Pferdebesitzer kündigen reihenweise und äussern heftige Vorwürfe
Schockierende Zustände im Klosterstall in Einsiedeln

Pferdebesitzer und Stallhelfer kritisieren den Stall des Klosters Einsiedeln scharf. Die Tierhaltung sei ungenügend. Der neuen Leitung werfen sie Inkompetenz vor. Zwei Todesfälle sorgten für Entsetzen. Das Kloster bestreitet die Anschuldigungen.
Publiziert: 20.10.2024 um 00:34 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2024 um 09:31 Uhr
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Die Führung des Klosters Einsiedeln sieht sich mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Es würde bei der mangelhaften Pferdehaltung im Marstall wegschauen.
Foto: IMAGO/dieBildmanufaktur

Auf einen Blick

  • Viele Pferdebesitzer haben den Marstall im Kloster Einsiedeln verlassen
  • Das Veterinäramt kritisierte Platzmangel und abgelaufene Medikamente
  • Einwohner von Einsiedeln sind über den Zustand der Pferde besorgt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicola AbtReporter Sport

Die Stute heisst Calantura, und sie ist viel zu dünn. Das abgemagerte Pferd gehört dem Kloster Einsiedeln und steht im Tierspital Zürich. Doch sterben darf es erst in zwei Tagen. Zuerst mussten die Eierstöcke für künstliche Befruchtungen entfernt werden. «Da die Operation nicht sofort durchgeführt werden konnte, liessen sie das Tier länger leiden», erzählt Bereiterin Nicole Kuster. Sie kennt Calantura, mehrere Springturniere ritt sie auf ihrem Rücken. Sie besuchte die Stute regelmässig im Spital.

Seit über dreissig Jahren betreut Kuster Pferde. Ein Tier, das derart leiden muss, hat sie noch nie erlebt. «Calantura sah schrecklich aus. Sie war ungepflegt, und es fehlte ihr die Kraft, den Kopf zu heben. Sie wollte nur noch sterben.»

Als die Stute im Kloster Einsiedeln trächtig war, bekam sie wenig Futter. Gleichzeitig fehlte es ihr an Bewegung. Ihre Muskeln bildeten sich zurück. Ihr Fohlen kam rund drei Wochen zu früh auf die Welt. Die Stute und das Fohlen mussten eingeschläfert werden, zeigen Recherchen von Blick. Der Tod der beiden Pferde Mitte April 2023 ist nur eines vieler Beispiele für die von vielen Besitzern kritisierte Pferdehaltung im Marstall des Klosters in Einsiedeln im Kanton Schwyz.

Viele Abgänge nach Führungswechsel

Der Marstall ist das älteste Gestüt Europas. Seit über tausend Jahren werden hier Einsiedler Pferde gezüchtet. Schweizweit galt er als Vorzeigestall. Doch seit eineinhalb Jahren ist nichts mehr, wie es einmal war. Die Änderungen begannen mit einem unfreiwilligen Abgang.

Fast 20 Jahre lang leitete Ursi Kälin den Marstall. Im Februar 2023 trennte sich das Kloster von ihr aufgrund «unterschiedlicher Auffassungen», wie die Verantwortlichen in einem öffentlichen Statement erklärten. Das stiess auf viel Unverständnis. Kälin galt als Urgestein des Marstalls. Schon als Kind half die Einsiedlerin im Stall mit. Als Betriebsleiterin übernachtete Kälin öfter bei den Pferden, um bei Fohlengeburten dabei zu sein und im Notfall schnell handeln zu können. «Ihr ging es um das Tierwohl», sagt Pferdebesitzerin Denise Myers.

Die in den USA aufgewachsene Frau reitet seit ihrer Kindheit. Als Jugendliche nahm Myers an Turnieren teil. Mehr als zehn Jahre weilte ihr Pferd in den Stallungen des Klosters. Mittlerweile hat sie, wie über 20 andere Pferdebesitzer, den Ort verlassen. Mitte Oktober halten noch vier Pferdebesitzer ihre Tiere im Marstall des Klosters Einsiedeln.

Nicht nur die Leiterin des Marstalls musste gehen, vor gut einem Jahr erhielt Tierärztin Simone Weiss nach 18 Jahren die Kündigung – telefonisch und ohne Begründung. Kurz darauf ging – auf eigenen Wunsch – der Hufschmied, nachdem er knapp 20 Jahre lang die Einsiedler Pferde mit Hufeisen versehen hatte.

Solche Ställe wie jener im Kloster sind nötig, weil nicht jeder Pferdehalter sein Ross selbst betreuen kann. Zu vergleichen sind die Ställe mit einem Hort. Billig ist es nicht, ein Pferd dort unterzubringen. Ein Rundum-Sorglos-Paket kostet 2600 Franken pro Monat. Inbegriffen sind unter anderem eine Auslaufbox, Futter, Misten und medizinische Betreuung.

