
Mehr zum Garten
Wann hat das eigentlich angefangen mit Ihrer Liebe zu den Pflanzen?
In der Primarschule. Wir hatten einen Schulgarten und ich erinnere mich, wie wir mit Kressesamen unseren Namen geschrieben haben. Als wir eine Woche später wieder im Garten waren und die Kresse spross, hat mich das unglaublich beeindruckt.
Warum?
Weil das einfach von selber funktionierte. Wie ein kleines Wunder. Und dann konnte man das auch noch essen, das hat mich fasziniert. Auch wie gross so eine Zucchetti werden kann, so, dass ich sie kaum noch tragen konnte. Mich interessiert es, Essbares anzupflanzen, das kann man auch auf einem kleinen Stadtbalkon.
Aus dieser Idee heraus haben Sie Urbanroots gegründet.
Ja, angefangen habe ich im Zürcher Kreis 4. Im Hinterhof fing ich mit meinem eigenen Kompost und Kartoffelbeet an. Alles, was ich übers Gärtnern weiss, habe ich mir selber beigebracht oder von Leuten mit Fachwissen beibringen lassen. Mir liegt das, ich gehe den Dingen gerne auf den Grund und will wissen, wie etwas von A bis Z funktioniert. Um es anderen Einsteigern leichter zu machen, habe ich meine Erfahrungen und Tipps auf Instagram geteilt. Daraus ist dann Urbanroots entstanden, mit Saatgut-Abos für die ganze Saison.
Damit haben Sie den Nerv der Zeit getroffen.
Wir haben mit 100 Abos angefangen und sind sukzessive gewachsen. In den heissen Sommern wird es einem in den Städten immer stärker bewusst, wie wichtig inmitten von so viel Beton jedes Pflänzchen ist. Je mehr ich andere motivieren kann, kleine Grünflächen zu schaffen, umso besser. Hinzu kommt: Der Kontakt mit der Erde, seinen eigenen Salat zu ziehen, das tut auch der Seele gut.
Aber nicht jeder hat einen grünen Daumen.
Ich glaube, den haben wir alle. Es geht nicht um Talent, sondern um Wissen, das man sich mit Ausprobieren, Beobachten und Erfahrung aneignen kann. Man muss es einfach ausprobieren, mir gelingt auch nicht alles. Dass wir unser Essen anpflanzen, das steckt in uns und ist etwas ganz Natürliches. Früher haben wir das Gärtnern noch von unseren Müttern und Grossmüttern gelernt, so wie das Kochen. Aber das ist in den letzten beiden Generation ein Stück weit verloren gegangen. So ein Garten war ein Chrampf, von dem man sich befreit hat. Jetzt wird er für viele zur Ruheoase.