Kloster-Führung reagiert nicht auf Reklamationen

Myers erinnert sich ungern an die letzten Monate im Kloster zurück. «Mein Pferd war krank, lahmte, aber erhielt keine Medikamente.» Zudem seien die Tiere zu wenig bewegt worden. Diesen Umstand bestätigen Blick auch verschiedene andere Besitzer und Besitzerinnen. Eine davon ist Tanja Fess. Als Kind verbrachte die Deutsche viel Zeit auf einem Ponyhof. Ihr Grossvater erzählte ihr vom klösterlichen Marstall.

Was traumhaft begann, endete 14 Jahre später in einem Albtraum. «Sie vergassen, mein Pferd zu füttern und auszumisten», sagt Fess und ergänz: «Es magerte stark ab.» Sie beschwerte sich mehrmals beim Verwaltungsleiter des Kloster Einsiedeln, Marc Dosch. Der habe nicht reagiert.

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Fess schickte ihm ein Video, das Blick vorliegt. Gut erkennbar ist ein Eisenstab, der innerhalb des Reitvierecks aus der Erde ragt. «Das ist sehr gefährlich für Tier und Reiter», sagt Fess. Trotz dieser Warnung änderte sich wochenlang nichts. «Dem Kloster ist die Gesundheit der Pferde offenbar egal.»

Diese Meinung teilt Thomas Basenau. Der Deutsche ist ebenfalls mit Pferden aufgewachsen. Als Stallhelfer arbeitete er ein Jahr lang in Einsiedeln im Marstall. Dort sah Basenau, wie die Tiere in ihrem eigenen Mist stehen mussten. Er wirft den Betreibern fehlende Fachkompetenz vor. «Die neue Führung weiss, dass ein Pferd vier Beine und einen langen Hals hat – mehr nicht.»

Stute nach Geburt nicht gewaschen

Nach dem Weggang von Kälin übernahm vorübergehend eine Stellvertreterin die Leitung des Marstalls. Ohne die nötige Ausbildung, wie aus einem Dokument des Veterinärdienstes des Kantons Schwyz hervorgeht. Über die genauen Gründe der Trennung von Kälin informierte das Kloster die Pferdebesitzer nicht. Blick liegen mehrere Briefe an die Klosterleitung vor, in denen ihnen Intransparenz vorgeworfen wird. Zurzeit befinden sich die beiden Parteien in einem Rechtsstreit. Bis heute wird Kälin im Handelsregister als Geschäftsführerin des Marstalls aufgeführt. Im Mai 2023 ernannte das Kloster einen neuen, vorübergehenden Chef der Marstall Kloster Einsiedeln GmbH.

Für Basenau ist er eine «krasse Fehlbesetzung». Besonders verärgert hat ihn der Umgang mit einer Stute nach der Geburt ihres Fohlens. «Kurz nach der Geburt sollte sie gewaschen werden.» Als er ihn darauf aufmerksam machte, meinte dieser, er würde das erledigen. Vier Tage danach sah Basenau die Stute. Sie war immer noch schmutzig: «An ihrem Schweif hingen Reste der Geburt, Fruchtwasser, Blut. Das waren faustdicke Klumpen. Darin haben bereits Fliegen gebrütet», erzählt Basenau. Für ihn «ein schrecklicher Anblick.» Um die Klumpen zu entfernen, musste Basenau mit einer Schere Teile des Schweifs entfernen.

Verletztes Pferd muss in den Reitunterricht

Ein anderes Pferd in Einsiedeln trug wegen schlechter Hufe bereits in jungen Jahren vier Hufeisen. Als es sich an einem Sonntag im Herbst 2023 auf der Weide austobte, fiel ein Hufeisen ab. Basenau habe einem Kollegen gesagt, er dürfe es nur mit einem Spezialschuh oder einem Hufverband wieder auf die Weide lassen. Er fürchtete, die Hufwände würden noch mehr ausbrechen. «Und das erschwert das Aufnageln eines neuen Eisens.»

Doch der neue Chef soll dem Kollegen befohlen haben, das Pferd ohne Schuh zurück auf die Weide zu schicken. «Am Abend konnte es nicht mehr richtig gehen», sagt Basenau. Der Hufschmied kam erst am Donnerstag. «Weil sie keine anderen Pferde für den Reitbetrieb hatten, musste ein humpelndes Pferd in den Reitunterricht. Der neue Marstall-Leiter meinte, es seien ja nur kleine Kinder, die das Pferd nicht stark belasten.»

Basenau kritisiert dieses Vorgehen scharf. Reitschülerin Denise Jakob erlebte einiges davon hautnah mit. Deshalb sagt sie: «Ich werde nicht wieder im Marstall reiten. So etwas will ich nicht unterstützen.»

Kloster wirbt mit verstorbenem Pferd

Vor einem Jahr kam es im Marstall zu einem Todesfall, der viele erschütterte. Ein Pferd erlitt in der Nacht Koliken. Morgens um sieben Uhr schlug sein Besitzer Alarm – zu spät. Ein Nachtwächter, der in den Stallungen hätte sein sollen, bemerkte nichts.

Ebenfalls für Kopfschütteln sorgte ein Facebook-Post des Klosters Einsiedeln von Mitte August 2024. Darauf zu sehen ist das kräftige und scheinbar kerngesunde Pferd Calantura. Mit ihm wird für einen Springlehrgang geworben. Darauf reiten wird jedoch niemand. Es ist seit eineinhalb Jahren tot. Es handelt sich um jenes Pferd, das Mitte April 2023 mit seinem Fohlen verstorben ist.

Dokumente widerlegen Aussage des Klosters

Als es im vergangenen Herbst nach einem Bericht im «Einsiedler Anzeiger» zu ersten öffentlichen Unruhen kam, veröffentlichte das Kloster auf Facebook eine ausführliche Stellungnahme. Dort stand unter anderem: «Entgegen gewissen Aussagen gab es zu jeder Zeit während der Übergangsphase genügend Know-how und Erfahrung für die Leitung des Marstalls. Vorwürfe bezüglich des Tierwohls wurden von den Behörden entkräftet. Sie hatten nichts zu beanstanden.» Dokumente einer unangemeldeten Kontrolle des Veterinärdienstes Ende April 2023 zeigen: Die Pferde hatten zu wenig Platz. Der Veterinärdienst forderte das Kloster auf: «Auslauffläche vergrössern».

Anfang 2024 führte der kantonale Veterinärdienst beim Kloster Einsiedeln eine angemeldete Kontrolle durch. Vier Punkte beanstandete er. Unter anderem waren «mehrere Medikamente abgelaufen». Diverse waren ohne Zusatzetikett oder mit einem Etikett eines Nichtvertragstierarztes versehen. Zudem fehlte eine Inventarliste und der erste Gesundheitscheck mit dem neuen Tierarzt wurde nicht durchgeführt. Bei der Tierhaltung gab es keine Beanstandungen. Wie das bereits bei einer unangemeldeten Kontrolle im Herbst letzten Jahres der Fall war.

Einwohner von Einsiedeln sind besorgt

Viele Pferdebesitzer bekunden Mühe mit den Entscheidungen des neuen Marstall-Leiters. Als eine seiner ersten Handlungen wechselte er das Handtuch auf der Toilette gegen einen Papierspender aus. Zudem stellte er ein Putzteam an. Früher hätten dies die Angestellten selbst erledigt. Das neue Laufband für die Pferde sei nur ganz selten im Einsatz, berichten Leute, die täglich im Marstall unterwegs sind. Die zusätzlichen Kosten für das Laufband sorgen für Unmut.

Gleichzeitig verzichtet das Kloster neuerdings auf Hufeisen für die Pferde und spart damit das Geld für den Hufschmied. Eine gewaltige Umstellung für die Tiere. Gewisse Pferde laufen seit mehr als 20 Jahren mit Hufeisen herum. In Gesprächen mit Blick kritisierten weitere Pferdebesitzer und Stallhelfer, die gemäss ihren Aussagen mangelhafte Pferdehaltung im Klosterbetrieb. Das Kloster wurde von Blick mit allen Vorwürfen konfrontiert.

Marc Dosch, Leiter Verwaltung Kloster Einsiedeln, streitet auf Anfrage jegliches Fehlverhalten ab: «Die Anschuldigungen betreffend Tierwohl sind haltlos und haben keine Grundlage. Der Betrieb ist bezüglich Tierhaltung und Tierwohl in sehr guter Verfassung.» Der Bestandstierarzt, die Tierschutzbehörden und Fachleute, mit denen der Betrieb in Kontakt stehe, würden dies bestätigen. «Das Thema Tierwohl war einer der Gründe, die 2023 zum Leitungswechsel geführt hatten», führt er aus. Auch die Vorwürfe gegen den interimistischen Leiter weist Dosch zurück. «Sie scheinen persönlich motiviert zu sein. Es wird in Pferdeställen häufig schlecht geredet – meistens über andere.»

Der Zustand der Pferde ist auch in Einsiedeln selbst ein Thema. Im Gespräch zeigen sich viele Einheimische besorgt. Sie sehen die Pferde kaum mehr im Wald oder sonst im Gelände. Zwischenzeitlich stellte der Marstall-Chef Stuten mit ihren Fohlen neben der Reithalle in einen eingezäunten Bereich ohne Gras. Die Pferde standen knöcheltief im Schlamm, wie Bilder zeigen. Trotz heftiger Kritik und mehrerer Kündigungen von Pferdebesitzern und Stallmitarbeitern steht das Kloster weiterhin hinter dem vorübergehenden Geschäftsführer.

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